Seetagebuch
Walther Herwig III, 465. Reise
Vom Thünen-Team Marko Freese, Reinhold Hanel, Lasse Marohn, Tina Blancke, Sarah Reyelt | 21.03.2023
Dauer der Reise: 15. März bis 9. April 2023
Fahrtgebiet: Sargassosee (westl. Nordatlantik)
Fahrtleiter: Reinhold Hanel, Thünen-Institut für Fischereiökologie
Im Fokus der 465. Reise der Walther Herwig III stehen die Verbreitung und Häufigkeit des Auftretens der Weidenblatt- oder Leptocephalus-Larven des Europäischen Aals in seinem Laichgebiet, der Sargassosee. Derzeit gelten die Rekrutierungs-Zeitserien von ankommenden Glasaalen und jungen Gelbaalen an den Küsten Europas und Nordafrikas nach ihrer transatlantischen Reise als wichtigster Indikator für die Bestandsentwicklung der Art. Informationen zu Zahlen und Verteilung von jungen Larven direkt in ihrem Ursprungsgebiet können hier aber zusätzlich wichtige Erkenntnisse liefern. Zudem können sie Rückschlüsse auf ozeanische Veränderungen und potenzielle Auswirkungen für den Rekrutierungstrend aufzeigen.
Proben gefangener Aal-Larven sollen auf eine Vielzahl von Parametern hin analysiert werden, um neue Erkenntnisse über ihre Ökologie, Ernährung und Entwicklung zu gewinnen.
Die Lebensgeschichte eines jeden Aals in Europa nimmt ihren Anfang und – wenn ihm nicht der Mensch in die Quere kommt – auch ihr Ende in den Tiefen und Weiten des südwestlichen Nordatlantiks. Genauer, in der Sargasso-See, einem Seegebiet größer als Mitteleuropa.
Die Route der Aallarven aus dem Laichgebiet konnte durch mehrere Untersuchungen in den letzten hundert Jahren stückweise rekonstruiert werden. Basierend auf der Längenverteilung der Aallarven in verschiedenen Abschnitten des Nordatlantikstroms konnte man deren Ursprung – also deren Schlupf aus dem Ei – so weit rekonstruieren, dass man mit einiger Sicherheit sagen kann, dass das Laichgebiet in der Sargasso-See liegt. Das große Rätsel bleibt aber nach wie vor, wie die erwachsenen Aale aus Europa zur Fortpflanzung in dieses Gebiet kommen.
Ohnehin versetzt dieser Fisch jeden, der sich genauer mit ihm befasst, in Erstaunen. Die Larve des Aals, aufgrund ihres Aussehens Weidenblattlarve genannt, wächst während ihrer vermutlich mehrjährigen Reise mit dem Nordatlantikstrom heran, bevor sie sich kurz vor Erreichen der Küstengewässer zum Glasaal wandelt. Dieser bleibt entweder im Küstenbereich und im Brackwasser oder wandert über Flussmündungen in Flüsse und Seen ein. In den jeweiligen Habitaten verbringen die Aale dann als Gelbaale viele Jahre ihres räuberischen Lebens, bevor sie irgendwann die Nahrungsaufnahme einstellen und sich zum Blank- oder Silberaal umwandeln. Während dieses Stadiums nimmt die letzte Reise der Aale, ihr Weg zu ihren Laichgründen, ihren Anfang. Erst während des Wegs in die Sargasso-See reifen die Blankaale zur Geschlechtsreife heran – und hier endet auch weitgehend der heutige Kenntnisstand!
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++23.03.2023++ Schlechtes Wetter, bitte warten…
Nachdem die wissenschaftliche Besatzung nach Bermuda geflogen ist und unser Forschungsschiff – wegen schlechten Wetters und rauer See mit leichter Verspätung – eingetroffen ist, steht der vierten Walther-Herwig-Reise ins Laichgebiet der Aale eigentlich nichts mehr im Wege …
Leider müssen die Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen und Studentinnen dieser Reise aber noch ein wenig Geduld aufbringen, denn auch der für heute geplante Aufbruch verzögert sich um einen weiteren Tag, weil das Lotsenboot nicht einsatzfähig ist.
