Institut für
WF Waldwirtschaft
Projekt
Verlagerungseffekte der EU-Biodiversitätsstrategie 2030
Abschätzung möglicher Verlagerungseffekte durch Umsetzung der EU-KOM-Vorschläge zur EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 (EUBDS) auf Forstwirtschaft und Wälder in Drittstaaten
Übergeordnetes Ziel der EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 ist der Schutz der biologischen Vielfalt in den EU-Mitgliedsländern. Die Implementierung konkreter Maßnahmen im Wald wird die Rohholzproduktion in den EU-Mitgliedsländern reduzieren. Wir schätzen ab, welche Verlagerungseffekte das nach sich ziehen kann.
Hintergrund und Zielsetzung
Die EU-Biodiversitätsstrategie für 2030 (EUBDS) legt ihren Schwerpunkt auf die Wiederherstellung der biologischen Vielfalt durch verstärkten Schutz und Restaurierung natürlicher Ökosysteme. Schlüsselelemente sind u.a. die Schaffung von strengeren Schutzzonen auf mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresgebiete sowie ein strengerer Schutz der europäischen Primärwälder und Altholzbestände.
Die Implementierung konkreter Maßnahmen im Wald wird die Rohholzproduktion in den EU-Mitgliedsländern reduzieren. Es ist zu erwarten, dass in der Folge mindestens ein Teil der Rohholzproduktion in sogenannte Drittstaaten außerhalb der EU verlagert wird. Solche Verlagerungseffekte der EUBDS bergen die Gefahr, dass die Biodiversität in den betreffenden Drittstaaten abnehmen wird. Die durch die Unterschutzstellung erzielten positiven Biodiversitätseffekte in der EU könnten somit durch negative Effekte in Drittstaaten mit weniger nachhaltiger Waldbewirtschaftung konterkariert werden.
Konkrete Risiken bestehen in einer zunehmenden Gefährdung bedrohter Arten, einer Abnahme intakter Waldflächen, einer Zunahme degradierter Landflächen und in verstärkter Nettoentwaldung. Vor diesem Hintergrund ist die Untersuchung der globalen Wirkung der EUBDS ein wichtiges Thema. Ziel des Projektes ist es, mögliche Verlagerungseffekte der Rohholzproduktion von der EU in andere Länder zu quantifizieren und damit verbundene Folgen anhand von Indikatoren zu Governance, nachhaltiger Waldbewirtschaftung, biologischer Vielfalt, Waldzustand, Entwaldungsdruck und sozio-ökonomischen Aspekten zu beurteilen.
Zielgruppe
Politik, Wissenschaft, Gesellschaft
Vorgehensweise
Im Jahr 2020 hat das Thünen-Institut eine erste Abschätzung zur möglichen Verminderung des Rohholzangebots in Deutschland und der EU vorgenommen. Daraus resultierende Effekte für den globalen Holzmarkt wurden mit Hilfe eines partiellen Gleichgewichtsmodells simuliert und die Auswirkungen auf betroffene Drittstaaten bewertet. Die Ergebnisse dieser ersten Abschätzung sind in deutscher und englischer Sprache als Thünen Working Paper 159 (en) und Thünen Working Paper 159a (de) erschienen.
Diese Studie wurde auf der Grundlage neuer Daten und unter Berücksichtigung zweier alternativer Umsetzungsszenarien der EUBDS überarbeitet, erweitert und aktualisiert. Im Vergleich zur Vorstudie zeigen die beiden Umsetzungsszenarien eine Bandbreite möglicher Veränderungen der Schutzgebietsfläche, der daraus resultierenden Rundholzproduktion und der damit verbundenen Verlagerungseffekte.
Daten und Methoden
Die Quantifizierung der Verlagerungseffekte erfolgt mit Hilfe des am Thünen-Institut weiterentwickelten Global Forest Products Model (GFPM), einem globalen Holzmarktmodell. Die globalen Holzströme werden in einem Referenzszenario und in den beiden alternativen Szenarien zur Umsetzung der EUBDS berechnet. Aus der Differenz des Holzeinschlages zwischen Referenz- und alternativen Szenarien werden die Verlagerungseffekte für einzelne Länder abgeleitet.
