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Warum es immer wieder Marktkrisen gibt

Hintergrund

Eine Marktkrise entsteht immer dann, wenn Angebot und Nachfrage so stark voneinander abweichen, dass sich ein neues Marktgleichgewicht nicht kurzfristig einstellen kann. Dies tritt immer in sogenannten Schocksituationen auf. Eine solche Schocksituation kann z. B. ein Handelsembargo oder eine Finanzkrise sein.


Der Milchmarkt weist zusätzliche Besonderheiten auf, die das Auftreten von Marktkrisen begünstigen können:

Träges Milchangebot

Eine Milchkuh kann nicht wie eine Maschine ein- und wieder ausgeschaltet werden. Über die Fütterung kann der Landwirt zwar einen gewissen Einfluss auf die Milchmenge nehmen (je weniger Kraftfutter desto niedriger die Milchleistung). Dieser Einfluss ist jedoch begrenzt, denn zu große Änderungen schaden der Kuh. Größere Anpassungen sind nur durch Verkauf und Schlachtung milchgebender Kühe möglich. Diese Option ist sowohl ethisch als auch wirtschaftlich negativ zu bewerten.

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Flexible Milchnachfrage

Anders als das Milchangebot kann sich die Nachfrage nach Milch und Milcherzeugnissen schnell ändern. Das kann wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Ursachen haben. Insbesondere die wirtschaftlichen und politischen Effekte treten in der Regel plötzlich und ohne Vorwarnung auf, so z.B. die Finanzkrise 2008 und ihre Folgen. Milcherzeuger haben kaum eine Möglichkeit, sich auf solche Entwicklungen einzustellen.

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Wettereffekte

Auch das Wetter beeinflusst den Milchmarkt. Die Milcherzeugung ist zu großen Teilen graslandbasiert. Bedeutende Exportregionen wie Ozeanien, Südamerika, aber auch Irland wenden dieses Produktionsverfahren an, das zwar kostengünstiger, dafür aber witterungsabhängig ist. Ist das Wetter zu nass, zu trocken, zu warm oder zu kalt, ist die Qualität der Weiden schlechter. Die Milchleistung der Kühe sinkt. Entsprechend sinkt das Milchangebot, und die Preise steigen. Sehr gute Wetterbedingungen wiederum können zu guten Weidebedingungen und damit zu einem erhöhten Milchangebot führen. Die Preise können dann unter Druck geraten.

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Handelsvolumen

Weltweit werden mehr als 800 Millionen Tonnen Kuhmilch erzeugt. Davon wird jedoch nur ein Bruchteil international gehandelt. Der Anteil der weltweit gehandelten Milchmenge beträgt etwa 7 bis 8 Prozent. Der Export konzentriert sich auf wenige Länder, z.B. Neuseeland, EU, USA und Australien. Ökonomen sprechen gerne von einem „dünnen Markt“. Das bedeutet, dass bereits kleine Veränderungen im Angebot und/oder in der Nachfrage zu starken Preisbewegungen führen können.

Genossenschaften

In Deutschland ist die Milchverarbeitung zu einem hohen Anteil genossenschaftlich organisiert: Mehr als 70 Prozent der erzeugten Milch wird in Genossenschaften verarbeitet. Das ist einmalig in Europa. Als Anteilseigner am Unternehmen bestimmen die Milcherzeuger die Unternehmenspolitik grundsätzlich mit.

Molkereigenossenschaften weisen einige Besonderheiten auf: Genossenschaftsmitglieder (Milcherzeuger) sind verpflichtet, alle erzeugte Milch ausschließlich an die Genossenschaft zu liefern, die Belieferung einer anderen Molkerei ist untersagt (Andienungspflicht). Im Gegenzug garantiert die Molkereigenossenschaft, die von ihren Genossenschaftsmitgliedern erzeugte Milch in Gänze abzunehmen (Abnahmegarantie).

Zu Zeiten der Milchquote waren dies sinnvolle Regelungen. Die Molkereien konnten so ihre Rohstoffversorgung sichern. Die Milcherzeuger mussten sich keine Sorgen um die Abnahme ihrer Milch machen. Doch in der heutigen Zeit verursacht dieses starre System gewisse Schwierigkeiten:

  • Zusammen mit langen Kündigungsfristen schränkt die Andienungspflicht den Wettbewerb zwischen den Molkereien ein.
  • Die Abnahmegarantie macht die Planung von Rohstoffeingang, Bedarf und Vermarktung von Milchprodukten für die Molkereien schwierig.

Preisermittlung von Rohmilch

Milcherzeuger, die an eine Molkereigenossenschaft liefern, wissen in der Regel zum Zeitpunkt der Lieferung nicht, was ihre Milch aktuell „wert“ ist. Denn der Preis, den der Erzeuger für seine Milch erhält, bemisst sich am Verkaufspreis der verarbeiteten Milchprodukte. Durch diese Preisermittlung, die rückwirkend erfolgt, wird die Anpassung des Erzeugerpreises an eine neue Marktsituation zusätzlich erschwert.

Andere Molkereien, auch private, verwenden oftmals Vergleichspreise für die Wertermittlung der angelieferten Rohmilch. Aus einer vorher definierten Anzahl bestimmter Molkereien wird ein Preis berechnet. Da in diesem Vergleichspreis auch genossenschaftlich organisierte Molkereien enthalten sein können, spiegelt der Vergleichspreis unter Umständen nicht die aktuelle Marktlage wider. Damit kann der Preis seine Funktion als Signal des Marktzustands nicht mehr ausüben.

