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Seetagebuch

Dana (für Walther Herwig III, 474. Reise)


SF Institut für Seefischerei

Dauer der Reise: 31. Januar bis 19. Februar 2024

Fahrtgebiet: Nordsee

Zweck der Reise: International Bottom Trawl Survey (IBTS)

Fahrtleiter: Hermann Neumann, Thünen-Institut für Seefischerei

Blog-Autor: Sakis Kroupis

Die Fahrt ist Teil des Internationalen Grundschleppnetz-Surveys (IBTS), eines vom Internationalen Rat für Meeresforschung (ICES) koordinierten Programms. Es zielt darauf ab, Daten über Fischpopulationen und biologische Parameter kommerziell genutzter Fischarten zu gewinnen, um Bestandsabschätzung vornehmen zu können.

Die Fischbeprobung erfolgt durch Hols mit einem Grundschleppnetz (GOV) in zugewiesenen statistischen ICES-Rechtecken und wird durch hydrographische Messungen mit einer CTD-Rosette begleitet. Zusätzlich wird ein 2-mm-Midwater Ringtrawl (MIK) eingesetzt, um Fischlarven zu beproben.

Die Fahrt wurde wegen der laufenden Reparaturarbeiten an der Walther Herwig III auf das Fischereiforschungsschiff Dana verlegt.

++06.02.2024++ Es geht los!

Nachdem der Sturm in der südlichen Nordsee abgeflaut ist, konnten wir am Donnerstag, dem 1. Februar, endlich zu unserer Jährlichen „Fischzählung“ in die Nordsee starten. Die Teilnahme am IBTS ist eigentlich Routine – doch ist dieses Jahr alles anders. Vor allem: Wir sind auf einem anderen Schiff. Da sich „unsere“ Walther Herwig III noch in der Werft befindet, fahren wir auf der DANA, dem Schiff der dänischen Kollegen, welches wir kurzfristig chartern konnten. Dadurch kam es auch zu leicht veränderten Fanggebieten, wobei die internationalen Kollegen auch einige der deutschen Gebiete übernommen haben. Die internationale Zusammenarbeit funktioniert also bestens.

Mit Esbjerg in Dänemark hatten wir auch einen neuen Auslaufhafen. Insgesamt bedeutete dies einige Veränderungen in der eigentlichen Routine, die wir aber gut meistern konnten. Neben diesen Herausforderungen gibt es auch einige Neuerungen im Programm. So wollen wir mit einer Beprobung von Umwelt-DNA neue Wege auf dem Gebiet der nicht-invasiven Surveymethoden beschreiten. Darüber hinaus unterstützen wir eine dänische Kollegin bei der systematischen nordseeweiten Beprobung von Quallen.

Zu all dem später mehr! Nun erstmal los … wobei wir schnell feststellen mussten, dass sich eines wohl nie ändert: das schlechte Wetter auf See im Februar.

++08.02.2024++ Erfolgreiche Meilensteine trotz rauer Bedingungen

Trotz des widrigen Wetters können wir bereits bedeutende Fortschritte verbuchen. Angefangen von den ersten Stationen vor Sylt haben wir uns bis zur schottischen Küste vorgearbeitet und dabei wertvolle Erkenntnisse gewonnen. Mit insgesamt 18 abgeschlossenen Stationen stehen wir für diese stürmische Jahreszeit recht gut da.

Das Tagschicht-Team hat sich mittlerweile gut auf die schwankenden Bedingungen im Labor eingestellt, und die Bearbeitung der Fänge läuft auch bei Seegang professionell und zügig ab.

Der Arbeitsalltag gestaltet sich routinemäßig wie folgt: Sobald das Netz an Bord kommt, beginnen wir damit, die gefangenen Fische nach Arten zu sortieren. Überlebensfähige Exemplare werden in spezielle Seewasserbecken gebracht, um sie nach der Datenaufnahme schonend wieder ins Meer zu entlassen. Vor allem Haie, Rochen und kleine Zirrenkraken haben gute Überlebenschancen. Nach dem Sortieren der Arten werden Gewicht und Größe gemessen. Um genauere Informationen über den Zustand der Bestände zu erhalten, entnehmen wir außerdem Gehörsteine zur Altersbestimmung und bestimmen die Geschlechterverhältnisse sowie die Reifestadien. In den kommenden Beiträgen werden wir auch noch genauer auf unser umfangreiches Zusatzprogramm eingehen.

