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Interview

„Landwirte langfristig für das bezahlen, was die Gesellschaft von ihnen erwartet“

Anja Martini mit Folkhard Isermeyer (für tagesschau24) | 16.01.2024

Die Bauern wehren sich gegen zu viel Bürokratie und das Kürzen von Subventionen. Wie moderne, umweltfreundliche Landwirtschaft aussehen könnte, erklärt der Präsident des Thünen-Instituts, Prof. Folkhard Isermeyer, auf tagesschau24.

Wir alle wünschen uns qualitativ hochwertige Lebensmittel. Das sollen unsere Produkte vom Feld sein, aber auch unsere tierischen Produkte, die wir essen oder bzw. die von den Tieren kommen. Also zum Beispiel Eier oder Milch. Wie kann es funktionieren, dass diese Produkte eine hohe Qualität bekommen?

Wenn wir die deutsche Bevölkerung fragen, was ist ihnen eigentlich besonders wichtig an der Landwirtschaft, dann sagen die meisten: Ein ordentlicher Umgang mit den Nutztieren. Und wenn wir dann fragen, wo seht ihr die größten Defizite in der Landwirtschaft? Dann sagen sie: Beim ordentlichen Umgang mit den Nutztieren. Das heißt also tatsächlich, dass Tierwohl ein zentrales Thema ist. Und hier sind wir alle kleine Sünderlein. Das heißt, morgens greifen wir zum Billigen im Supermarkt. Und wenn wir dann abends im Fernsehen die Zustände in der heutigen Tierhaltung sehen, dann sind wir nicht zufrieden. Aus diesem Dilemma müssen wir irgendwie rauskommen.

Wie kommen wir denn aus dem Dilemma raus?

Vielleicht überlegen wir erst mal, wie es nicht geht. Also einfach nur die Tierschutzgesetze erhöhen funktioniert deswegen nicht, weil wir hier in Deutschland bei offenen Agrarmärkten wirtschaften. Das heißt, unsere Landwirte stehen im internationalen Wettbewerb. Würden wir einseitig die Tierschutzgesetzgebung stark verschärfen, dann würde die Tierhaltung abwandern. Die Kennzeichnung der Produkte funktioniert teilweise. Sie können Neuland kaufen, sie können Bio kaufen, Tierschutzlabel kaufen und anderes mehr. Die Analysen zeigen aber, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung wirklich bereit ist, freiwillig tiefer in die Tasche zu greifen. Der Großteil der Bevölkerung kauft über den Preis.
Wir haben in der Wissenschaft einen dritten Weg erarbeitet. Ausgangspunkt ist, dass die Landwirte Planungssicherheit brauchen. Tierwohlställe verursachen Produktionskosten, die mindestens 30 Prozent höher sind als das, was bei normaler, weltmarktorientierter Produktion der Fall ist. Und kein landwirtschaftlicher Betrieb kann es sich leisten, einfach nur so in diese Richtung zu investieren.
Das heißt, diese Betriebe brauchen eine vom Staat zugesagte Tierwohlprämie, also ein Entgelt für diese Sonderleistung Tierwohl. Und das nicht nur ein, zwei oder drei Jahre, sondern mindestens zehn Jahre, möglichst 20 Jahre vertraglich zugesichert. Wenn das so aufgesetzt wird, dann werden sehr viele Betriebe und am Ende auch alle Betriebe den Weg in Richtung mehr Tierwohl gehen.

Das klingt jetzt ein bisschen so, als wenn Sie Subventionen verändern wollen.

Es sind keine Veränderungen von Subventionen. Es ist ein Versuch der Gesellschaft, die Landwirtschaft mit Geld zu etwas zu bewegen, was ohne Geld eben nicht herbeigeführt wird. Es geht eigentlich darum, dass sich der Staat die gesellschaftlich erwünschte Leistung „Tierwohl“ einkauft. Das ist nicht umsonst zu haben, sondern wir müssen uns überlegen, wo dieses Geld herkommen soll. Am Ende bräuchten wir bis zu vier Milliarden Euro pro Jahr, um die gesamte deutsche Nutztierhaltung bis zum Jahr 2040 auf ein hohes Tierwohlniveau zu bringen. Deswegen diskutieren wir über die Gegenfinanzierung. Und da liegt es natürlich nahe, die Konsumentinnen und Konsumenten von Fleisch und Milchprodukten zur Kasse zu bitten. So kommt es nun zur gesellschaftlichen Diskussion, einen Tierwohlcent einzuführen.
Da gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder man erhebt tatsächlich einen Tierwohlcent, sagen wir zwei Eurocent pro Liter Milch, vier Eurocent pro 100 Gramm Päckchen Wurst. Das aber hat aber den Nachteil, dass doch ein erheblicher bürokratischer Aufwand zu treiben ist. Wir müssen ja behördliche Voraussetzungen schaffen, um diese Gelder sachgerecht zu erheben. Die viel einfachere Variante wäre die Mehrwertsteueränderung. Im Augenblick zahlen wir für landwirtschaftliche Produkte in der Regel sieben Prozent. Man könnte die pflanzlichen Produkte runtersetzen auf null Prozent, die tierischen Produkte dann hochsetzen auf den Regelsteuersatz von 19 Prozent, und wir hätten dann per Saldo einen Betrag von einigen Milliarden Euro mehr im Bundeshaushalt bzw. den Länderhaushalten. Daraus könnte man dann die Tierwohlprämie für die Landwirte bezahlen.

