Interview
„...Kompromiss zwischen nachhaltiger Meeresnutzung und Umweltschutz“
Anne Sell mit Torsten Schulze (Wissenschaft erleben 2023/1)
Lange verhandelt, jetzt wirksam: Am 8. März und 1. Mai 2023 sind in Natura2000-Meeresschutzgebieten der Nordsee Vorschriften zum Management der Fischerei in Kraft getreten. Den zähen politischen Abstimmungsprozess zur Festlegung der Maßnahmen haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts – allen voran Torsten Schulze – mit fachlichen Analysen begleitet.
Für die deutsche AWZ der Nordsee, jenseits der 12-Seemeilen-Küstenzone, wurden schon 2004 Schutzgebiete an die EU gemeldet, in denen durch die Flora Fauna Habitat (FFH)-Richtlinie bestimmte Lebensraumtypen und ausgewählte Arten besonders geschützt werden sollen. Warum werden erst jetzt, mehr als anderthalb Jahrzehnt später, Maßnahmen zur Regulierung der Fischerei wirksam?
Das liegt an den vielen Abstimmungsstufen, die dafür nötig waren. Bevor Deutschland überhaupt Maßnahmenentwürfe bei der EU vorlegen konnte, war für die Fischereiregelungen zunächst eine Einigung zwischen den Bundesressorts – also Landwirtschafts- und Umweltministerium – zu erzielen. Anschließend mussten verschiedene Interessensvertreter angehört und eine Einigung mit den Nachbarstaaten erreicht werden, deren Flotten in der deutschen AWZ fischen.
Wie war das Thünen-Institut an diesem Prozess beteiligt?
Zunächst haben wir auf der Arbeitsebene mit Vertretern des Bundesamts für Naturschutz BfN spezifische Optionen für Maßnahmen entwickelt, teils auch Alternativen aufgezeigt. Am Thünen-Institut haben wir für alle Varianten räumliche Analysen durchgeführt um darzustellen, wo die zu schützenden Habitate liegen und welche Fischereiaktivitäten dort stattfinden. Für die politisch weiter verfolgten Optionen haben wir mit ökonomischen Auswertungen gezeigt, welche Fischereien wie stark betroffen wären – und an den nationalen wie internationalen Anhörungen haben wir als Fachberater teilgenommen.
Was sind die Schutzziele in diesen Gebieten?
Die FFH-Richtlinie dient in erster Linie dem Schutz bestimmter Lebensraumtypen am Meeresboden: Riffe und Sandbänke, dazu artenreiche Kies-, Grobsand- und Schillgründe. Die sogenannten Riffe sind in der Nordsee natürlich keine Korallenriffe, sondern eher Steinfelder oder auch biogene Hartsubstrate wie Miesmuschelbänke. Zusätzlich sind auch ausgewählte Meeresorganismen geschützt, sogenannte Anhang II-Arten, wie etwa der Schweinswal oder Wanderfischarten.
Und warum hat es so lange gedauert, Managementmaßnahmen zu beschließen, die diese Lebensräume und Arten schützen sollen?
Regelungen der Fischerei sind besonders komplex, weil Deutschland hier nicht allein entscheidet: Gemäß der Europäischen Fischereipolitik müssen auch die betroffenen Anrainerstaaten die Maßnahmenvorschläge gutheißen, bevor sie auf der EU-Ebene besiegelt werden. Das erforderte einen Kompromiss zwischen nachhaltiger Nutzung und den Zielen des Umweltschutzes. Dabei hat die EU-Kommission den ersten zwischen den Mitgliedstaaten verhandelten Vorschlag für Fischereimaßnahmen als nicht ambitioniert genug abgelehnt.
Was sind die wesentlichen Einschränkungen für die Fischerei in der Nordsee?
Die wichtigste ist ein Ausschluss der mobilen grundberührenden Geräte in bestimmten Zonen. Das betrifft also die Fischereien mit Baumkurren und Scherbrettnetzen. Dabei ist die Strenge der Einschränkungen abgestuft nach der Auswirkung der Fanggeräte auf den Seegrund und seine Lebensgemeinschaften.
Die jetzt beschlossenen Maßnahmen sind also offensichtlich recht detailliert definiert. Können Sie uns einige Beispiele nennen?
Im sehr großen Natura2000-Gebiet „Sylter Außenriff“ sind die verschiedenen Maßnahmen zeitlich und räumlich genau abgegrenzt. In bestimmten Zonen sind Grundschleppnetze jetzt komplett verboten. In anderen ist lediglich die Fischerei mit großen Fahrzeugen ausgeschlossen, während die Krabbenfischerei erlaubt bleibt. Diese Abstufung berücksichtigt also die Tatsache, dass schwere, große Baumkurren mit Scheuchketten, wie sie in der Plattfischfischerei eingesetzt werden, einen erheblich stärkeren Einfluss auf den Meeresboden und benthische Organismen haben.
Im Sylter Außenriff gibt es aber nicht nur die Vorgaben der FFH-Richtlinie, sondern auch die der Vogelschutzrichtlinie. Wie passt das zusammen?
Ja, die Schutzzonen nach beiden rechtlichen Vorgaben überlappen hier, und die Maßnahmen sind komplementär. Kiemennetze beeinträchtigen zwar die Lebensräume am Meeresgrund nicht, aber sie gefährden sowohl Schweinswale als auch Seevögel. Zum Schutz beider Tiergruppen gibt es deshalb nun saisonale oder sogar ganzjährige Verbote von Stellnetzfischerei in bestimmten Zonen.
Welche aktuellen Fischereiaktivitäten in der deutschen AWZ der Nordsee sind denn am meisten von den in Kraft getretenen Maßnahmen betroffen?
Die Kutter können zukünftig keine Garnelen auf der sehr kleinen, aber bisher intensiv befischten Amrumbank fangen. Insgesamt sind die Folgen der Maßnahmen in der AWZ für die Krabbenfischer moderat. Am stärksten betroffen ist die Fischerei mit großen Baumkurren auf Schollen oder Seezungen, und dies gilt besonders für die niederländische Fischereiflotte, die viel größer ist als die der deutschen Plattfischfischerei.
Herr Schulze, vielen Dank für das Gespräch.
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- Wissenschaft erleben 2023/1Das Interview auf S. 10/11