Institut für
WI Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen
Zahlen & Fakten 03/2024
Wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Räumen
Petrik Runst, Dominik Frankenberg, Alexander Kopka, Jan Cornelius Peters | 16.12.2024 | PDF-Download
- Die wirtschaftliche Entwicklung ländlicher Räume von 2019 bis 2022/2023 verlief tendenziell etwas besser als die der urbanen Räume. Dies gilt jedoch nicht für alle ländlichen Regionen.
- Das Wachstum von Bruttowertschöpfung und Produktivität war nicht nur, aber auch in ländlichen Räumen niedrig, Reallöhne sind gesunken, Arbeitslosenquoten gestiegen.
- Einwohnerverluste traten im Zeitraum von 2013 bis 2023 fast ausschließlich in strukturschwächeren ländlichen Räumen auf.
Während die unterjährigen Ausgaben der Reihe „Zahlen & Fakten“ ausgewählte Themen schlaglichtartig beleuchten, widmet sich die Dezemberedition der übergeordneten Frage, wie sich die ländlichen Räume in Deutschland wirtschaftlich entwickeln. Dafür werten wir die aktuellsten verfügbaren Regionaldaten aus.
Das Wirtschaftswachstum zwischen 2019 und 2022 war – gemessen an der Veränderung der Bruttowertschöpfung – in ländlichen Räumen mehr als doppelt so hoch wie in urbanen Räumen, aber dennoch insgesamt niedrig. Bereinigt um die deutschlandweiten Preissteigerungen betrug der Anstieg insgesamt 1,8 % gegenüber 0,7 % in urbanen Räumen (Abb. 1).
Die COVID 19-Pandemie führte 2020 in den urbanen Räumen zu einem überdurchschnittlich starken Einbruch. Dafür fiel die Erholung dort im Jahr darauf umso stärker aus. Das insgesamt höhere Wachstum ländlicher Räume zwischen 2019 und 2022 lässt sich demnach beinahe gänzlich auf die bessere Entwicklung im Jahr 2022 zurückführen.
Große Unterschiede gab es auf Kreisebene (Karte 1). Einen Rückgang der Bruttowertschöpfung beobachten wir u. a. in Regionen Baden-Württembergs, Südniedersachsens und des Saarlands. Zuwächse zeigen sich hingegen vor allem in Teilen Schleswig-Holsteins, Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs, Bayerns und im nördlichen Niedersachsen.
Auswertungen nach Regionstypen (siehe Tabellenanhang) zeigen, dass die Bruttowertschöpfung in den ostdeutschen ländlichen Räumen mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 4,1 % mehr als dreimal so stark zunahm wie in den westdeutschen (+ 1,3 %). Zudem war das Wachstum der Bruttowertschöpfung in den ländlichen Regionen mit weniger guter sozioökonomischer Lage gemäß Thünen-Typologie und in den ländlichen GRW-Fördergebieten höher als in strukturstärkeren ländlichen Regionen. In eher ländlichen Regionen mit guter sozioökonomischer Lage stagnierte die Bruttowertschöpfung real nahezu. Das Wachstum von 2019 bis 2022 betrug dort im regionalen Mittel nur 0,5 %.
Die Entwicklungen der Arbeitsproduktivität sowie der Bruttolöhne und -gehälter je Stunde weisen ähnliche Unterschiede zwischen Regionstypen auf wie das Wachstum der Bruttowertschöpfung. Günstigere Entwicklungen zeigen sich (i) für Regionen mit weniger guter sozioökonomischer Lage verglichen zu jenen mit guter sozioökonomischer Lage, (ii) für GRW-Fördergebiete im Vergleich zu den Nicht-GRW-Fördergebieten und (iii) für ostdeutsche im Vergleich zu westdeutschen ländlichen Regionen. Der durchschnittliche Produktivitätszuwachs in den ländlichen Räumen insgesamt war zudem mehr als dreimal so hoch wie in den urbanen Räumen (real +3,9 % bzw. +1,1 %).
Die Bruttolöhne und -gehälter konnten zwischen 2019 und 2022 aber nicht mit dem Anstieg der Verbraucherpreise um bundesweit knapp 11 % Schritt halten. Darum bereinigt sind sie auch in ländlichen Räumen überwiegend gesunken. Inwiefern die so berechneten Reallohnveränderungen eins zu eins Kaufkraftverluste abbilden, ist jedoch unklar, da die Inflation regional unterschiedlich stark gewesen sein kann. Inflationsraten auf regionaler Ebene werden nicht erhoben.
