Frauen in der Wissenschaft
Aktuelles
Transformation der Landwirtschaft: Frauen in Führung
Die Landwirtschaft ist noch immer männlich geprägt. Das gilt auch für die Forschung rund um Tierhaltung und Pflanzenbau. Im Ökosektor ist die Frauenquote geringfügig höher und hat Tradition: Schon bei Pionieren des Ökolandbaus finden sich einige Frauen. Während der diesjährigen BIOFACH schilderten fünf Wissenschaftlerinnen ihre Erfahrungen als Frauen auf dem Weg zu ihren heutigen Führungspositionen.
Kurzportraits
Der 11. Februar ist der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft. Die UN wirbt damit für einen geschlechtergerechten Zugang zu Wissenschaftskarrieren. Das Thünen-Institut unterstützt dieses Anliegen. Um die Gleichstellung von Frauen und Männern und die Familienfreundlichkeit im Betrieb voranzutreiben, beteiligen wir uns seit 2021 auch am „audit berufundfamilie“.
Auf dieser Seite geben Wissenschaftlerinnen, aber auch Technikerinnen im Thünen-Institut Einblicke in ihre Arbeit. Die Beispiele sollen Mut machen für eine Karriere in der Wissenschaft, über die zum Teil schwierigen Arbeitsbedingungen aber nicht hinwegtäuschen.
Am 1. Januar 2024 gab es 1.055 Beschäftigte, davon 546 Frauen. Von den 612 wissenschaftlichen Mitarbeitenden sind aktuell 275 Frauen.
Frauen in der Wissenschaft - weitere Portraits
Expertin für globale Rindfleischproduktion und Sprachtalent
Sie beherrscht vier Fremdsprachen, davon zwei fließend. „Der Blick über den Tellerrand hat mich immer gereizt“ erzählt Katrin Agethen. Reisen und landwirtschaftliche Prozesse seien schon seit ihrer Kindheit auf einem Hof in Ostwestfalen ihre Leidenschaften gewesen. Während des Studiums und in der ersten Anstellung ergreift sie daher immer wieder die Chance, ins Ausland zu gehen. Aufenthalte in Frankreich und Brasilien festigen den Wunsch, ihr internationales Netzwerk auszubauen und sich noch gezielter in der globalen Agrarforschung einzusetzen.
Dieser Wunsch bringt sie 2018 ans Thünen-Institut für Betriebswirtschaft. Zunächst geht die Doktorandin auf einer Projektstelle der Forschungsfrage nach, wie weltweite Rindfleischproduktion im Angesicht aktueller Klimafragen und politischer Anforderungen funktionieren kann. Seit 2020 erforscht sie diese Fragen auf einer Planstelle.
Beruflich und privat beginnt mit dem Einstieg am Thünen-Institut eine ereignisreiche Zeit für die junge Wissenschaftlerin. Das Reisen zu Konferenzen und Auslandsaufenthalte sind Teil ihrer Arbeit und damit auch Teil ihres Lebens. Zu diesem gehört inzwischen auch ein Kind. Funktioniert es, internationale Forschung und Familie zu vereinen? Diese Frage habe sie sich nie gestellt. „Ich habe neue Prioritäten gesetzt und eine Balance gefunden. Wichtig ist, zu wissen, was man will und dann findet sich auch ein Weg!“ Neue Aufgaben mit Personalverantwortung im Institut zählen zu den jüngsten, willkommenen Herausforderungen für Katrin Agethen.
Baum-Forscherin, Holzdetektivin und Vertrauensfrau am Standort Großhansdorf
Aus welchem Holz ist das gemacht? Diese Frage kann Dr. Céline Blanc-Jolivet beantworten. Wie eine Detektivin ermittelt sie die Herkunft von Hölzern per DNA-Test im Labor. Neben dieser praktischen Seite erforscht sie am Thünen-Institut für Forstgenetik in zahlreichen Projekten wie z.B. ForGer, zur Erhaltung genetischer Ressourcen von Bäumen als wichtigen Faktor der Klimaanpassung. Ständige Neuerungen der Methoden und das Füttern großer Datenbanken brauchen Zeit und einen guten Überblick.