Auf dieser Reise werden wir als Thünen-Team wieder von einigen helfenden Studierenden, aber auch von Experten und Expertinnen anderer Fachgebiete begleitet, um aus dieser Expedition einen möglichst umfangreichen wissenschaftlichen Wert zu generieren. So beschäftigen sich die Studentinnen etwa mit der Lipidkomposition von Leptocephalus-Larven unterschiedlicher Arten, oder auch mit der Verteilung von Mondfisch- oder Langusten-Larven. Außerdem begleitet ein Dokumentarfilmer unsere Expedition, um Aufnahmen für einen Film über den Aal zu machen.
++25.03.2023++ Das Team I
Bevor es richtig losgeht, stellen wir euch hier einen ersten Teil unseres Expeditionsteams vor – einen Forscher, eine Forscherin, einen Filmproduzenten und eine Chemielaborantin:
Die Oberflächenschichten der Sargassosee bieten nicht nur Aalen gute Bedingungen zum Laichen, sondern sind auch Lebensraum für viele andere Organismen, die wegen ihrer Fragilität und ungleichmäßigen Verbreitung oft nur wenig Berücksichtigung finden – das gelatinöse Zooplankton. Seit mehr als einem Jahrzehnt beschäftige ich, Dr. Florian Lüskow, Postdoc an der University of British Columbia (UBC), Vancouver, mich mit diesen meist übersehenen Tieren. Sowohl in Küstengewässern als auch im offenen Ozean übernehmen sie wichtige Funktionen in Nahrungsnetzen und Nährstoffkreisläufen wie der Biologischen Kohlenstoffpumpe. Bei dieser Reise gilt mein spezielles Interesse der Erfassung und Quantifizierung von möglichst vielen gelatinösen Arten (Quallen, Staatsquallen, Rippenquallen, Salpen, Feuerwalzen, etc.), die sich in den oberen 300 m der Wassersäule befinden.
Neben der Erforschung der Biogeographie des gelatinösen Zooplanktons in dieser Region, möchte ich zur aktuellen Diskussion über den Nährstoffgehalt von „Jellies“ und ihrer Resilienz nach Umweltveränderungen wesentlich beitragen. Wie schon auf der Sargassosee-Reise des Thünen-Instituts in 2017 sind diese Bemühungen Pionierarbeit und ein Versuch, die Biologie des gelatinösen Zooplanktons besser zu verstehen.
Die meisten Dinge im Leben passieren zufällig, so auch meine Teilnahme an dieser Expedition in die Sargassosee. Neben Zufall und Glück war aber auch harte Arbeit mit im Spiel. Alles begann 2019, als ich damit anfing, mich mit dem Management des Europäischen Aals zu beschäftigen. Im Rahmen dieser Arbeit nahm ich an der internationalen Aal-Arbeitsgruppe WGEEL teil, wo ich Reinhold, Marko und Lasse kennenlernte, allesamt Mitglieder des Kernteams der mehrjährigen Sargassosee-Expedition.
Jetzt bin ich auf Bermuda. Als das Schiff einlief, war die Luft voller Aufregung! Wir richteten uns ein und lernten erstaunlich schnell, uns in dem Labyrinth zwischen unseren Zimmern, Laboren, Lagerräumen und dem Essbereich zurechtzufinden. Jetzt können wir es kaum erwarten, dass es losgeht, aber durch das ungünstige Wetter gibt es weitere Verzögerungen. Einerseits frustrierend, andererseits konnten wir uns dadurch schon gegenseitig und die Besatzung des Schiffes kennenlernen.
Wir haben die meisten Vorbereitungen, die im Labor getroffen werden konnten, abgeschlossen und wurden unseren jeweiligen Schichten und Aufgaben zugeteilt. Ich werde in der Nachtschicht arbeiten, fühle mich wohl und freue mich auf die mir zugewiesenen Aufgaben. Alle bis auf eine: die Kommunikation mit der Mannschaft auf Deutsch. Ich spreche kein Deutsch. Aber Lasse sagte, ich solle mir keine Sorgen machen, denn durch die Verspätung habe ich mehr Zeit zum Lernen. Als Nächstes: Der Zufall und das Glück haben mir ein schwedisch sprechendes Mitglied der Schiffsbesatzung beschert!