In einem weiteren Schritt analysiert das TI-WF, wie die Verlagerung der Rundholzproduktion möglicherweise die Biodiversität in anderen Ländern beeinflusst.
Ergebnisse
Die Modellsimulation beginnt im Jahr 2017 und rechnet bis 2050. Die Studie "Assessment of Possible Production Leakage from Implementing the EU Biodiversity Strategy on Forest Product Markets" zeigt, dass in einem Referenzszenario die EU-Rohholzproduktion von knapp 474 Mio. m³ im Jahr 2017 auf 539 Mio. m³ bis 2030 steigen könnte. Bei Umsetzung der EUBDS-Maßnahmen läge die EU-Rohholzproduktion 2030 im moderaten Szenario bei 490 Mio. m³ (-9%) im und im intensiven Szenario bei 281 Mio. m3 (-48%). Während bis 2050 für das Referenzszenario eine Steigerung der Rohholzproduktion auf 586 Mio. m3 simuliert wird, reduziert sich die Rohholzproduktion in den EUBDS-Szenarien prozentual weiter auf -58% (521 Mio. m3) und -10% (247 Mio. m3) im moderaten und intensiven Szenario. Im Vergleich zur Ausgangsituation steigt im moderaten Szenario die Rohholzproduktion über das Niveau von 2017, sinkt im intensiven Szenario jedoch deutlich darunter.
Die EU-Produktion von Holzprodukten legt im Referenzszenario deutlich zu. Eine eingeschränkte Verfügbarkeit von Rohholz in den EUBDS Szenarien würde jedoch dazu führen, dass die Herstellung von Holzprodukten weniger stark wächst: Im moderaten Szenario werden zwar ebenfalls positive Zuwachsraten erzielt, im intensiven Szenario ist das Produktionswachstum aber stagnierend bis rückläufig. Trotzdem würde der rechnerische Verbrauch der Holzprodukte innerhalb der EU nicht spürbar unter jenen des Referenzszenarios sinken. Dies ist vor allem auf geringere Exportmengen und - im Falle von einigen Produktgruppen - auf höhere Importe zurückzuführen.
Die vergleichsweise geringere EU-Rundholzproduktion in den beiden EUBDS Szenarien würde zu etwa 50-60 % durch eine steigende Produktion in Nicht-EU-Ländern (v. a. USA, Russland, Kanada, China und Brasilien) ausgeglichen. Teilweise unterscheiden sich die Standards der Waldbewirtschaftung dieser Länder von der EU. Der nicht durch andere Länder ausgeglichene Teil der geringeren EU-Produktion (etwa 40-50 %) wird weltweit nicht mehr produziert.
Eine verringerte Verfügbarkeit von Holz und Holzprodukten könnte dazu führen, dass vermehrt Produkte aus z. B. Beton, Stahl oder Aluminium verwendet werden, die, zumindest aktuell, eine schlechtere Klimabilanz als Holzprodukte haben. Damit könnte der beabsichtigte Nutzen für den Biodiversitätsschutz in der EU auch durch Nachteile im EU-Klimaschutz erkauft sein. Unsere Studie zeigt auch, dass das Ausmaß der Auswirkungen stark davon abhängt, wie stark die Nutzung der Waldressourcen tatsächlich eingeschränkt wird.
Die Studie "Potential leakage of biodiversity risks under the EU Biodiversity Strategy 2030" verwendet verschiedene Biodiversitätsindikatoren, um die länderspezifische Vulnerabilität zu quantifizieren. Für die Biodiversitäts-Risikobewertung werden die einzelnen Indikatorwerte mit den Ergebnissen der oben genannten Studie über die veränderte Holzproduktion im Rahmen der EUBDS-Umsetzung gewichtet. Die meisten Indikatoren deuten auf eine zunehmende Vulnerabilität der hießigen Biodiversität in den betroffenen Nicht-EU-Ländern hin. Die Rundholzproduktion würde in Länder verlagert, die im Durchschnitt eine schlechtere Regierungsführung, ein geringeres politisches Bewusstsein und eine weniger nachhaltige Waldbewirtschaftung aufweisen. Diese Länder haben zwar immer noch mehr natürliche Lebensräume und intakte Waldlandschaften, aber ein höheres Risiko des Artensterbens und einen geringeren Anteil an Schutzgebieten.
Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass zusätzliche Schutzmaßnahmen erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die Umsetzung von EUBDS nicht zu einer Beeinträchtigung von Ökosystemen an anderer Stelle führt. Wir kommen ferner zu dem Schluss, dass eine wirksame Landnutzungsplanung erforderlich ist, um ein Gleichgewicht zwischen Naturschutzprogrammen und Rundholzproduktion herzustellen.
Project brief:
- Ausweitung von Waldschutzgebieten in Europa gefährdet die Biodiversität global. Project brief 2024/07 (DE) | Richard Fischer et al.:
DOI:10.3220/PB1708672364000
Thünen-Ansprechperson
Thünen-Beteiligte
- Dieter, Matthias WF Institut für Waldwirtschaft
- Fischer, Richard WF Institut für Waldwirtschaft
- Günter, SvenWF Institut für Waldwirtschaft
- Iost, SusanneWF Institut für Waldwirtschaft
- Schweinle, Jörg WF Institut für Waldwirtschaft
- Seintsch, Björn WF Institut für Waldwirtschaft
- Weimar, Holger WF Institut für Waldwirtschaft
- Zhunusova, ElizaWF Institut für Waldwirtschaft
Ehemalige Thünen-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Zeitraum
5.2020 - 1.2024
Weitere Projektdaten
Projektstatus:
abgeschlossen
Publikationen
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Fischer R, Schier F, Zhunusova E, Günter S, Iost S, Schweinle J, Weimar H, Dieter M (2024) Ausweitung von Waldschutzgebieten in Europa gefährdet die Biodiversität global. Hamburg: Thünen-Institut für Waldwirtschaft, 1 p, Project Brief Thünen Inst 2024/07, DOI:10.3220/PB1708672364000
- 1
Fischer R, Schier F, Zhunusova E, Günter S, Iost S, Schweinle J, Weimar H, Dieter M (2024) Expansion of forest protection areas in Europe endangers biodiversity globally. Hamburg: Thünen Institute of Forestry, 1 p, Project Brief Thünen Inst 2024/07a, DOI:10.3220/PB1708672725000
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Fischer R, Zhunusova E, Günter S, Iost S, Schier F, Schweinle J, Weimar H, Dieter M (2024) Leakage of biodiversity risks under the European Union Biodiversity Strategy 2030. Conserv Biol 38(3):e14235, DOI:10.1111/cobi.14235
- 3
Schier F, Iost S, Seintsch B, Weimar H, Dieter M (2022) Assessment of possible production leakage from implementing the EU Biodiversity Strategy on forest product markets. Forests 13(8):1225, DOI:10.3390/f13081225
- 4
Schier F, Iost S, Seintsch B, Weimar H, Dieter M (2022) Wo kommt künftig das Holz her? Bauernzeit 63(35):8-9
- 5
Dieter M, Weimar H, Iost S, Englert H, Fischer R, Günter S, Morland C, Roering H-W, Schier F, Seintsch B, Schweinle J, Zhunusova E (2020) Abschätzung möglicher Verlagerungseffekte durch Umsetzung der EU-KOM-Vorschläge zur EU-Biodiversitätsstrategie auf Forstwirtschaft und Wälder in Drittstaaten. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 85 p, Thünen Working Paper 159a, DOI:10.3220/WP1604417204000
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Dieter M, Weimar H, Iost S, Englert H, Fischer R, Günter S, Morland C, Roering H-W, Schier F, Seintsch B, Schweinle J, Zhunusova E (2020) Assessment of possible leakage effects of implementing EU COM proposals for the EU Biodiversity Strategy on forests and forest management in non-EU countries. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 80 p, Thünen Working Paper 159, DOI:10.3220/WP1604416717000