Den muss sie auch zu Hause behalten – dort managt sie ihre fünfköpfige Familie. Für Céline Blanc-Jolivet stand immer fest: „Ich möchte Wissenschaftlerin und für meine Kinder da sein“. Um bei ihren Projekten den Anschluss zu behalten, hat sie deshalb ihr erstes Kind kurzerhand mit ins Büro genommen. „Das war für alle neu und ein ungewohnter Zustand. Aber ich konnte damit zeigen, dass Mutter sein und Forschung betreiben funktioniert!“ Solche Beispiele zu geben und damit auch Kolleginnen neue Wege zu ebnen, ist ihr ein Anliegen. Deshalb hat sie sich auch als Vertrauensfrau am Standort Großhansdorf gemeldet. Flexiblere Elternzeitvorgaben, bessere Home-Office-Möglichkeiten und einen größeren Vertrauensvorschuss formuliert sie als Ziele für Wissenschaftlerinnen mit Kindern. „Durch Corona haben sich Home-Office-Optionen zwar verbessert, aber es muss noch viel passieren, bis eine Vita wie meine als selbstverständlich angesehen wird.“
Céline Blanc-Jolivet kommt aus Fontainebleau nahe Paris und hat in Montpellier Agrarwissenschaften studiert. Ihren Doktor mit den Schwerpunkten Ökologie und Evolution hat sie 2006 in der Schweiz gemacht. Seit 2007 ist sie im Thünen-Institut für Forstgenetik tätig.
Mittlerin zwischen Informatik und Information
Die Frau mit den rosa Katzenohren auf den Kopfhörern kennt wohl jede*r am Thünen-Institut: Wenn es auf der Website hakt, weiß Dana Heinemann, wo der Haken fehlt. Sie ist die Herrin des Redaktionssystems und oft genug Retterin in der Not, eine Mittlerin zwischen Informatik und Information.
Dabei wollte die Wolfsburgerin ursprünglich Bücher katalogisieren und verwalten. Und weil sie sich für Naturwissenschaften begeistert, war die Bibliothek eines Forschungsinstituts genau der richtige Arbeitsplatz. Doch schon während ihrer Ausbildung zur Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste zeichnete sich ab, dass das Bibliothekswesen zum Sprung ins digitale Zeitalter ansetzen musste. Zudem endete Heinemanns Ausbildung just zu dem Zeitpunkt, als das Thünen-Institut gegründet und damit ein neuer Internetauftritt fällig wurde. Sie wechselte in den IT-Bereich. Seither schult sie die Webredakteurinnen und -redakteure und sorgt unter anderem für die Barrierefreiheit der Website – alles online. „Manchmal fehlt mir der Publikumsverkehr“, sagt Dana Heinemann. „Aber theoretisch können mich jeden Tag 100 Webredakteurinnen und -redakteure anrufen.“
Wichtig ist ihr, dass sie sich trotz des immer gleichen Arbeitgebers weiterentwickeln kann. So hat sie berufsbegleitend Medienwissenschaften und Kommunikationsdesign studiert. Den inzwischen zweiten Relaunch der Website hat sie als Projektmanagerin gesteuert. Vieles von dem, was sie kann, hat sie sich jedoch selbst und über den Fachaustausch in Foren beigebracht. „Ich schätze die gestalterischen Freiräume und die Flexibilität des Forschungsbetriebes“, sagt sie.
In der IT-Branche ist Dana Heinemann noch immer eine Ausnahme: Nur knapp 17 Prozent der Jobs werden in Deutschland von Frauen besetzt. Damit liegt unser Land im Mittelfeld der OECD-Staaten. Immerhin: Dana Heinemann hat eine Chefin. Am Thünen-Institut wird das Zentrum für Informationsmanagement von einer Frau geleitet.