Die Einwohnerzahl stieg in den westdeutschen ländlichen Räumen zwischen 2019 und 2023 gut drei Mal stärker als in den ostdeutschen (+2,2 % bzw. +0,6 %). Betrachten wir die Entwicklung der Einwohnerzahl im vergangenen Jahrzehnt, zeigt sich ebenfalls eine zunehmende Polarisierung. Die Zahl der Einwohner nahm in urbanen und strukturstärkeren ländlichen Kreisen zwischen 2013 und 2023 zu (Abb. 2). Einwohnerverluste traten fast ausschließlich in ländlichen Regionen mit weniger guter sozioökonomischer Lage auf. Trotz der jüngst relativ besseren wirtschaftlichen Entwicklung verlieren einige dieser strukturschwächeren ländlichen Räume weiterhin Einwohner.
Die regionalwirtschaftlichen Disparitäten spiegeln sich auch in den Kommunalhaushalten wider. Die Gemeindesteuerkraft lag 2023 in ländlichen Räumen mit durchschnittlich 1.455 Euro je Einwohner um ein Viertel niedriger als in urbanen Räumen (1.939 Euro/Einwohner). Insbesondere strukturschwächere ländliche Räume weisen eine stark unterdurchschnittliche Eigenfinanzierungskraft auf. Dies hat sich seit 2019 nur unwesentlich verändert. Der Rückstand der ländlichen gegenüber den urbanen Räumen insgesamt hat gleichzeitig weiter zugenommen. Sofern die Ausgabenbedarfe identisch sind, korrespondiert mit einer geringeren Eigenfinanzierungskraft auch eine stärkere Transferabhängigkeit und geringere Finanzautonomie.
Der Steuerkraftzuwachs seit 2019 ist u. a. inflationsbedingt. Da die Zuweisungen und sonstigen Einzahlungen nicht mit der Auszahlungsentwicklung – insbesondere im Sozial- und Personalbereich – Schritt halten konnten, betrug das Finanzierungsdefizit der Kernhaushalte aller deutschen Kommunen 2023 6,2 Mrd. Euro.[1]
Der Anteil der arbeitslosen Erwerbspersonen ist in ländlichen Regionen seit mindestens 2005 niedriger als in den urbanen Regionen (ohne Darstellung). Zum Teil hängt dies damit zusammen, dass Personen mit höherem individuellen Arbeitslosigkeitsrisiko häufiger in urbanen Regionen leben, zum Beispiel Personen nicht-deutscher Nationalität und Geringqualifizierte. Im Jahr 2023 lag die Arbeitslosenquote in ländlichen Räumen im Mittel bei unter 5 %, in urbanen Regionen bei 7 %. Alle Regionstypen verzeichneten einen Anstieg der Arbeitslosigkeit im Vergleich zu 2019.
Die künftige (regional-)wirtschaftliche Entwicklung hängt u. a. von der Verfügbarkeit von Fachkräften ab. Der Wettbewerb um diese dürfte weiter zunehmen. Besonders geburtenstarke Jahrgänge werden in den nächsten Jahren das gesetzliche Renteneintrittsalter erreichen. Der Beschäftigtenanteil Älterer ist ein Indikator, der in der Vergangenheit eng mit der Zunahme von Fachkräfteengpässen in Verbindung stand.[2] Für die ländlichen Regionen Ostdeutschlands und die ländlichen GRW-Fördergebiete, in denen die Anteile älterer Beschäftigter mit 27,3 % bzw. 26,3 % am höchsten sind, erscheint es daher besonders wichtig zu sein, diese so lange wie möglich im Arbeitsmarkt zu halten.
Die Innovationsleistung verschiedener Regionstypen, gemessen anhand der Zahl der Patentanmeldungen je 10.000 Einwohner, unterscheidet sich erheblich. Besonders niedrig ist sie in strukturschwächeren ländlichen Räumen, während strukturstärkere ländliche Räume beinahe den Durchschnitt aller urbanen Regionen erreichen.