Es liegen noch viele Stationen vor uns, und der aktuelle Wetterbericht sieht für die nächsten Tage dramatisch aus. Ein riesiges Sturmfeld wird die nördliche Nordsee in Aufruhr versetzen. Auf unseren Stationen werden bis zu 7 Meter hohe Wellen erwartet. Nun ist es an der Fahrtleitung und der Schiffsführung, einen soliden Plan zu entwickeln, um uns sicher durch das Wochenende zu bringen.

Bis dahin schöne Grüße von Bord!

++12.02.24++ Molekularbiologische Spurensuche nach dem Fisch

Der Plan unserer Fahrtleitung und Schiffsführung, dem Sturmtief auszuweichen, ist aufgegangen. Der Wetterbericht hatte uns deutlich gezeigt, dass ein Abwettern in der nördlichen Nordsee keinen Sinn gehabt hätte, und so sind wir aktuell wieder dort, wo wir begonnen haben: vor der Küste Dänemarks. Die Dampfzeit wurde gut genutzt, um gewonnene Daten aufzubereiten und zu digitalisieren. Außerdem konnte sich die Fahrtleitung Gedanken machen, in welchen Gebieten es strategisch am sinnvollsten ist, unser Zusatzprogramm, die Gewinnung von Umwelt-DNA (eDNA), durchzuführen. Diese Art der Probenahme kann vielleicht in Zukunft ein weiteres wichtiges Instrument der Bestandsforschung werden. Doch dazu ist noch viel Forschung vonnöten. Hier eine Zusammenfassung von unserem Fahrtleiter Dr. Hermann Neumann:

Die Analyse von eDNA ist ein modernes molekularbiologisches Verfahren zur Arterfassung, welches als besonders habitat- und tierschonend gilt. Zunehmend wird es auch auf Fischerei-Surveys erprobt. Das Ziel ist es, in Zukunft auf Teile der klassischen Fischereimethoden zu verzichten und trotzdem die Fischfauna und deren Vielfalt bestimmen zu können. Wie kann das funktionieren? Desoxyribonukleinsäure, kurz DNA, ist der Baustein des Lebens, und jeder Organismus hat eine artspezifische DNA-Zusammensetzung. Fische geben, ebenso wie andere Organismen, ständig eigene DNA an ihre Umwelt ab, z.B. durch Schuppen oder Stoffwechselprodukte. Dank molekularbiologischer Verfahren kann man diese im Wasser vorhandene DNA aufspüren und anschließend den einzelnen Arten zuweisen. Dies geschieht im Wesentlichen im heimischen Labor. Alles, was wir hier auf See dafür tun müssen, ist, Wasserproben zu filtern, die nah über dem Meeresboden genommen wurden. Erste Versuche auf anderen Ausfahrten des Thünen-Instituts haben bereits vielversprechende Ergebnisse geliefert. Doch auch bei dieser Methode liegt der Teufel im Detail: Die Interpretation der Ergebnisse ist nicht einfach. Bis sie zur Anwendung kommt, müssen wir wohl noch einiges an Wasser durch unsere Filter drücken.

++15.02.23++ Magisches Plankton der Nacht

Diese Woche haben wir Glück mit dem Wetter: Wir können täglich vier Stationen bearbeiten. Das bedeutet allerdings, dass die Tagschicht teilweise bis in den späten Abend beschäftigt ist, um im Labor die Fänge aufzuarbeiten. Direkt im Anschluss übernimmt die Nachtschicht, um mit einem speziellen Planktonnetz, dem MIK (Midwater Ringtrawl), nach größeren Heringslarven zu suchen. Dies ist ein wichtiger regelmäßiger Programmpunkt im IBTS, um Aussagen zur Bestandsentwicklung des Herings zu treffen.