Ausbilderin von Chemielaborant*innen
Forschen in der Chemie war immer ihr Traum. Den hat sich Marina Heuer auch in gewisser Weise erfüllt. Als Ausbilderin von Chemielaborantinnen und -laboranten hat sie in den vergangenen acht Jahren Azubis ihr Wissen vermittelt. „Besonders hat mir an dieser Aufgabe gefallen, junge Menschen zu fördern und zu fordern. Und natürlich das Forschen im Rahmen der Doktorandenprojekte“ berichtet sie. Im Sommer 2023 geht sie in den Ruhestand.
Dass sie doch noch an einer Forschungseinrichtung wie dem Thünen-Institut Fuß fassen würde, hätte sie als Schülerin nie geglaubt. Anfang der 80er Jahre verwirft sie ihren Wunsch Chemie zu studieren, macht stattdessen eine Ausbildung zur Chemielaborantin und arbeitet im Bereich Umweltchemie. „Ich hatte Angst davor. Ein Chemiestudium war damals eine Männerdomäne. Generell zieht sich die Beobachtung durch mein Leben, dass Mädchen und Frauen davor zurückscheuen, leitende Positionen oder eine wissenschaftliche Karriere anzustreben. Dabei können sie es mindestens genauso gut!“
Am Thünen-Institut für Agrartechnologie schafft sie ab 2009 zunächst den Ausbildungsrahmen für Chemielaborantinnen und -laboranten. „Das Geschlechterverhältnis der Kandidatinnen und Kandidaten war stets ausgeglichen und auch unter den Doktoranden waren immer viele Frauen“ berichtet sie. 2022 haben die letzten von Marina Heuers Azubis ihre Abschlussprüfung gemacht. „Die Ausbildung wird es in der derzeitigen Form nicht mehr geben. Ich kann mir aber vorstellen, dass sich unter der engagierten, weiblichen Leitung des Instituts ein neues Ausbildungsangebot formiert, diesmal aber mit digitalem Schwerpunkt.“
Was sie „Women in Science“ mit auf den Weg geben möchte? „Nicht nur fleißig sein, sondern auch sichtbar. Und als Frauen in der Wissenschaft zusammenhalten, egal, ob studierte Frau oder nicht, ob mit oder ohne Kinder, mit Mann oder Frau oder ohne.“
Pionierin auf dem Gebiet der Pflanzengenetik
Bäume haben Birgit Kersten schon bei Waldspaziergängen als Kind fasziniert. Dieses Interesse bewegt sie zum Biologie-Studium in Ost-Berlin in den 1980er Jahren. Zeitgleich bekommt sie ihre beiden Kinder. „In der DDR war es üblich, früh Familien zu gründen. Durch die vorhandene Kinderbetreuung war das gut machbar!“ Die Wissenschaft hat sie deshalb nie aufgegeben. Die Kinder sind inzwischen aus dem Haus. Die Objekte ihrer Forschung sind geblieben. Seit 2010 arbeitet sie am Thünen-Institut für Forstgenetik etwa im Projekt TaxGen, in dem es um die Entschlüsselung des Genoms der Europäischen Eibe (Taxus baccata) geht. Hierbei interessiert sich die Molekularbiologin insbesondere für die genetischen Grundlagen der Geschlechtsdeterminierung. Auf diesem Gebiet hat sie echte Pionierarbeit in der Erforschung des Pappel-Genoms geleistet. Gemeinsam mit zwei Kollegen erhielt sie dafür einen der Thünen-Forschungspreise 2021.
Pionierin in der Forschung war sie schon einmal – während ihres Post-Doc-Projektes im Bereich Pflanzenproteinchips am Max-Planck-Institut (MPI) für Molekulare Genetik: „Wir waren 2005 die Ersten, die Ergebnisse in diesem Bereich vorlegen konnten und haben sie noch vor amerikanischen Kollegen veröffentlicht!“ 2006 wechselt Birgit Kersten in die Pflanzenbioinformatik und übernimmt die Leitung der GABI-Primärdatenbank (http://www.gabipd.org) am MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie.