Fazit: Die vielfältigen Herausforderungen seit 2019 haben die wirtschaftliche Entwicklung der ländlichen Räume in Deutschland erheblich beeinträchtigt. Die Bruttowertschöpfung ist real kaum gewachsen, Bruttolöhne und -gehälter sind preisbereinigt gesunken und die Arbeitslosigkeit ist gestiegen. Einige Indikatoren haben sich für ländliche Regionen dabei etwas günstiger entwickelt als für urbane Regionen. In eher ländlichen Räumen mit guter sozioökonomischer Lage ist die Bruttowertschöpfung zwischen 2019 und 2022 im Durchschnitt jedoch kaum gestiegen. In einigen Regionen ist sie sogar geschrumpft. Wenngleich die COVID 19-Pandemie überwunden ist, stehen Unternehmen u. a. aufgrund der Dekarbonisierung, der demografischen Alterung und der digitalen Transformation auch weiterhin vor großen Herausforderungen. Der Transformationsdruck variiert dabei erheblich zwischen den Regionen, ebenso die Anpassungspotenziale. Strukturschwächeren ländlichen Regionen werden dabei zum Teil besonders große Herausforderungen attestiert, da ein hoher Transformationsdruck dort tendenziell mit unterdurchschnittlichen Anpassungspotenzialen zusammenfällt.[3] Dies birgt die Gefahr, dass diese Regionen wirtschaftlich weiter zurückfallen.
Tabellenanhang
Tabelle 1: Indikatoren zur wirtschaftlichen Entwicklung nach Regionstypen gemäß Thünen-Typologie ländlicher Räume
Tabelle 2: Indikatoren zur wirtschaftlichen Entwicklung in Ost- und Westdeutschland sowie innerhalb und außerhalb der Fördergebiete der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ (GRW)
Weiterführende Informationen
Bruttowertschöpfung (BWS), Produktivität und Bruttolöhne/-gehälter gemäß VGR der Länder. Ihre Veränderungen sind anhand des Verbraucherpreisindex des Statistischen Bundesamtes preisbereinigt. Einwohner basiert auf Daten der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder. Kommunale Steuerkraft (Statistisches Bundesamt und Statistische Landesämter) entspricht dem auf Basis der jeweiligen bundesdurchschnittlichen (gewogenen) Hebesätze normierten Aufkommen der Realsteuern (Grundsteuer A/B, Gewerbesteuer) zzgl. gemeindlicher Steuerbeteiligungen (Einkommen- und Umsatzsteuer) abzgl. Gewerbesteuerumlage. Arbeitslosenquote und Anteil Älterer basiert auf Daten der Statistik der Bundesagentur für Arbeit. Anteil Älterer gibt den Anteil über 55-Jähriger an allen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten an. Patentanmeldungen basieren auf EPO-RegPat Daten. Die aktuell für 2021 verfügbaren Zahlen entsprechen aufgrund von (noch ausstehenden) Nachmeldungen noch nicht der tatsächlichen Anzahl an Patenten 2021. Änderungsraten werden aus diesem Grund nicht ausgewiesen. Bei einem Vergleich mit den Daten früherer Jahre, würde die Veränderung zu negativ dargestellt werden. Alle Angaben basieren auf eigenen Berechnungen.
Aufgrund fehlender Informationen zu regionalen Preisniveaus liefert der Vergleich der Bruttolöhne und -gehälter zwischen Regionstypen keine verlässlichen Informationen dazu, wie groß die Unterschiede in der durchschnittlichen Kaufkraft sind und wie sich die Kaufkraft im Beobachtungszeitraum je Regionstyp verändert hat.
[1] Statistisches Bundesamt (2024) Vierteljährliche Kassenstatistik.
[2] Buch T, Fuchs M, Helm J, Niebuhr A, Peters JC, Sieglen G (2024) Zunehmende Fachkräfteengpässe – Warum sind ländliche Räume besonders betroffen? Wirtschaftsdienst 104(5): 323-328.
[3] Haas A, Niebuhr A, Vetterer N (2024) Regionale Arbeitsmärkte unter Transformationsdruck - unterschiedliche Herausforderungen und Anpassungspotenziale. Wirtschaftsdienst, 104(8), 527-532.
Runst P, Frankenberg D, Kopka A, Peters JC (2024) Wirtschaftliche Entwicklung in ländlichen Räumen. Zahlen & Fakten zur Wirtschaft in ländlichen Räumen 03/2024. Thünen-Institut für Innovation und Wertschöpfung in ländlichen Räumen. DOI: 10.3220/ZF1733838416000