Mein Name ist Hans Dortmans, und als niederländischer Filmproduzent fühle ich mich sehr privilegiert, an der Expedition teilnehmen zu dürfen. Zum ersten Mal wird ein Filmemacher diese Untersuchungen in der Sargassosee dokumentieren. Die Expedition wird Teil eines Dokumentarfilms mit dem Titel 'The Eel's Journey' sein, der vom niederländischen Fernsehen in Auftrag gegeben wurde und international für ein allgemeines (nicht wissenschaftliches) Publikum veröffentlicht werden soll.
Im Mittelpunkt der Dokumentation stehen niederländische und dänische Forscher, die sich mit der künstlichen Vermehrung des Aals befassen, sowie die von Reinhold Hanel und seinem Team geleitete Expedition. Sie alle versuchen, die Biologie der frühesten Lebensstadien des Aals zu entschlüsseln. Wo und wie laichen die Aale? Nach 100 Jahren Expeditionen und Forschungen ist ein großer Teil des Lebenszyklus des Aals endlich enträtselt. Der Film zeigt auch Forschung in Japan, wo der gesamte Reproduktionszyklus des Japanischen Aals (Anguilla japonica) unter kontrollierten Bedingungen bereits geglückt ist. Auch in Europa sind wir gerade dabei, diese Entwicklung voranzutreiben. Die Geschichte über die Suche nach den Ursprüngen des Japanischen Aals öffnet uns die Augen darüber, wie wir mit diesen faszinierenden Lebewesen umgehen.
Neben den Dreharbeiten werde ich an der Seite der Wissenschaftler arbeiten und beim Sortieren von Larven und Fischeiern helfen. Es wird sehr spannend sein, mit der neuen Q-DNA-Ausrüstung festzustellen, ob diese mit der genetischen Struktur des Europäischen Aals übereinstimmen könnten. Wir sind dabei, den Hafen von Bermuda zu verlassen, nachdem wir wegen technischer Probleme und schlechter Witterungsbedingungen eine Woche warten mussten. Wie alle anderen freue ich mich sehr auf diese Untersuchung und hoffe, dass mich die Seekrankheit nicht allzu sehr behindert, damit wir das einzigartige Ökosystem der Saragassosee und insbesondere den Aal erfolgreich erforschen können!
Wie wird das Arbeiten an den Stationen aussehen? Wird es mir leichtfallen, die verschiedenen Larven voneinander zu unterscheiden? Wie ist das Leben an Bord im Schichtdienst?
Obwohl dies bereits meine dritte Reise mit der Walther Herwig III ist, häufen sich bei mir die Fragen, denn dies ist meine erste Fahrt in die Sargassosee. Ich bin als Chemielaborantin am Thünen-Institut für Fischereiökologie tätig und war bislang auf den Forschungsreisen zuständig für die Bedienung der CTD-Sonde, zur Bestimmung von Fischkrankheiten und für die Probenahme von Fischen für die Analyse radioaktiver Substanzen. Somit ist das Arbeiten mit dem Europäischen Aal und anderer Larven für mich eine ganz neue Aufgabe, auf die ich mich sehr freue und bei der ich sehr viel dazulernen kann!
Wir sind schon seit einigen Tagen auf Bermuda, denn die Ankunft der Walther Herwig hat sich ein wenig verzögert. Diese Zeit konnten wir aber nutzen, um uns alle ein wenig kennenzulernen und einiges zusammen zu unternehmen. Nun liegt das Schiff endlich im Hafen und wir konnten schon einige Nächte hier verbringen, sodass wir uns alle schon ein wenig in das „Bordleben“ einfinden konnten. Wir freuen uns sehr, dass es nun endlich losgeht!
++26.03.2023++ Das Team II
Im nächsten Teil stellen wir euch unsere studentischen Hilfskräfte vor. Wobei "Hilfskräfte" untertrieben ist. Ohne ihre tatkräftige Unterstützung könnten wir unser Forschungsprogramm gar nicht bewältigen. Einige sammeln auch Material für ihre eigenen Abschlussarbeiten.