Umbrüche nach dem Mauerfall 1989 und Verpflichtungen in Job und Familie bedingen Verzögerungen in ihrer Forschungslaufbahn. Im Jahr 2000 schließt sie ihre Promotion an der Berliner Charité ab. 17 Jahre später habilitiert sie sich an der Universität Potsdam. „Zum Glück hatte ich immer wieder Mentorinnen, Kolleginnen und Vorgesetzte, die mich unterstützt haben!“
Nach zahlreichen befristeten Projekten schätzt Birgit Kersten ihre Festanstellung als wissenschaftliche Mitarbeiterin. Außerdem lehrt sie als Privatdozentin an der Universität Hamburg. „Die Lehre finde ich spannend. Und sie berechtigt mich offiziell, Promovierende extern zu betreuen“
Die Wissenschaftlerin am Thünen-Institut für Marktanalyse lebt auf zwei Kontinenten.
Gerade hat Mavis Boimah einen Monat bei ihrer Familie in Ghana verbracht. Seit drei Jahren lebt sie zwei Leben: ihr berufliches in Braunschweig am Thünen-Institut für Marktanalyse und ihr familiäres in Ghana. Genau genommen pendelt sie sogar regelmäßig zwischen Ghana, Deutschland und dem Senegal, den sie wie ihre Heimat regelmäßig für das IMMPEX-Projekt besucht. Vor Ort befragt sie Akteure der Wertschöpfungskette und Stakeholder der Geflügel- und Milchwirtschaft sowie Verbraucher mit dem Ziel, die Auswirkungen von Milch- und Geflügelimporten auf Entwicklungsländer zu verstehen. Die Daten bilden die Grundlage für die Beratung z.B. des Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in der internationalen Handelspolitik.
„Ich wollte schon immer einen größeren Beitrag zu evidenzbasierten politischen Lösungen für die dringendsten Probleme der Welt leisten - Klimawandel, Nachhaltigkeit und Fairness in der globalen Landwirtschaft. Schade ist nur, dass meine Familie nicht auch in Deutschland lebt.“ Ihr Mann und ihre drei Kinder leben in der ghanaischen Hauptstad Accra. Dort hat Mavis Boimah Agrarökonomie studiert und anschließend promoviert. Etwa alle sechs Monate sieht sie für einen Monat ihre Familie. Zurück in Braunschweig nimmt sie dank Video-Chat täglich live am Familienleben teil.
Auch wenn die Abschiede und die langen Trennungsphasen hart sind, sieht sie das Positive: „Ich kann meinem Wunschberuf nachgehen. Und ich schätze die fairen und klaren Strukturen in Deutschland. Mein Weg ist auch eine wertvolle Erfahrung für die ganze Familie.“ Trotz der Herausforderungen kann sie sich vorstellen, weiterhin in Deutschland zu arbeiten. „Im besten Fall als Familie. Es wäre toll, wenn es mehr Unterstützung für das Nachkommen von Familien gäbe.
Mein Rat an "Women in Science“: unterschätzt Euch nicht! Baut Selbstvertrauen auf, knüpft Kontakte zu anderen Frauen in diesem Bereich, die ihr als Vorbilder seht und feiert jeden Meilenstein. Jeder Beitrag, wie klein er auch sein mag, ist wichtig für die Wissenschaft. Familienleben und Beruf zu vereinen ist schwierig, aber mit einer guten Prioritätensetzung kann man ein gutes Gleichgewicht finden.“
Die Expertin für Waldanpassung weiß, wie es den Bäumen geht
Wenn Bäume sprechen, dann mit Dr. Tanja Sanders: Im brandenburgischen Wald stehen Bäume, die täglich an die Wissenschaftlerin und ihr 17-köpfiges Team im Thünen-Institut für Waldökosysteme melden, wie es ihnen geht. Einer dieser Bäume hat seinen Zustand eine Zeit lang sogar per Twitter veröffentlicht. Auf der Intensiv-Messfläche in Britz werden unter anderem Methoden zur elektronischen Datenübertragung, aber auch der Fernerkundung via Drohne und Satellit getestet.