Das feine MIK-Netz mit seiner 2 m großen Ringöffnung wird dabei stets bis auf fünf Meter über den Grund geschleppt und dann sofort wieder gehievt, um die gesamte Wassersäule zu durchfahren. Nach nur 10-20 Minuten hat man eine gewaltige Menge Wasser filtriert, in der sich die verborgene Welt des Planktons offenbart. Da die kleinen Heringslarven bereits gut sehen können und bei Gefahr flüchten, findet die Arbeit mit dem MIK stets erst nach Sonnenuntergang statt (siehe Video). Bisher haben wir regelmäßig Heringslarven in den Fängen gefunden – ein gutes Zeichen.

Die Welt des Planktons ist faszinierend. Es gab zum Beispiel Proben, die plötzlich in der Dunkelheit magisch blau leuchteten. Unter dem Binokular sah man, wer dafür verantwortlich war: winzige Leuchtgarnelen. Auch die Eier und Larven von Fischen, die im Erwachsenenalter als große räuberische Fische eine Rolle spielen, treiben hier im Plankton umher und werden selbst von Krebsen, Quallen oder Pfeilwürmern gejagt.

Auch ein Glasaal, die Jugendform des Europäischen Aals, der bereits eine weite Wanderung quer über den Atlantik hinter sich hatte, ging uns ins Netz. Die größte Überraschung erlebten wir jedoch heute Nacht, als sich ein erwachsener Blankaal mitten in der Nordsee in unserem feinen kleinen Netz verirrte. Wir können nur spekulieren, aber es ist gut möglich, dass er sich auf dem Weg zu den fernen Laichplätzen in der tausende Kilometer entfernten Sargassosee im Westatlantik befand.  

Der Europäische Aal ist akut vom Aussterben bedroht. Deshalb war es uns wichtig, dass beide gefangenen Exemplare ihre anstrengende Reise unbeschädigt fortsetzen können. Sofort nach der Datenaufnahme setzten wir sie zurück ins Meer.

Man merkt: Die Nordsee steckt voller Leben. Auch regional findet man stets andere Lebensgemeinschaften. Und hin und wieder werden auch wir von den Fängen überrascht.

++18.02.2024++ Kreaturen der Tiefsee und „Glibber“

Langsam neigt sich die Reise dem Ende zu, doch die letzten tiefen Stationen nahe der Norwegischen Rinne sorgten noch einmal für Spannung. Unterhalb der 150m-Tiefenlinie findet sich eine ganz andere Artenwelt als in der übrigen Nordsee. Hier beginnt die Dunkelheit – und die Lebewesen haben sich besonders daran angepasst.

Ein recht häufiger Bewohner dieser dunklen Zone ging uns auf der Reise ins Netz: der Kleine Schwarze Dornhai oder Samtbauchhai (Etmopterus spinax). Wie sein Name schon sagt, ist er nicht besonders groß – maximal 60 cm. Doch seine schillernde Farbe und seine Leuchtorgane machen ihn zu etwas ganz Besonderem. Er gehört zur Familie der Laternenhaie.

Auch eine junge Chimäre – ein Knorpelfisch, der weder Hai noch Rochen ist – wurde gefunden: eine Seekatze (Chimaera monstrosa), von Fischern auch Seedrachen genannt.  Wegen seiner charakteristischen Gestalt mit den katzenartigen Augen, die das Restlicht reflektieren, sorgt das Tier oft für Aufsehen. In diesen Gebieten ist es recht häufig anzutreffen.

Auch haben wir auf dieser Reise zum ersten Mal einen Fleckhai gesehen, der ebenfalls in tieferen Gebieten anzutreffen ist.

