Interview
„Über das hinausgehen, was wir im Feld erfassen können“
Ulrike Hochgesand mit Jan Thiele, Stefan Mecke und Jens Dauber (Wissenschaft erleben 2019/1)
Getreide mit oder ohne Blühstreifen? Hecken als Nahrungsquelle für Insekten? Ein computergestütztes Kartenspiel des Thünen-Instituts zeigt, welcher Mix an Kulturen und Maßnahmen optimal ist, damit der Ertrag stimmt und blütenbestäubende Wildbienen einen intakten Lebensraum vorfinden. Was hinter dem Spiel steckt, darüber sprachen wir mit Jan Thiele, Stefan Mecke und Jens Dauber aus dem Thünen-Institut für Biodiversität.
Auf der Internationalen Grünen Woche in Berlin im Januar 2019 hatten Sie Besuchern zum ersten Mal spielerisch gezeigt, wie sich moderne Landwirtschaft und Artenschutz miteinander kombinieren lassen. Wie waren die Reaktionen?
JT: Viele haben sich auf unser Spiel eingelassen. Manche waren dann erstaunt, dass die Anzeige auf dem Monitor in Echtzeit auf die gelegten Spielkarten reagiert und die Bienen-Population sich entsprechend verändert. Technisch war das für die Leute einigermaßen faszinierend.
SM: Interessant zu beobachten waren für uns die unterschiedlichen Herangehensweisen der Besucher: Einige haben einfach drauflos gepuzzelt, andere haben sehr überlegt und wissensbasiert versucht, eine optimale Landschaft zu gestalten.
Was war der Zweck des Spiels?
JT: Wir wollten anschaulich machen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen Landnutzung und biologischer Vielfalt gibt. Ich glaube, unser Spiel hat die Leute auch zum Nachdenken gebracht. Viele haben sich nach einer Weile überlegt, ob sie Getreide mit oder ohne Blühstreifen anlegen.
Welches Modell stand für dieses Spiel Pate?
JT: Wir haben ein Modell für Wildbienen-Populationen verwendet, das bereits gut validiert ist. Das Modell wird seit einigen Jahren von einer Arbeitsgruppe in England entwickelt und ist frei verfügbar.
JD: Diese Modelle kann man nicht nur für Computerspiele nutzen. Wir setzen sie vor allem in Projekten ein, in denen es darum geht, wie sich bestimmte Agrarumweltmaßnahmen auf Landschaftsebene auf verschiedene Organismengruppen auswirken. Da viele dieser Maßnahmen das Blütenangebot in Landschaften erhöhen, sind zum Beispiel Hummeln wichtige Indikatoren.
Seit kurzem ist die landschaftsökologische Modellierung ein eigener Arbeitsbereich im Thünen-Institut – mit welchen Zielen?
JD: Die Modellierung erlaubt uns, über das hinauszugehen, was wir im Feld tatsächlich erfassen können. In einem Projekt können wir ein bestimmtes kleines Set an Maßnahmen auf landwirtschaftlichen Betrieben umsetzen, zum Beispiel Blühstreifen für mehr Nektar und Pollen. Mit der Modellierung können wir Szenarien entwickeln, die mehr Agrarumweltmaßnahmen abbilden als es derzeit tatsächlich gibt. Auf dieser Basis lassen sich Optionen aufzeigen, was wir in der Landwirtschaft alles erreichen können und welcher Aufwand dafür nötig ist. Richtig spannend wird es, wenn man das interdisziplinär angeht, also zum Beispiel auch Kosten-Nutzen-Analysen anstellt.
JT: Mit unserer neuen Arbeitsgruppe wollen wir solche Modelle, mit denen man Prozesse auf Landschaftsebene abbilden kann, nicht nur anwenden. Wir wollen sie auch selbst entwickeln, zum Beispiel für andere Artengruppen.
SM: Das ist auch technisch gesehen eine spannende Aufgabe. Denn es gibt riesige Datenmengen, die man so aber nicht verwerten kann. Das Operationalisieren von Daten für Modelle ist ein ganz entscheidender und schwieriger Schritt, der oft limitierend ist.
Welche Rolle spielt die Modellierung für das nationale, vom BMEL initiierte Monitoring der biologischen Vielfalt der Agrarlandschaften?
JD: Mit dem Monitoring werden bestimmte Organismengruppen und deren Funktionen sowie Landschaftsstrukturen langfristig und standardisiert erfasst. Aus diesen Daten können wir mithilfe der Modellierung Aussagen über die Wirksamkeit von bestimmten Strategien im Agrarbereich treffen.
Wie ist das nationale Monitoring aufgesetzt?
JD: Wir verfolgen verschiedene Ansätze. Unter anderem wollen wir auf landwirtschaftlichen Betrieben gemeinsam mit den Landwirten im Sinne eines Citizen Science-Monitorings Indikatoren erheben. Aber natürlich werden wir auch versuchen, bereits vorhandene Daten für unsere agrarspezifischen Ansätze zu verwenden. Da gibt es schon viele Aktivitäten in einzelnen Bundesländern, außerdem ein bundesweit repräsentatives Stichproben-Netzwerk für ein naturschutzfachliches Monitoring mit über 1.000 Stichprobenflächen in ganz Deutschland.
Wenn es schon ein deutschlandweites ökologisches Stichproben-Netzwerk gibt, warum brauchen wir dann ein nationales Monitoring, das die Agrarlandschaften in den Blick nimmt?
JD: Die Indikatoren, die bislang erhoben werden, sind nur bedingt geeignet, um agrarspezifische Fragen zu beantworten. Beim Agrarlandschafts-Monitoring betrachten wir Ursache-Wirkungs-Beziehungen, zum Beispiel wie sich der Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln auf die biologische Vielfalt auswirkt. Daraus können wir eine gezielte Politikberatung ableiten.
Sie schauen also genauer in die einzelnen Agrarräume hinein?
JD: Ja, denn wir haben nicht in jedem Agrarraum die gleiche Problematik, was biologische Vielfalt anbelangt. Die ertragsstarken Böden der Hildesheimer Börde etwa sind nicht mit der extensiven Grünlandwirtschaft im Harz vergleichbar. Daher muss ich innerhalb eines jeden Agrarraums analysieren, welche Maßnahmen sich dort besonders günstig auf die biologische Vielfalt auswirken und welche weniger geeignet sind.
SM: Es geht also letztlich um standortangepasste Konzepte, die Produktion und biologische Vielfalt optimal miteinander in Einklang zu bringen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Service zum Download
- Wissenschaft erleben 2019/1Das Interview auf Seite 8/9