Zu wissen, wie es dem Wald geht, ist in Zeiten des Klimawandels essentiell geworden. Welche Baumarten passen sich wie und wie schnell an die Veränderungen an? Mit derartigen Fragen zur Waldanpassung beschäftigt sich die Geografin und Soziologin Sanders schon ein ganzes Forscherleben lang. Dabei wollte sie eigentlich in die Entwicklungshilfe gehen oder zur Zeitung. „Ich wollte in jedem Fall etwas bewegen“, erzählt sie. Dann allerdings haben sie die Bäume gefunden. Nach dem Diplom zog sie ins Vereinigte Königreich, um dort ein Jahrring-Labor mit aufzubauen und ihre Promotion anzufangen. Seit 2011 ist sie am Thünen-Institut für das Intensive Forstliche Monitoring tätig, seit 2018 als Arbeitsbereichsleiterin Ökologie und Walddynamik.
Tanja Sanders hat erfolgreich Karriere in der Wissenschaft gemacht, obwohl sie ihre beiden Söhne streckenweise allein großgezogen hat. Die Bedingungen dafür sieht sie kritisch: „Frauen sind qualifiziert genug, aber die Arbeit in Wissenschaftsbetrieben ist uninteressant, zu viele Dienstreisen, zu viele Abendtermine, zu vieles, was man gleichzeitig im Kopf haben muss.“ Die meiste Familienarbeit hänge nach wie vor an den Müttern. Gleichzeitig sind Frauen und Karriere ein schwieriges Duo. „Frauen ticken anders als Männer. Sie bringen sich nur selten aktiv für eine Führungsrolle in Position“, sagt Sanders. Deshalb versuche sie, die Männer zu sensibilisieren, die Frauen nicht zu übersehen und sie aktiv zu Karrieresprüngen zu motivieren. Deshalb engagiere sie sich auch für junge Leute, vermittelt ihnen Wissen über ihre Forschung, ob live vor Ort oder per Video-Chat. Tanja Sanders will etwas bewegen, noch immer.
Arbeitsgruppenleiterin in einer Männerwelt
Ihr Weg als Wissenschaftlerin hat sich auf einem portugiesischem Fischkutter aufgetan: „Bei den Ausfahrten habe ich verstanden, was es bedeutet, von der Fischerei zu leben“, erzählt Dr. Sarah Simons. Bereits während ihrer Masterarbeit am renommierten US-amerikanischen Northeast Fisheries Science Center der NOAA hat sie daher zu Beifangvermeidung in der Fischerei gearbeitet. Nach zweieinhalb Jahren im Ausland kehrte sie schließlich nach Deutschland zurück und wurde eine der ersten Doktorandinnen am Thünen-Institut für Seefischerei. Ergebnis ihrer Promotion war ein innovativer Modellansatz, der aktuell in internationalen Gremien zur Folgenabschätzung des Klimawandels und zukünftiger Managementmaßnamen angewendet wird. Seit 2020 ist sie am Institut für Seefischerei als Arbeitsgruppenleiterin vor allem für ökonomische und soziale Analysen in der Fischwirtschaft verantwortlich. „Themen zu finden, die relevant werden könnten und dabei auch noch anwendungsorientiert zu forschen – das ist genau mein Ding“, sagt die Wissenschaftlerin.
Der Start als Führungskraft war alles andere als leicht: Die Stelle hat Sarah Simons während der Corona-Pandemie und nach der zweiten Elternzeit übernommen. Ein individuelles Coaching, flexible Arbeitszeiten, Homeoffice und die konsequente Arbeitsteilung zu Hause helfen ihr, die Aufgabe zu meistern. „Als Mutter kleiner Kinder, die Vollzeit arbeitet, bin ich in der Nachbarschaft eine Exotin. Und mein Mann ist es auch, weil wir uns die Familienarbeit fifty-fifty teilen“, erzählt sie lachend.
