Auswirkungen der Tierproduktion bleiben große Herausforderung / Projektion des Thünen-Modellverbunds
„Die Herausforderungen, die sich aus der intensiven Tierproduktion ergeben, werden sich im Zeitablauf nicht ‚von selbst‘ lösen“, sagt Dr. Frank Offermann, Agrarökonom am Thünen-Institut in Braunschweig. Angesichts der erwarteten Zunahme der Rentabilität der Veredlungsproduktion dürfte dieses Thema sogar weiter an Bedeutung gewinnen.
Agrarökonomen des Thünen-Instituts erstellen alle zwei Jahre Projektionen der erwarteten Entwicklungen im deutschen Agrarsektor. Sie bedienen sich dazu verschiedener Modelle, die sie in einem Modellverbund integrieren. Dabei treffen die Experten bestimmte Annahmen, wie sich äußere Einflussfaktoren, zum Beispiel die Höhe des globalen Wirtschaftswachstums, entwickeln. Für die aktuelle Projektion des Zeitraums 2013 – 2023 wird zudem davon ausgegangen, dass die 2013 beschlossene Reform der Europäischen Agrarpolitik umgesetzt wird. Diese sogenannte „Thünen-Baseline“ stellt somit keine Prognose dar, sondern bildet ein Referenzszenario, mit dem sich anschließend die Auswirkungen verschiedener Politikoptionen analysieren lassen.
Die diese Woche veröffentlichte Thünen-Baseline 2013 – 2023 wurde in enger Abstimmung mit Fachreferaten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) erstellt. In Kooperation mit dem Thünen-Institut für Agrarklimaschutz stellen die Wissenschaftler auch ausgewählte Umweltwirkungen der Landwirtschaft ausführlich dar.
Die Projektion zeigt, dass sich die Einfuhr von Agrargütern in die EU vor allem aus Zentral- und Südamerika, Asien und Afrika deutlich erhöhen wird. „Länder aus diesen drei Regionen haben Handelsabkommen mit der EU geschlossen, die ihnen in den nächsten Jahren zusätzliche Exportchancen auf die EU-Märkte ermöglichen“, sagt Offermann, der Sprecher des Modellverbundes im Thünen-Institut.
Gestützt durch den festen Weltmarkt steigen die Preise für tierische Erzeugnisse im Baseline-Szenario gegenüber dem Zeitraum 2009 bis 2011 um 10 bis 30 % an. Die Milcherzeugerpreise werden dabei durch gute Absatzaussichten am Binnen- und am Weltmarkt gestützt. Auch die Getreidepreise in Deutschland liegen in der Baseline auf vergleichsweise hohem Niveau, während proteinreiche Futtermittel wieder günstiger werden.
Die Reform des EEG im Jahr 2012 sowie ein vergleichsweise hohes Agrarpreisniveau reduzieren die Dynamik des Ausbaus der Biogaserzeugung. In der Thünen-Baseline wird im Jahr 2023 auf etwa 1,2 Mio. ha Energiemais angebaut. Die Milcherzeugung wird nach dem Auslaufen der Milchquote um rund 18 % gegenüber den Jahren 2009/11 ausgedehnt. Das geschieht vor allem in den Küstenregionen, am Niederrhein, in einigen Mittelgebirgslagen sowie im Allgäu und Voralpenland.
Das durchschnittliche Betriebseinkommen pro Arbeitskraft steigt bis 2023 nochmals leicht an und liegt damit über dem mittleren Niveau der letzten zehn Jahre. Die großen Unterschiede im Einkommen von Betrieben unterschiedlicher Größe bleiben bestehen. Ackerbaubetriebe können ihr Einkommen auf vergleichsweise hohem Niveau stabilisieren. Deutliche Einkommenszuwächse können Milchviehbetriebe (+24 %) sowie Veredlungsbetriebe (+44 %) realisieren. Die Pachtpreise steigen nach den Modellergebnissen besonders stark in den Veredlungsregionen.
Der sektorale Stickstoffbilanzsaldo bleibt den Abschätzungen zufolge mit einem Überschuss von 70 kg/ha LF nahezu konstant. In Regionen und Betrieben mit intensiver Tierhaltung wird sich die dort bestehende Stickstoffproblematik nicht entschärfen. Die Treibhausgasemissionen nehmen gegenüber 2005 leicht zu, die Ammoniak-Emissionen liegen im Jahr 2023 aufgrund der Aufstockung der Tierbestände wieder deutlich oberhalb der gesetzlich festgelegten Emissionsobergrenze. Es sind daher weitere Maßnahmen zur Minderung der Ammoniak-Emissionen notwendig, damit die Obergrenzen mit höherer Sicherheit und dauerhaft unterschritten werden.
Mit der reformierten GAP werden Teile der Direktzahlungen an verpflichtende Maßnahmen geknüpft, die auf eine Verbesserung der Umweltwirkungen der Landwirtschaft abzielen. Die ökologischen Wirkungen dieses sogenannten "Greening" sind entsprechend der Thünen-Baseline allerdings gering, weil die neuen Anforderungen schon jetzt weitgehend erfüllt werden. Betriebswirtschaftliche Kalkulationen für ausgewählte, von den Greening-Auflagen besonders betroffene Betriebe zeigen, dass für keinen der untersuchten Fälle die Nichtteilnahme am Greening auf längere Sicht eine wirtschaftlich sinnvolle Option darstellt.
Insgesamt zeichnet die Thünen-Baseline 2013 – 2023 das Bild einer wettbewerbsstarken Landwirtschaft in Deutschland, die sich gut an die Veränderungen der jüngsten Agrarreform anpasst und die Möglichkeiten zur Produktionsausdehnung, insbesondere im Milchbereich, wahrnimmt. Auf der anderen Seite zeigen die Projektionen, dass sich unter den getroffenen Annahmen und unveränderten politischen Rahmenbedingungen die Herausforderungen, die sich aus der intensiven Tierproduktion ergeben können, beispielsweise Gewässer- und Luftbelastung durch hohe Nährstoffausträge, nicht im Zeitablauf „von selbst“ lösen. Im Gegenteil – angesichts der projizierten Rentabilität der Veredlungsproduktion könnten sie weiter an Bedeutung gewinnen. Hier wird die Politik in besonderem Maße gefordert sein, Rahmenbedingungen zu schaffen, die die gesellschaftlichen Erwartungen und europaweit gesetzten Umweltziele erfüllen.
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Der Bericht “Thünen-Baseline 2013-2023: Agrarökonomische Projektionen für Deutschland“
(Thünen Report 19)