Expertise
Nachhaltigkeitszertifizierung von Fischereiprodukten: Der Marine Stewardship Council
Christian von Dorrien | 03.06.2022
Ecolabelling ist ein Ansatz, Industrie, Handel, aber auch Verbraucherinnen und Verbraucher an der Förderung einer nachhaltigen Fischerei zu beteiligen. Das MSC-Siegel ist das älteste umfassende Nachhaltigkeits-Siegel für Meeresfischerei.
Anders als beim Bio-Siegel werden beim Ecolabelling in der Fischerei nicht bestimmte Eigenschaften des Produkts zugesichert (z.B. keine Pestizidrückstände), sondern garantiert, dass das Produkt bestimmten Nachhaltigkeitskriterien entsprechend produziert wurde. Die ersten dieser Siegel betrachteten allerdings nur Teilaspekte der Nachhaltigkeit, z.B. Beifänge einer bestimmten Tiergruppe, und berücksichtigen nicht einmal den Zustand des Zielbestandes. Ein Beispiel dafür ist das Label „Dolphin SAFE“ für Thunfisch, der vermeintlich ohne Beifänge von Delphinen gefangen wird.
Das erste umfassende Nachhaltigkeitssiegel für Meeresfischerei wurde Ende der 1990er Jahre entwickelt: Der Marine Stewardship Council (MSC) soll – genau wie alle nach ihm entwickelten Zertifizierungen auch – Verbraucherinnen und Verbraucher, Verarbeitungsunternehmen und Handel bei der Auswahl von Fischprodukten unterstützen und durch die Nutzung der Kräfte des Marktes für eine Verbesserung der Situation der Meere sorgen (theory of change).
Der MSC wurde von dem Umweltverband WWF und einem großen Verarbeiter von Fischprodukten (Unilever) gegründet, aber schon nach wenigen Jahren in die Unabhängigkeit entlassen. Das Wirtschaftsunternehmen hat sich an dieser Initiative vor allem deshalb beteiligt, weil es die Versorgung mit Rohware langfristig sicherstellen wollte, in einer Zeit, in der immer mehr Fischbestände durch Überfischung immer weniger Ertrag lieferten, gleichzeitig aber der Bedarf und die Verkaufspreise stiegen.
Der MSC mit Hauptsitz in London ist inzwischen der Inhaber des wichtigsten Ecolabeling-Standards für Wildfisch und ein gemeinnütziger Umweltverband nach dem Recht des Vereinigten Königreichs, er erzeugt also keine Gewinne. Die Einnahmen bestehen zu wesentlichen Teilen aus den Abgaben der Firmen, die das Logo verwenden, und aus philanthropischen Zuwendungen verschiedener Stiftungen. Sie werden vor allem für die Weiterentwicklung des Standards verwendet, nur ein sehr geringer Teil für Verwaltungskosten.
Der MSC-Standard hat drei Säulen, die von unabhängigen, aber akkreditierten Zertifizierern im Auftrag einer Fischerei angewendet werden:
- Prinzip 1: Zustand des Zielbestandes
- Prinzip 2: Umweltauswirkungen der Fischerei
- Prinzip 3: Managementsystem
Dieser Ansatz berücksichtigt, dass ein funktionierendes Management den größten Einfluss auf eine nachhaltige Bewirtschaftung von Wildfischbeständen hat. Eine Fischerei ist nur zertifizierbar, wenn sie in allen drei Prinzipien nachweist, dass sie nachhaltig operiert, also mindestens „Best Practice“ entspricht. In Einzelfällen kann das Label auch vergeben werden, wenn diese Kriterien noch nicht ganz erfüllt sind. Dann werden aber Bedingungen vereinbart, die jedes Jahr streng überprüft werden und spätestens innerhalb von fünf Jahren (dem Zertifizierungszeitraum) zum Erreichen des Best-Practice-Niveaus führen müssen.
Die Zertifizierung ist vollständig freiwillig: Die Fischerei zahlt den Zertifizierer (nicht den MSC) für die Bewertung und erhofft sich dafür entweder höhere Erlöse, wenn sie als eine der Ersten ein zertifiziertes Produkt anbieten kann (early adopters), oder einen Erhalt des Marktzugangs ohne finanzielle Einbußen (late adopters).
Der Standard ist so konzipiert, dass sich Interessengruppen auf verschiedenen Stufen in den Zertifizierungsprozess einbringen können und dass eine Ausgrenzung oder ein Ignorieren der Einwände dieser Interessengruppen keinen Vorteil für die Fischerei in der Begutachtung ergeben, sondern das Verfahren verteuern. Es gibt zu keinem Zeitpunkt eine direkte Verbindung zwischen dem MSC als Inhaber des Standards und der Fischerei, die zertifiziert werden möchte.
Der MSC-Standard wird vom Zertifizierer angewendet, der dafür von einer weiteren unabhängigen Einrichtung akkreditiert sein muss (third party certification). Diese Unabhängigkeit ist ein wesentliches Kriterium der FAO-Mindestkriterien für das Ecolabelling von Meeresfischereierzeugnissen.
Kritische Betrachtung
Das ganze System funktioniert nur dann, wenn genügend Nachfrage nach zertifizierten Produkten erzeugt wird. Werden die Kriterien, wie von einigen Umweltverbänden gefordert, also so hoch festgesetzt, dass nur makellose Fischereien (Gold-Standard-Zertifizierung) diese einhalten können, sind die Produkte auf dem Markt nicht erhältlich oder sichtbar, und es wird keine Nachfrage generiert, die wieder andere Fischereien dazu bewegt, sich zertifizieren zu lassen. Sind auf der anderen Seite die Kriterien zu lasch, gibt es kaum einen Anreiz für positive Veränderungen in der Fischerei.
In beiden Fällen wäre der Ecolabelling-Ansatz sinnlos. Tatsächlich wurde in den vergangenen 20 Jahren belegt, dass die größten Fortschritte in den Fischereien erzielt werden konnten, die die Kriterien nur knapp erfüllt haben und sich anstrengen mussten, um das Siegel zu erlangen bzw. zu behalten.