Ihre Arbeitsgruppe ist schnell gewachsen – der Bedarf, den Fischereisektor nachhaltig zu gestalten und umweltfreundliche Lösungen in die Praxis zu bringen, ist größer denn je. „Ich bin stolz, ein so vielfältiges Team leiten zu dürfen. Wir sind 13 kluge Köpfe von jung bis erfahren, Männer und Frauen aus diversen Fachrichtungen, von Biologie bis zur Sozialwissenschaft“, berichtet Sarah Simons. Wenn sie sich vertreten lässt, wechselt sie gerne mal die Stellvertretenden. So übernimmt jeder und jede Verantwortung für die Arbeitsgruppe und alle haben den gleichen Wissensstand. Das habe sie sich in den USA abgeschaut, wo junge Leute viel gleichberechtigter im Wissenschaftsbetrieb seien als in Deutschland. Ihr Antrieb hinter all dem: „Ich möchte ein gerechteres System schaffen.“
Stellvertreterin in Teilzeit
Lange Zeit war Dr. Janine Pelikan vom Institut für Marktanalyse die einzige stellvertretende Leiterin in einem der 15 Thünen-Fachinstitute. Seit wenigen Wochen hat sie mit Dr. Anja Kuenz eine Kollegin am Institut für Agrartechnologie. „Die wissenschaftliche Arbeit macht mir sehr viel Spaß. Und ich bin gern mit meinen Kolleginnen und Kollegen zusammen“, sagt Janine Pelikan. Aber sie betont: „Ich habe auch eine Familie, die mir eine große Stütze ist und den Ausgleich zu den vielen Herausforderungen schafft. Sie hilft mir, einen guten Job zu machen. Meine Familie und die Arbeit in Einklang zu bringen, ist mir sehr wichtig."
Damit die Balance im Alltag gelingt, wird die Familienarbeit gleichmäßig auf die Schultern von Vater und Mutter verteilt. Ihr Mann, ebenfalls Wissenschaftler am Thünen-Institut, arbeitet wie Janine Pelikan in Teilzeit. Beide halten sich gegenseitig den Rücken frei, damit beispielsweise auch mehrtägige Dienstreisen möglich sind. „Natürlich fehlt immer irgendwo ein bisschen Zeit“, sagt die Agrarökonomin, deren Forschungsbereich der internationale Agrarhandel ist. Grundsätzlich seien für ihre Arbeit die gute Zusammenarbeit mit Institutsleiter Dr. Martin Banse und mit dem Team im Institut für Marktanalyse wichtig. Dort arbeiten mehr Frauen als Männer, insgesamt herrscht eine große Vielfalt in Bezug auf Altersstruktur und Nationalitäten unter den Beschäftigten. „Diese Diversität bereichert die Arbeit und fördert das Verständnis für unterschiedlichste Lebensentwürfe“, sagt Pelikan.
Bevor Janine Pelikan im Jahr 2004 ans heutige Thünen-Institut kam, hat sie in Kiel Agrarwissenschaften und in Norwegen ein Semester Umweltökonomie studiert und in Gießen promoviert. Schon während der Promotion hat sie die damalige Leiterin des Instituts und heutige Präsidentin der Leibniz-Gemeinschaft, Prof. Dr. Martina Brockmeier, auf eine Dauerstelle geholt. Für Janine Pelikan ist ihre ehemalige Chefin noch heute ein wichtiges Role Model.
Institutsleiterinnen am Thünen-Institut
Hiltrud Nieberg (60) und Christina Umstätter (48) leiten zwei der 15 Fachinstitute am Thünen-Institut. Der Frauenanteil unter ihren Wissenschaftler*innen ist sehr unterschiedlich. Im Institut für Betriebswirtschaft, das Hiltrud Nieberg seit zwölf Jahren leitet, liegt er bei fast 50 Prozent. Im Institut für Agrartechnologie, das Christina Umstätter 2021 übernommen hat, gibt es nur zwei Frauen unter elf Wissenschaftler-Kollegen mit unbefristeten Stellen.