Es gibt viele Subventionen aus europäischer Hand, und es gibt in Deutschland Subventionen. Wenn Sie auf die aktuelle Lage schauen, ist das der richtige Weg, den die Politik mit den Subventionen einschlägt – oder muss grundsätzlich etwas geändert werden?

Ich glaube, dass die Landwirte im Augenblick auch zunehmend Zweifel haben, ob der Weg noch richtig ist. Wir haben ja Milliardensubventionen, die wir verteilen. Aber das Grundprinzip besteht darin, dass im Grunde erst der große Geldregen verteilt wird, um dann aber ganz viele Auflagen an diese Subventionen zu koppeln. Da ist inzwischen eine Regelungsdichte erreicht, die sowohl die einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe überfordert, als auch manchmal die Behörden, die das Ganze ja umzusetzen haben.
Wir müssen immer bedenken, dass Landwirtschaft unter freiem Himmel stattfindet. Landwirtinnen und Landwirte müssen schnell reagieren können auf veränderte Wetterlagen, auf Schädlingsbefall, auf vieles andere mehr. Und das können sie eigentlich auf ihren Betrieben besser beurteilen als jede andere Person sonst. Deswegen ärgert es die Landwirte, wenn sie sowohl durch das Ordnungsrecht als auch durch die Subventionsgestaltung so kleinteilig reguliert werden.

Wie muss Subventionspolitik für die Landwirtschaft aussehen, damit sie weiter existieren kann und umweltfreundlich ist?

Wir sollten uns zunächst mal überlegen, ob diese Grundidee noch zeitgemäß ist, Landwirtschaft generell zu subventionieren und dann viele Auflagen an die Subventionen zu koppeln. Gerade die Gelder, die einfach nur so als Direktzahlungen pro Hektar ausgezahlt werden, sind in der Wissenschaft sehr umstritten. Es wäre zu überlegen, diese Direktzahlungen schrittweise zu senken. 60 Prozent aller landwirtschaftlichen Flächen sind gepachtete Flächen. Für diese Flächen wirken Direktzahlungen letztlich nicht anders als eine Grundeigentümer-Subvention. Es macht volkswirtschaftlich überhaupt keinen Sinn, Grundeigentümer auf der einen Seite mit der Grundsteuer zu besteuern und auf der anderen Seite mit der Agrarpolitik zu subventionieren.
Deswegen würde ich diese klassischen Subventionen tatsächlich auf einem Sinkflug setzen. Natürlich geht das nur mit längere Anpassungszeiten, denn viele haben ihre Lebensplanung ja auf die Verfügbarkeit dieser Gelder eingestellt. Aber perspektivisch sollten wir dies eher auslaufen lassen und sollten dann die Ökosystemleistungen, die die Gesellschaft von der Landwirtschaft erwartet, tatsächlich auch von der Landwirtschaft einkaufen. Also nicht subventionieren und rumregeln, sondern genau das einkaufen, was zur Verschönerung, Verbesserung, Ökologisierung unserer Agrarlandschaften benötigt wird.

Also wie stellt sich ein landwirtschaftlicher Betrieb jetzt auf, um wirklich überlebensfähig zu sein?

Im Augenblick müssen die Landwirte ja mit den Bedingungen leben, die sie vorfinden. Das sind diese vielen kleinteiligen Häppchen, die ihnen das derzeitige agrarpolitische Modell der Europäischen Union anbietet. Und deswegen ist „Farm the Program“ im Augenblick die Strategie. Das heißt, Landwirte überlegen sich, bei welchen Elementen sie in die Programme einsteigen sollten, das heißt, ob sie Eiweißpflanzen anbauen, ob sie Blühstreifen machen und dergleichen mehr. Die Landwirte können gar nicht anders, als sich dieser Politik im Augenblick anzuschließen und an Subventionen mitzunehmen, was sie eben mitnehmen können.
Aber das System ist auf Dauer zu kleinteilig, zu bürokratisch ausgerichtet. Deswegen richten sich meine Empfehlungen im Augenblick nicht an die Landwirtschaft, sondern an diejenigen, die für die künftige Agrarpolitik Verantwortung tragen.

Quelle:

Das Interview wurde bei tagesschau24 am 15.01.2024 gesendet und ist als Video und Text bei tagesschau.de online verfügbar.

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