Notwendige Marktanpassungen bleiben aus oder erfolgen erst mit erheblicher Zeitverzögerung. Der Marktdruck nimmt zu und kann eine Krise verschärfen.

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Kontrakte mit dem Lebensmitteleinzelhandel

Für den Absatz ihrer Milchprodukte vereinbaren die Milchverarbeiter mit dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in sogenannten Listungsgesprächen über einen bestimmten Zeitraum festgeschriebene Preise und Mengen. Die Laufzeiten der Kontrakte unterscheiden sich je nach Warengruppe:

  • Milchfrischprodukte: 6 Monate
  • Butter: 1 bis 3 Monate
  • Käse: 6 bis 12 Monate

Ändern sich während der Laufzeit dieser Kontrakte Angebot- oder Nachfrage, kann sich dies nicht in einem geänderten Preis widerspiegeln. Es kann also kein Signal an die Marktakteure für eine Verhaltensänderung weitergegeben werden.

Rechnet man die verzögerte Preisermittlung der Rohmilch dazu, dauert es 6 Monate und länger bis die Milcherzeuger über Marktveränderungen informiert werden. Eine bedarfsgerechte Planung ist für die Milcherzeuger daher nur schwer möglich.

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Die Marktmacht des Lebensmitteleinzelhandels

Dem Lebensmitteleinzelhandel (LEH) in Deutschland wird immer wieder vorgeworfen, er würde seine Marktstellung, insbesondere bei Milch, missbrauchen. Der Vorwurf entsteht aus der Tatsache, dass der Lebensmitteleinzelhandel einerseits hoch konzentriert ist und andererseits die Discounter in Deutschland eine besondere Stellung haben. Dies nicht nur, weil Deutschland das Geburtsland des Discounter-Prinzips ist, sondern auch weil die deutschen Verbraucherinnen und Verbraucher bei Lebensmitteln sehr preisbewusst einkaufen.

Die fünf größten Unternehmen vereinen bereits 68 Prozent des LEH-Gesamtumsatzes auf sich. Die 10 größten Unternehmen haben einen Anteil von 83 Prozent am Gesamtumsatz. Bemerkenswertes Detail: Der Onlinehändler Amazon, dessen Kerngeschäft bisher andere Schwerpunkte hat, stand 2016 an Position 6 der größten Lebensmitteleinzelhändler in Deutschland. Es ist zu erwarten, dass Amazon seine Position in Zukunft noch weiter ausbauen wird.

In bestimmten Warengruppen, z. B. Frischmilch oder Standardkäse, ist der Markt für Milch durch eine Überversorgung gekennzeichnet. Deshalb müssen die Milchverarbeiter Preiszugeständnisse machen, um die vorhandenen Mengen überhaupt verkaufen zu können.

Der Großteil der Milch wird in Form von Handelsmarken verkauft. Dabei besitzt das jeweilige Einzelhandelsunternehmen die Rechte an der Marke. Die Molkereien dienen lediglich als Lieferanten und sind austauschbar. Die Molkereien sind allerdings auf dieses Mengenventil angewiesen, da nicht alle Milch zu Markenprodukten verarbeitet und verkauft werden kann.

Das Bundeskartellamt hat in seiner „Sektoruntersuchung Milch“ 2009 und 2012 keine Anzeichen für einen systematischen Missbrauch von Marktmacht durch den LEH feststellen können. Die Behörde schränkte sehr wohl ein, dass es im Einzelfall zu einem Missbrauch kommen könnte. Dieser müsste jedoch angezeigt werden, um ihn zu ahnden. Bisher ist kein Fall aktenkundig geworden.

Haben wir einen „Milchzyklus“?

Betrachtet man den Preisverlauf der Erzeugerpreise in der EU oder in Deutschland seit 2007, lässt sich eine Art Muster erkennen. Einem Preishoch folgt etwa alle drei Jahre ein Preistief. Dieses Muster ist noch nicht wissenschaftlich belegt, konnte aber auch für den Milchmarkt in den USA beobachtet werden.

Grundsätzlich sind in der Wissenschaft derartige „Preiszyklen“ nicht unbekannt. Erstmalig wurde dieses Phänomen bei Schweinefleisch eingehender untersucht. Bereits 1928 wies Arthur Hanau einen solchen Zyklus nach. Der Zyklus resultiert aus dem Problem, dass sich das Angebot nur zeitverzögert auf einen Nachfrageschock anpasst. Dabei spielt es keine Rolle, ob nach oben oder nach unten.

So ein Zyklus kann immer dann entstehen, wenn das Angebot nicht kurzfristig angepasst werden kann. Für den Handel/Verkauf von beispielsweise Schweinefleisch müssen Ferkel geboren werden, die dann gemästet und anschließend geschlachtet werden. Der Prozess der Fleischerzeugung weist also einen Vorlauf über mehrere Arbeitsstufen auf. Bei Milch sieht es ähnlich aus. Eine Kuh muss erst trächtig werden und anschließend das Kalb gebären, bevor sie Milch gibt.

Der Unterschied zwischen den Märkten für Schweinefleisch und Milch besteht darin, dass die Erzeuger von Schweinefleisch gelernt haben, mit diesem Problem umzugehen. Für die Milcherzeuger besteht hier noch Nachholbedarf.

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