Landwirtschaft scheint nach wie vor Männersache zu sein. 36 Prozent der Beschäftigten in der deutschen Landwirtschaft sind laut Landwirtschaftszählung weiblich. Aber nur jeder neunte Betrieb wird von einer Frau geführt. Der tatsächlichen Rolle von Frauen in der Landwirtschaft werden die Zahlen der Agrarstatistik jedoch nicht gerecht. Das zeigen erste Ergebnisse der Studie zur Lebens- und Arbeitssituation von Frauen in der Landwirtschaft, die das Thünen-Institut und die Universität Göttingen gemeinsam durchführen.
In der Wissenschaft ergibt sich ein ähnliches Bild: Zwar studieren viele Frauen Agrarwissenschaften, der Anteil liegt ungefähr bei der Hälfte der Studierenden. Aber je höher die Position wird, desto weniger Frauen sind noch sichtbar. „Auch in landwirtschaftlichen Gremien dominieren die Männer, in Diskussionsveranstaltungen oder Meetings bin ich oft eine der ganz wenigen Frauen“, sagt Hiltrud Nieberg. Sie hat aber auch in Gremien wie der Zukunftskommission Landwirtschaft mitgewirkt und ist seit Jahren Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim BMEL – Gremien mit bereits nahezu paritätischer Besetzung.
Frauen in der Wissenschaft zu fördern bedeutet nach Ansicht von Hiltrud Nieberg und Christina Umstätter, dass man Frauen vor allem ermutigen muss, sich für eine Karriere in der Wissenschaft zu entscheiden und zu qualifizieren. „Frauen muss man viel mehr in ihrem Selbstbewusstsein fördern, sie zweifeln zu oft an ihren Fähigkeiten“, sagt Christina Umstätter, die sich mehr gestalterische Spielräume bei der Neubesetzung von Stellen wünscht. Das komme der Höherqualifizierung von Frauen zugute.
Beide Institutsleiterinnen sehen ihre eigene Position als wichtiges Vorbild. Ihre Botschaft an junge Wissenschaftlerinnen: „Traut euch, seid stets neugierig und lasst euch nicht von alten Rollenbildern abhalten, eure Ziele zu verfolgen.“
Fahrtleiterin des Ostseesprotten-Akustiksurveys
Wenn eine junge Wissenschaftlerin auf einem kommerziellen Fischereifahrzeug eine der wichtigsten Forschungsfahrten des Jahres leitet – dann ist das noch immer nicht alltäglich. 2021 hat Fischereibiologin Stefanie Haase (27) vom Thünen-Institut für Ostseefischerei den Internationalen Ostseesprotten-Akustiksurvey als Fahrtleiterin auf dem modernsten Fahrzeug der deutschen Fischerei, der Kristin, geleitet.
Um Vorurteilen gegenüber Frauen an Bord zu begegnen, haben ihr geholfen: klare Ansagen und jede Menge Wissen. Das bringt sie auch in zwei Arbeitsgruppen des ICES zur Bestandsberechnung der Ostseesprotte ein. Am Thünen-Institut für Ostseefischerei ist die Fischereibiologin schon seit ihrem ersten Praktikum mit 14 Jahren aktiv. Und eine Exotin ist sie in der dortigen Fischereiforschung auch nicht mehr: Dort besetzen Wissenschaftlerinnen inzwischen 50 Prozent der Stellen.
Über ihre Erfahrungen auf dem Fischereischiff hat Stefanie Haase ein Seetagebuch geschrieben.
Expertin für Plastik in der Umwelt
Über das Thema Gewässerschutz, das sie 2017 als Wissenschaftlerin ans Thünen-Institut für Ländliche Räume führte, hat sich Elke Brandes in den vergangenen fünf Jahren einen ganz neuen Arbeitsbereich erschlossen. Heute ist die promovierte Biologin Expertin in dem noch recht jungen Forschungsbereich Plastik in der Umwelt.
