Jahrhunderte altes Holz eines polynesischen Speeres konnte identifiziert werden
Vor vielen Generationen erreichte der seefahrende Held Tefolaha das Südsee-Atoll Nanumea und wurde zum Ahnherrn der dortigen Bewohner – so die Legende über die Besiedlung des viereinhalb Kilometer langen und nur 600 Meter breiten Eilands, das zum südpazifischen Inselstaat Tuvalu gehört. Die heutigen Einwohner des Atolls halten nicht nur die Erinnerung an ihre Vorfahren hoch, sie besitzen auch noch einen alten, charakteristisch geformten Holzspeer namens „Kaumaile“, den ihr Urahn mit auf die Insel gebracht haben soll und der ihm vorher bei Kämpfen auf den Inseln Samoa und Tonga zu Diensten war. Nach Tefolahas Tod wurde der Speer an seine Nachfahren weitergegeben, einer von ihnen besiegte mit ihm sogar den Riesen Tuulapoupou.
Alles nur eine Sage? Als vor einigen Jahren die junge amerikanische Wissenschaftlerin Heather Lazrus das Atoll für soziologische und umweltkundliche Untersuchungen aufsuchte, stellte sie Kontakte zu einem neuseeländischen Labor her, das mittels Radiocarbon-Methode das Alter des Speeres bestimmen konnte. Es stellte sich heraus, dass das Holz für den „Kaumaile“ vor rund 880 Jahren gefällt worden war. Das passte in grober Näherung mit den Angaben eines Dorfältesten zusammen, der nach der Ankunft Tefolahas 23 Generationen auf der Insel zählte. Doch woher kamen der Speer und der Urvater Tefolaha? Aussagen zur Baumart, aus der der Speer gefertigt worden war, und der Herkunft konnte das Labor nicht machen.
Hier kam im April 2014 das Thünen-Kompetenzzentrum Holzherkünfte in Hamburg ins Spiel. Die dortigen Experten sind in der Lage, praktisch jedes Holz in der Welt zu bestimmen, denn sie verfügen über eine über Jahrzehnte aufgebaute Holzsammlung von mehr als 12.000 Arten, die als Referenzmuster dienen. Heather Lazrus sandte einen Holzspan des Speeres vom anderen Ende der Erde nach Hamburg an Dr. Gerald Koch, dem Kurator der Holzsammlung und international renommierten Fachmann für die Bestimmung von Hölzern. Tatsächlich gelang es ihm mit mikroskopischen Untersuchungen, das Holz als Casuarina equisetifolia, zu Deutsch Eisenholz oder Strand-Kasuarine, zu identifizieren. Diese Holzart kommt ursprünglich in Indien, Indochina, Australien, Polynesien und den Fidschi-Inseln vor, wurde aber auch in Samoa kultiviert – dort, wo der Held Tefolaha den Speer in der Schlacht genutzt haben soll. Theoretisch wären die Experten des Thünen-Kompetenzzentrums sogar in der Lage, die Herkunft des Holzes mithilfe genetischer Methoden näher einzugrenzen und damit Hinweise zu liefern, aus welcher Region der Ahnherr Tefolaha stammte. Doch dazu würden Holzproben heutiger Eisenholz-Bäume aus den verschiedenen pazifischen Standorten als genetische Referenz benötigt, und die liegen derzeit nicht vor. Schon jetzt sind die aktuellen Ergebnisse aber ein spannendes Beispiel dafür, wie die international vernetzte Forschergemeinschaft mit naturwissenschaftlichen Methoden dazu beitragen kann, alte Überlieferungen über die menschlichen Besiedlungen und Wanderungsbewegungen auf ihren tatsächlichen Kern hin zu überprüfen.
Die Bewohner des Südsee-Atolls Nanumea können schon jetzt voll Stolz sagen, dass sie mit dem Speer Kaumaile eine wertvolle Reliquie aus der Frühzeit der Besiedlung ihrer Insel in Händen halten.
Nähere Infos (mit Fotos) über den Speer Kaumaile und das Atoll Nanumea:
www.nanumea.net/More_about_Kaumaile.html
Nähere Infos über das Thünen-Kompetenzzentrum Holzherkünfte:
www.thuenen.de/holzherkuenfte
Service zum Download
Kaumaile tangential (© Thünen-Institut/Gerald Koch)
Kaumaile radial (© Thünen-Institut/Gerald Koch)