Hallo! Ich bin Ina, 23 Jahre alt und studiere im Master Zoologie. Ich habe Prof. Hanel letztes Jahr im August als Dozent bei einer Lehrveranstaltung an der Uni Innsbruck kennengelernt. Dort hat er viel über die Seereise und den Europäischen Aal berichtet und dadurch meine Begeisterung geweckt. Ich hätte nicht gedacht, dass ich jemals die Chance bekommen könnte, auf einem Forschungsschiff zu arbeiten, aber hier bin ich.
Ich erwarte mir von dieser Seereise viel Neues zu lernen, sowohl über Aale selbst als auch weitere Laborfähigkeiten zu erlernen und mich mit tollen Wissenschaftlern vernetzen zu können. Die Seereise ist für mich ein Abenteuer und bedeutet, mich wie eine „richtige Biologin“ zu fühlen, da ich zum ersten Mal außerhalb der Uni als ausgebildete Biologin arbeiten darf. Ich freue mich sehr auf die Zeit an Bord!
Hallo, ich bin Sree Lakshmi, eine Studentin aus Indien. Zurzeit mache ich meinen Master in Meeresbiologie an der Universität Bremen. In meiner Masterarbeit geht es darum, ein besseres Verständnis der Ernährungsökologie von Leptocephalus-Larven zu gewinnen. Daher ist es eine wunderbare Gelegenheit, an dieser Expedition in die Sargassosee teilnehmen zu können.
Die Reise hat mir schon jetzt viele neue Erfahrungen beschert, darunter meine erste Erfahrung auf See, die Aufregung, bei jeder weiteren Station Proben zu finden, und die atemberaubenden Sonnenauf- und -untergänge. Eines der erstaunlichsten Dinge ist, wie schnell wir uns an die Arbeit auf einem sich ständig bewegenden und schüttelnden Schiff gewöhnt haben.
Die Zusammenarbeit mit so erfahrenen Wissenschaftlern während dieser Fahrt ist in jeder Hinsicht reizvoll, denn wir können viel von ihren Erfahrungen und ihrem Wissen lernen und haben einen wertvollen kulturellen Austausch. Ich freue mich sehr auf den Rest dieser spannenden Expedition.
Hallo allerseits, mein Name ist Jennifer. Ich bin 28 Jahre alt und absolviere zurzeit mein Bachelorstudium der Biologie an der Universität Bremen. Ich strebe eine meeresbiologische Karriere in der Wissenschaft an und bin vor allem an ökologischen Fragestellungen interessiert. Aktuell bin ich als studentische Hilfskraft am Thünen-Institut für Fischereiökologie tätig und unterstütze die Wissenschaftler auf dieser Seereise.
An Bord des Schiffes habe ich die Möglichkeit, viele praktische Erfahrungen zu sammeln, die sehr wertvoll für meine wissenschaftliche Ausbildung sind. Es ist geplant, während der Ausfahrt auch Proben von Mondfisch-Larven zu sammeln, die ich später für meine Bachelorarbeit verwenden möchte. Mein tägliches Arbeitsfeld umfasst zum Beispiel das Mitwirken beim Ausbringen des Planktonnetzes und beim Sortieren des gesamten Zooplanktons aus einem Fang. Nachdem ein Hol fertig sortiert ist und einzelne Individuen bestimmt sind, ist es besonders wichtig, dass alle Proben sorgfältig und systematisch beschriftet und konserviert werden. Auf See kann aus Zeitgründen nur eine begrenzte Anzahl von Analysemethoden angewendet werden, sodass ein Teil der Proben erst zu Hause in Bremerhaven weiterbearbeitet werden können. Deshalb ist es unabdingbar, die Proben eindeutig zuordnen zu können. Dabei unterstütze ich das Wissenschaftlerteam.
Wir alle blicken mit freudiger Erwartung auf jeden einzelnen Fang und hoffen auf eine hohe Probenanzahl, um damit eine aussagekräftige Forschung betreiben zu können. Meine Zeit hier an Bord war bislang sehr aufregend, ich habe bereits viel dazu gelernt und bin gespannt darauf, was uns bis zum Ende der Reise noch alles erwarten wird.