Neben den spannenden Hols am Tage gab es auch nachts im Plankton wieder Neues zu entdecken. Hierzu ein Gastbeitrag von unseren beiden Wissenschaftlern Hermann Neumann und Holger Haslob:

Für eine Handvoll Glibber…

Es ist Zeit für ein weiteres kleines Extra in unserem Tagebuch. Wir konnten es kaum glauben, aber hinter dem, was wir seit Jahren in den nächtlichen MIK-Proben geringschätzig als „Glibber“ bezeichnen, verbergen sich tatsächlich faszinierende Organismen: Quallen oder gelatinöses Plankton, wie die Fachleute sagen. Wie so oft im Leben muss man halt manchmal zweimal hinsehen. Umso besser, dass wir eine dänische Kollegin haben, die sich mit diesen Tieren auseinandersetzt und an unseren Proben bzw. Daten interessiert ist. Denn Quallen sind ein wichtiger Bestandteil der Nahrungsnetze im Meer, der leider in der Vergangenheit etwas stiefmütterlich behandelt wurde.

Auf dieser Reise haben wir erstmals neben den Heringslarven auch systematisch Quallen aus dem MIK gesammelt. Man benötigt beim Sortieren etwas Feingefühl und ein Binokular zur Vergrößerung, da viele dieser meist transparenten Organismen sehr klein sind. Was man dann sieht, ist überraschend schön anzusehen. Wir konnten mehr als zehn verschiedene Quallen-Arten identifizieren und quantifizieren, darunter die Seestachelbeere (Pleurobrachia pileus), eine Vertreterin der Rippenquallen, die man auch im Sommer am Nordseestrand finden kann, oder die kleine, filigrane Aglantha digitale, eine der häufigsten Quallen in den arktischen und subarktischen Ozeanen. Nicht schlecht für unseren ersten Ausflug in die Welt der Quallen! Und es hat auch noch Spaß gemacht.

++19.02.2024++ Survey erfolgreich beendet!

Nach 20 Tagen auf See ging es auf Heimreise. Insgesamt haben wir sehr viele Stationen geschafft und können mit Stolz sagen, dass wir auch diese Reise wieder – trotzt der schwierigen Wetterlage – erfolgreich abgeschlossen haben. Doch auch nach Ende des Programms gab und gibt es noch jede Menge für uns zu tun. Zunächst hieß es „Farbe waschen“ und die Labore wieder auf Hochglanz bringen. Auch das Einpacken unserer Ausrüstung für den späteren Transport zum Institut ist immer wieder eine Herausforderung. Glücklicherweise hatten wir ruhige See, was uns sehr entgegenkam.

Vor allem auf die wertvollen Proben mussten wir gut aufpassen, denn diese müssen teils direkt nach der Ankunft in unserem Institut weiterverarbeitet werden. Glücklicherweise hatten sich drei Fahrer aus dem Thünen-Institut bereit erklärt, uns in einem Rutsch inklusive Ausrüstung vom dänischen Liegeplatz der Dana abzuholen. So kamen wir sicher wieder an unserem Standort in der Herwigstraße in Bremerhaven an. Danke dafür!

Insgesamt waren wir sehr glücklich, dass uns die Dänen auch in diesem Jahr wieder ihr Forschungsschiff bereitstellten und uns dadurch geholfen haben, unseren internationalen Verpflichtungen nachzukommen. Für jeden von uns ist eine Reise auf der Dana stets eine besondere Erfahrung. Vieles im Bordleben und der Organisation auf diesem Schiff unterscheidet sich von unseren eigenen Schiffen, und auch die Anerkennung der schwierigen Bedingungen fern der Heimat spielt bei den Seeleuten an Bord der Dana eine sehr viel wichtigere Rolle. So ist eine Mitfahrt auch immer eine gute Gelegenheit, von den Erfahrungen anderer Forschungseinrichtungen zu lernen. Das Leben an Bord auf hoher See ist und bleibt etwas Besonderes in unserem Berufsbild in der Wissenschaft.

Deshalb möchten wir uns bei der gesamten Crew sehr herzlich für die Unterstützung bedanken und hoffen auf ein baldiges Wiedersehen bei einer weiteren, spannenden Forschungsreise!

Sakis Kroupis

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