Die Projekte MicroCatch_Balt und PLAWES, die sie seit 2017 betreut, sind im letzten Jahr zu Ende gegangen – mit spannenden Erkenntnissen. Es wurde erstmals die räumliche Verteilung von Mikroplastikeinträgen in landwirtschaftliche Böden abgeschätzt; bundesweit und im Detail für die Einzugsgebiete der Weser und Warnow. Elke Brandes nutzt auch soziale Medien, um ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse zu teilen und sich zu vernetzen. Damit sie weiter zum Thema Mikroplastik forschen kann, hat sie vor kurzem einen Projektantrag bei der DFG eingereicht.
Wissenschaft oder Wirtschaft? Elke Brandes kennt beide Seiten. Nach ihrer Promotion 2007 am Institut für Forstbotanik und Baumphysiologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg arbeitete sie einige Jahre für medizinische Unternehmen. 2013 kehrte sie jedoch in die Forschung zurück. Vor ihrer Tätigkeit am Thünen-Institut forschte sie an der Iowa State University in den USA zu Auswirkungen von vielfältigen Agrarlandschaften auf die Umwelt und die Wirtschaftlichkeit der Betriebe.
Spezialistin für die Holzartenbestimmung in Fasern und Papier
Bevor Andrea Olbrich zur Familiengründung von Göttingen nach Hamburg zog, hat sie sich eine Frage nicht ohne Sorge gestellt: Wie geht es beruflich weiter – als promovierte Biologin mit den Schwerpunkten Botanik und Mikroskopie? In der Holzartenbestimmung am Thünen-Institut für Holzforschung hat Olbrich ihre neue Heimat gefunden. Neben 12 Kollegen ist sie die einzige Wissenschaftlerin mit Planstelle.
Andrea Olbrich arbeitet in der Holzartenbestimmung und als Leiterin der Elektronenmikroskopie. Ihr Forschungsbereich ist die Holzartenbestimmung in Papier und Faserplatten. Die Biologin hat die Methode ans Thünen-Institut geholt und dort neue Referenzen aufgebaut, die nun dabei helfen, illegales Holz auch in Fasermaterialien zu erkennen. Ihr neuestes Projekt: die Holzartenerkennung mithilfe von KI-Systemen zu automatisieren.
Vor ihrer Tätigkeit an der Uni Hamburg und dem Thünen-Institut hat Andrea Olbrich im wissenschaftlichen Service der Abteilung Forstbotanik und Baumphysiologie am Büsgen-Institut der Georg-August-Universität Göttingen gearbeitet. Von 1994 bis 2000 studierte sie Biologie an der Georg-August-Universität Göttingen, 2004 machte sie ihre Promotion an der Ruprecht-Karls Universität Heidelberg.
Mehr Infos zum Thema Holzartenbestimmung finden Sie auf den Seiten des Thünen-Kompetenzzentrums Holzherkünfte.
Über die Vielfalt der Kartoffel zum Biodiversitätsmonitoring
Über die Vielfalt der Kartoffel und kleinbäuerliche Lebensverhältnisse, die sie vor allem in Südamerika, Afrika und Europa erforscht hat, ist die Geoökologin Diana Sietz zur Spezialistin für die Wechselwirkungen von Biodiversität, Nahrung und Klima sowie die agrarökologische Transformation geworden. Als solche gehört sie zu den Hauptautor*innen des Nexus Assessment des Weltbiodiversitätsrates IPBES. Zudem leitet sie die Arbeitsgruppe „Archetype Analysis in Sustainability and Land Governance Research“ des Global Land Programme. Ihre Forschungen führten Sietz ans Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), an die UN-University – Institute for the Advanced Study of Sustainability in Japan, an das International Potato Center (CIP) in Peru und an die Universität Wageningen.
Mit ihrer Expertise in Biodiversität und Politikberatung entwickelt die Forscherin am Thünen-Institut für Biodiversität Grundlagen für die Umsetzung eines Biodiversitätsmonitorings in der Landwirtschaft mit.