Moin! Ich bin Lisanne, 25 Jahre alt und studiere „Marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften“ an der Universität Hamburg. Im letzten Jahr habe ich ein Auslandssemester auf den Azoren gemacht, wo ich Professor Azevedo kennenlernte. Er forscht am Europäischen Aal und hat uns Studierenden mit viel Begeisterung Einblick in seine Forschung gegeben. Wir haben eine Exkursion gemacht, wo wir sowohl adulte Aale gefangen und vermessen, als auch Glasaale gefangen und flussaufwärts über Hindernisse hinweggebracht haben.
Als ich dann auf dem Einsatzplan der Walter Herwig III sah, dass eine Aal-Forschungsreise in die Sargassosee stattfinden wird, musste ich einfach probieren, dabei zu sein. Und hier bin ich!
Das ist nun meine dritte Forschungsreise mit dem Thünen-Institut, und ich empfinde es als großes Privileg, einen so direkten Einblick in aktuelle Forschung zu bekommen und an einem so besonderen Ort arbeiten zu dürfen.
Zusätzlich werde ich meine Bachelorarbeit zu hier gefangenen Phyllosoma-Larven, das sind Larven bestimmter Langusten, schreiben. Dazu gehört zuerst die morphologische, aber auch genetische Artbestimmung der Larven, um dann Rückschlüsse über ihre Diversität, Abundanz und Verteilung im Zusammenhang mit ozeanographischen Parametern treffen zu können.
++30.03.2023++ Stand der Arbeiten
Auch während dieser Reise geht es hauptsächlich um Häufigkeit, Größe und Verteilung junger Larven des Europäischen Aals, deren Verteilung sich über ein etwa 2000 km weites Gebiet in der Sargassosee erstreckt. Aufgrund des zeitlichen Verzugs vor dem Start dieser Expedition konzentrieren sich die Arbeiten dieses Mal – etwas anders als zuvor – auf zwei Nord-Süd-Transekte zwischen 67° und 64° West, wo nach jetzigem Kenntnisstand zu dieser Zeit auch mit besonders kleinen Larven gerechnet werden kann. Auch fahren wir dieses Mal ein kleines Stück weiter südlicher als auf bisherigen Reisen, bis kurz hinter den Puerto-Rico-Graben, welcher mit bis zu über 9000 m die tiefste Stelle des Atlantischen Ozeans aufweist. Möglicherweise können wir so eine südliche Verteilungsgrenze für die Larven der Flussaale aufzeigen.
++02.04.2023++ Larven im Netz und unter dem Bino
Mittlerweile haben wir mithilfe der Schiffscrew während der arbeitsreichen Tag- und Nachtschichten nun an über 25 Stationen die hydrografischen Bedingungen gemessen; in regelmäßigen Abständen wurden Wasserproben genommen und Planktonfänge mit dem IKMT-Planktonnetz durchgeführt. Sobald das Netz wieder an Bord kommt, werden die Proben penibel sortiert und Leptocephali, andere Fische sowie deren Larven, Salpen, Quallen sowie Langustenlarven aussortiert. Dabei wurden bereits mehrere hundert Leptocephalus-Larven verschiedener Arten gesammelt, darunter auch zahlreiche Exemplare des Amerikanischen Aals (Anguilla rostrata) und einige des Europäischen Aals (Anguilla anguilla).
Dass Amerikanische Aale im westlichen unserer beiden Transekte häufiger gefangen werden, war aufgrund historischer Daten, aber auch unserer eigenen Erfahrungen zu vermuten. Neben den Aallarven konnten wir auch schon einige hundert Langusten-Larven im sogenannten Phyllosoma-Stadium sammeln. Auch diese völlig transparenten und extrem abgeflachten Larvenformen nutzen die Meeresströmungen des offenen Ozeans, um sich möglichst effektiv verteilen zu können.
++03.04.2023++ Eiersuche vor Ostern
Für den alltäglichen Aalkrimi sorgt ein weiterer Aspekt unserer Reise: der genetische Schnelltest von potenziellen Eiern aalartiger Fische an Bord der Walther Herwig. Noch nie haben Menschen ein Aal-Ei im Laichgebiet des Europäischen & Amerikanischen Aals gefunden. Einzig das Vorkommen besonders kleiner und junger Leptocephalus-Larven in diesem Areal ist der Beweis, dass nur hier der Laich abgesetzt wird und folglich die Larven schlüpfen.
