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Interview

„Wir benötigen eine Maßnahmen-Architektur für das ganze Land“

Folkhard Isermeyer mit Bärbel Tiemeyer, Johannes Wegmann und Bernhard Osterburg (Wissenschaft erleben 2023/1)


AK Institut für Agrarklimaschutz
LV Institut für Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen KB Stabsstelle Klima und Boden

Rund 5 Prozent unserer landwirtschaftlichen Nutzfläche sind entwässerte Moorböden. Die Wiedervernässung dieser Böden rückt auf der klimapolitischen Agenda immer weiter nach oben. Welche Herausforderungen sich dabei stellen und wie ein Lösungsweg aussehen könnte, wird im Thünen-Institut interdisziplinär untersucht. Wir sprachen mit Bärbel Tiemeyer (BT), Johannes Wegmann (JW) und Bernhard Osterburg (BO).

Warum wird die Wiedervernässung immer wichtiger?

JW: Die Nutzung dieser Böden verursacht rund 7 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen Deutschlands. Wenn Deutschland zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein will, ist es unausweichlich auch diese Emissionsquelle schrittweise abzustellen.

BO: Hierbei sollten wir auch bedenken, dass die Moorböden durch die landwirtschaftliche Nutzung immer weiter absacken. Man könnte also die bisherige Bewirtschaftung nur fortsetzen, wenn man immer mehr Geld in die Entwässerung investiert. Das wäre angesichts der klimapolitischen Herausforderungen genau der falsche Weg.

BT: Hinzu kommt, dass insbesondere die Ackerböden degradieren und an Wert verlieren. In den ersten Jahren der Nutzung sind sie durchaus fruchtbar, später sorgen die Mikroorganismen aber für eine immer ungünstigere Bodenstruktur: Es bilden sich Risse und Klumpen, außerdem wird der Boden pulverig und kann immer weniger Wasser aufnehmen oder abgeben.

Bildet sich die Degradation zurück, wenn wir wiedervernässen?

BT: Nein, diese Bodenschicht bleibt. Aber die Wiedervernässung führt dazu, dass der Kohlenstoffabbau und damit auch die Emissionen gestoppt werden und dass sich auf der degradierten Unterlage wieder neues Moor aufbauen kann.

Wie können wir uns künftige Zielbilder für wiedervernässte Standorte vorstellen?

JW: Wir müssen uns klarmachen, dass es hier nicht um einzelne landwirtschaftliche Felder oder Betriebe geht, sondern um ganze Landschaften. Wird für eine solche Landschaft eine Wiedervernässung angestrebt, ist eine Grundsatzentscheidung zu treffen, ob das Moor ungestört wachsen soll oder ob eine nasse Nutzung erfolgen soll.

BT: Wie diese Nutzung aussehen kann, hängt vom Standort ab. Ungefähr 14 % aller Moorböden sind Hochmoore, also Standorte, auf denen der Moorkörper nur durch Regenwasser gespeist wird. Hier wachsen Torfmoose, die für den Torfersatz im Gartenbau eine große Bedeutung haben können. Wo Torfmoos geerntet wird, kann sich zwar kein mächtiger Moorkörper aufbauen, aber der Kohlenstoffabbau wird gestoppt und es bildet sich trotz der Nutzung ein hochwertiges hochmoortypisches Artenspektrum.

Und welche Zielbilder sehen Sie für Niedermoorstandorte?

BO: Hier ist die Standortvielfalt größer, allein schon in Bezug auf die Hydrologie. An einigen Standorten genügt es die Pumpen abzustellen, an anderen müssten neue Dämme gebaut werden. Als Paludikultur kommt hier vor allem der Anbau von Rohrkolben oder Schilf in Betracht, die zum Beispiel im Bausektor als Dämmstoff eingesetzt werden können.

BT: Vielleicht ist es aber auch effizienter abzuwarten, welche Pflanzengesellschaften sich entwickeln, und dann die gemischten Aufwüchse zu ernten und einer industriellen Verarbeitung zuzuführen. Hier gibt es noch viel Forschungsbedarf, in Bezug auf Erntetechnik, Verarbeitungstechnik oder auch Baugesetzgebung.

Wie beurteilen Sie den Vorschlag, Freiflächen-Photovoltaik bevorzugt auf Moorböden zu lenken?

JW: Grundsätzlich ist das ein sinnvoller Ansatz, weil eine doppelte Klimaschutzrendite erzielt wird: Weniger Treibhausgasemissionen, und zugleich mehr Solarstrom. Die hohe Rentabilität der PV-Anlagen kann Finanzmittel generieren, die prinzipiell genutzt werden könnten, um das gesamte Wiedervernässungsprojekt voranzubringen. Dafür ist aber ein geeigneter regulatorische Rahmen nötig.

BO: Nach derzeitiger Rechtslage kann es bei PV-Anlagen außerhalb der EEG-Förderung passieren, dass eine Kommune einem Bebauungsplan zustimmt und diese Anlage dann auf einer noch trockenen Fläche installiert wird. Dadurch entsteht eine Sperrfläche, die später die Wiedervernässung des gesamten Gebiets verhindert. Was wir benötigen, sind Betreibermodelle, die das Gesamtgebiet und die verschiedenen Nutzerinteressen im Blick haben, auch den Naturschutz und auch die Landwirte mit Pachtflächen. In solchen Modellen sollte ein Teil des Finanzüberschusses der PV-Anlage dem Gesamtprojekt und den verschiedenen Betroffenen zugutekommen.

Welche Aufgaben hat das Thünen-Institut in diesem Forschungs- und Politikfeld?

BT: Wir sind hier seit über einem Jahrzehnt unterwegs, haben viel Erfahrung aufgebaut und viele Projekte durchgeführt, auch in Zusammenarbeit mit einzelnen Bundesländern und Forschungspartnern wie dem Greifswald Moor Centrum. Ein Schwerpunkt unserer Arbeit ist das Moorbodenmonitoring, also die Einbeziehung der Moorböden in die nationale Treibhausgasberichterstattung. Außerdem haben wir viele Projekte zur Wiedervernässung bearbeitet, zum Beispiel zur Unterflurbewässerung oder zu Paludikulturen.

BO: In letzter Zeit ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit immer wichtiger geworden. Im ROVER-Projekt arbeiten wir jetzt institutsübergreifend an einer Roadmap zur Wiedervernässung. Hier geht es neben den naturwissenschaftlichen Fragen auch sehr stark um die soziökonomischen und juristischen Herausforderungen. Wenn wir Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein wollen, benötigen wir möglichst bald eine Maßnahmen-Architektur, die nicht nur für einzelne Pilotprojekte tragfähig ist, sondern für das ganze Land.

Vielen Dank für das Gespräch.

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