Schon auf vergangenen Reisen wurden neben den Leptocephalus-Larven auch Eier aus den Planktonproben sortiert, die optische Merkmale europäischer Aale aufwiesen. Doch konnte bisher immer erst viele Wochen nach der Seereise im heimischen Molekulargenetik-Labor geklärt werden, ob die Detektivarbeit erfolgreich war. Um die Motivation und Spannung unter den Sortierenden aufrecht zu erhalten, wurde ein speziell für diesen on-Bord-Einsatz bestimmter genetischer Schnelltest entwickelt, der potenzielle Eier schnell, einfach und sicher auf Artzugehörigkeit zum Europäischen oder Amerikanischen Aal überprüft.
Von aushängenden Fahndungsfotos inspiriert, durchkämmen die wissenschaftlichen Ermittler*innen auf jeder Station akribisch die vorliegenden Planktonproben. Anschließend schreitet die SpuSi zur Tat und vermisst, fotografiert und beprobt die forensisch kleinen Verdächtigen, um sie schnellstmöglich zur Analyse ins kriminaltechnische Labor der Walther Herwig weiterzuleiten. Die eineinhalb Stunden Wartezeit auf das Ergebnis vergehen oft wie im Flug. Jede Menge Kaffee und der übliche Schreibkram halten die SoKo Sargassosee dabei hellwach und jederzeit bereit, einen erhofften großartigen Ermittlungserfolg zu feiern. Doch Krimikenner wissen: Es braucht viele Verdächtige – und am Ende ist es immer der Gärtner.
++05.04.2023++ Die Besatzung: Das Herz des Schiffes
Auf dieser Reise gehören 11 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie ein Dokumentarfilmer zur wissenschaftlichen Besatzung der Walther Herwig III.
Natürlich braucht es aber noch deutlich mehr Personen, um ein solches Forschungsschiff 24 Stunden am Tag wochenlang im Dauerbetrieb zu halten. Zur Schiffscrew gehören neben dem Kapitän, drei nautischen Offizieren, einer Schiffsärztin, sechs Maschinisten, einem Bootsmann, dem Netzmacher und sieben Matrosen auch zwei Köche und zwei Stewards.
Während der Kapitän mit den Offizieren unter anderem für den richtigen Kurs und die sichere Fahrt sorgen, sind die Ingenieure, Maschinisten und Elektriker permanent damit beschäftigt, das Dieselaggregat, aber auch die vielen Winden, Kräne, Fanggeräte und anderen Maschinen zu pflegen, zu warten und ggf. zu reparieren.
Die Matrosen der Deckscrew sind für den Einsatz derselben zuständig. Ob direkt beim Aussetzen der Sonden und Fangeräte, beim Bedienen der Winden und Kräne oder bei der ständigen Pflege und Reinigung des Schiffes: Ohne die Schiffsbesatzung geht hier gar nichts.
++06.04.23++ Auch für das leibliche Wohl will gesorgt sein
Besonders die Köche werden auf Schiffen gerne als „wichtigste Leute an Bord“ gehandelt. Denn ist das Essen nicht lecker, könnte auch die Stimmung an Bord darunter leiden. Die drei warmen Mahlzeiten am Tag stellen für die Besatzung wichtige Pausen dar und werden oft schon deutlich vor den klar definierten Speisezeiten sehnlichst erwartet. Natürlich ist dies nur der Fall, wenn das Essen so gut schmeckt wie hier auf der Walther Herwig…
Für die Köche Steffen Becker und Lars Prater beginnt der Tag schon quasi in der Nacht: Ab 4:00 Uhr aufstehen und schon ab 4:30 Uhr wird alles für das Frühstück vorbereitet. Das bedeutet: Die für die Nachtschicht zurückgestellten Reste und Speisen wegräumen, die Küche aufklären und sauber machen, frische Brötchen backen, Lebensmittel für das Mittagsgeschäft aus den Lasten hochholen und vorbereiten und so weiter.
Auf einem Schiff gibt es meist nur wenig Platz. Dies macht sich besonders in der Schiffsküche, der Kombüse, bemerkbar: Die beiden Köche teilen sich den limitierten Raum und haben jeder jeweils nur einen schmalen Arbeitsbereich zum Kneten, schneiden, schnippeln und was sonst noch so ansteht. Alles ist eng und muss gut abgesprochen sein. So weiß jeder genau, wer sich wann wohin bewegt und wie die Laufwege sind. Ansonsten tritt man sich schnell mal auf die Füße oder kommt sich ins Gehege.
Die Vorbereitung ist das A & O während, besonders aber auch vor einer Seereise. Knapp kalkulierte Einkäufe, Proviant und Menüplanung gehen schon Wochen vor dem jeweiligen Ablegen los. Trotzdem müssen die Köche immer ein Stück weit flexibel sein. So muss immer ein Auge auf die Haltbarkeit und die Frische der Lebensmittel gelegt werden. Auch Wetter und Seegang sind zu berücksichtigen. Schwankt das Schiff heftig, kommt eine leichte Brühe häufig besser bei der Besatzung an als besonders schwere Kost.
Und um 7:30 steht die Besatzung dann schon Schlange und bekommt bei der Ausgabe der Kombüse Fruchtsäfte, Joghurt, Eier nach Wahl und andere, täglich wechselnde warme Frühstücksspeisen. Die zwei freundlichen Stewards Michael Noreisch und Dennis Caro helfen unter anderem bei der Bewirtung und haben dann bereits in den beiden Messen eingedeckt, wo heißer Kaffee, Tee, frische Brötchen und Aufschnitt für die hungrige Besatzung bereit stehen.
++07.04.23++ Resümee des Fahrtleiters
Nachdem wir wieder in Bermuda eingelaufen sind, blicke ich mit einem guten Gefühl auf die Forschungsreise zurück. Trotz der um ein Drittel verkürzten Arbeitszeit – geschuldet den widrigen Bedingungen bei der Anfahrt der Walther Herwig – konnten wir unser Arbeitsprogramm zumindest auf zwei der drei geplanten Transekte planmäßig durchführen. Das Zusammenspiel zwischen Schiffsbesatzung und unserem wissenschaftlichen Team funktionierte bestens und war stets geprägt von freundlichem Entgegenkommen, Wertschätzung und höchstem Engagement.
Ich möchte auch meinem Team hier an Bord für den Einsatz und den Willen danken: In 12-Stunden-Schichten hat es ein Maximum an wissenschaftlichen Daten generiert! Das Zusammenspiel zwischen den erfahrenen Thünen-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeitern und den Gästen und Studierenden an Bord war für alle eine Bereicherung. Und nicht zuletzt war es auch eine positive Erfahrung, von unserem Filmemacher Hans Dortmans begleitet zu werden. Wir sind alle gespannt auf seinen Film über den Aal, der wohl Ende des Jahres erstmals zu sehen sein wird.
Die eigentlichen Ergebnisse der Reise werden erst in den nächsten Monaten ans Licht kommen – dann, wenn die Proben analysiert und die Daten ausgewertet sind. Die Fänge von Larven der beiden atlantischen Aal-Arten werden in den kommenden Wochen in den von uns im Jahr 2011 begonnenen Zeitserien-Datensatz überführt. Gleichzeitig werden chemische und genetische Untersuchungen neue Erkenntnisse über die frühen Lebensstadien der Aale in der Sargassosee bringen.
Durch die Auswertung aller Fischlarven-Fänge entlang der beiden Transekte, und auch der Mondfische im Speziellen, werden wir aber auch mehr über die Zusammensetzung der Fischgemeinschaft der Sargassosee als Ganzes erfahren. Neben den Fischen lag unser Augenmerk vor allem auf dem ökologisch so wichtigen gelatinösen Plankton, den Quallen und den Salpen, sowie auf den Larven von Langusten. Auch die Fänge dieser Gruppen werden in den kommenden Monaten ausgewertet und die Ergebnisse wissenschaftlich publiziert.
Die 465. Reise der Walther Herwig III ist deshalb mit Einlaufen des Schiffes in Bermuda nicht zu Ende, sondern wird wissenschaftlich ihren Nachhall finden. Der Aufwand ist es wert!
Viele Grüße von Bord und vom gesamten Team
Reinhold Hanel