Seetagebuch
Dana
Dauer der Reise: 28. März bis 30. April 2019
Fahrtgebiet: Atlantik; westlich Irlands, Keltische See und nördliche Biskaya
Zweck der Reise: Internationaler Makrelen-Survey im Verbund mit Forschungsschiffen mehrerer Nationen
Fahrtleiter: Jens Ulleweit, Thünen-Institut für Seefischerei
Alle drei Jahre wird die Bestandsgröße der Nordostatlantischen Makrele – eine der wichtigsten kommerziellen Fischarten Europas – durch eine groß angelegte Forschungskampagne abgeschätzt. 2019 sind acht europäische Nationen von Portugal bis zu den Färöer-Inseln daran beteiligt.
Die Populationsgröße der Makrele wird über die Anzahl der abgelegten Eier in Bezug zur Fruchtbarkeit der Elterntiere abgeschätzt. Dabei werden während der Laichzeit der Makrele und im Laichgebiet alle 15 Seemeilen Planktonproben genommen und auf frisch geschlüpfte Makreleneier untersucht. Aus dieser Eiproduktion zusammen mit Untersuchungen zur Fruchtbarkeit der adulten Makrelen kann dann ein Index zur Populationsgröße gegeben werden. Zusätzlich wird der Survey auch für die Bestandsabschätzung des Stöckers genutzt, einer weiteren für die europäische Fischerei wichtigen Art.
Das Thünen-Institut für Seefischerei beteiligt sich von Ende März bis zum 30. April an dieser Forschungskampagne und deckt dabei zweimal Gebiete in der nördlichen Biskaya, der Keltischen See und dem Seegebiet westlich Irlands ab. Dabei werden die Makreleneier mit dem Planktonfanggerät „Nackthai“ gesammelt sowie Fischereihols durchgeführt.
Aufgrund von dringenden Reparaturarbeiten am deutschen Forschungsschiff „Walther Herwig III“ wird der deutsche Teil der Kampagne in diesem Jahr mit dem gecharterten dänischen Forschungsschiff „Dana“ durchgeführt.
Dieses Jahr unternimmt das Thünen-Institut für Seefischerei mit dem dänischen Forschungsschiff Dana den deutschen Teil am internationalen Makrelen- und Stöckereiersurvey. Letzten Freitag wurden wir von der Dana im dänischen Esbjerg abgeholt. Einen Tag zuvor haben wir noch einen ganztägigen Sicherheitskurs in Esbjerg absolviert, damit wir gut vorbereitet an Bord gehen konnten.
Die Reisezeit bis in die Keltische See wurde genutzt, um das Schiff kennenzulernen und die Labore einzurichten. Für diejenigen von uns, die zum ersten Mal eine längere Schiffsreise unternehmen, war die Zeit auch wichtig, um sich langsam an das Bordleben zu gewöhnen und sich „einzuschaukeln“. Ein Gerätetest rundete das Programm ab. Die dabei gewonnene Testprobe wurde zur Wiederauffrischung der Planktonkenntnisse bzw. zum ersten Sichten von Planktonorganismen genutzt.
Heute Morgen um 7:00 Uhr haben wir das Untersuchungsgebiet erreicht und mit der Stationsarbeit begonnen. Bei guten Wetterbedingungen haben wir den ersten Planktonfang dieser Reise mit dem Hochgeschwindigkeits-Planktonfanggerät „Nackthai“ durchgeführt und die erste Probe gesammelt. Ob schon Makreleneier dabei waren, wissen wir mit Gewissheit erst nach 12 Stunden, wenn die Probe durchfixiert ist und genau untersucht werden kann.
Viele Grüße von Bord der Dana
Jens Ulleweit (Fahrtleiter)
Serra Örey und Jens Ulleweit berichten:
Das Fangen von 1 mm großen Fischeiern in einem riesigen Ozean hat etwas vom Suchen der Stecknadel im Heuhaufen.
Unser Planktonfanggerät „Nackthai“ hat eine Netzmaschenweite von 280 µm, das heißt alle Planktonpartikel größer als ein Viertel Millimeter werden gefangen. Das Netz wird über die Backbordseite des Schiffes ausgesetzt und dann langsam gleichmäßig bis zu einer Tiefe von 200 m (oder in flacheren Gebieten 5m über Grund) gefiert und dann sofort mit der gleichen Geschwindigkeit wieder gehievt. Bei einer Einsatztiefe von 200 m filtern wir etwa 250 m³ Wasser. Die Volumenangabe brauchen wir später, um die Eiproduktion der Makrele pro Volumeneinheit zu berechnen.
Ist das Gerät wieder an Bord, wird das Netz gründlich gespült und die Probe im Netzbecher konzentriert. Der Netzbecher wird dann abgenommen und gegen einen neuen Netzbecher für den nächsten Hol getauscht. Das Ein- und Ausbringen des schweren Equipments bei jeden Wetter erfolgt durch die seemännische Besatzung. Später wird die Probe im Labor des Schiffes in einer Formaldehydlösung fixiert, um sie dann nach 12 Stunden zu analysieren. Dabei werden die Fischeier aus der Proben herausgesucht und gezählt.
Zählen macht einen großen Teil der Fischereibiologie aus. Anders als an Land sind im Meer die gesuchten Organismen über drei Dimensionen verteilt. Dazu sind die Distanzen riesig. Darum müssen wir einzelne Stationen an bestimmten GPS-Positionen auswählen, die dann repräsentativ für ein größeres Areal stehen. Während der gesamten Reise sind wir verantwortlich dafür, zweimal ein Gebiet in der nördlichen Biskaya, der Keltischen See und westlich Irlands von etwa 160.000 km² abzudecken! Der Makrelensurvey wird durch den ICES (Internationaler Rat für Meeresforschung) koordiniert.
Während wir diesen Beitrag schreiben, liegt die erste Woche an Bord der Dana hinter uns. Ttrotz einiger Unterbrechungen aufgrund von Sturmwetterlagen sind 30 Stationen abgearbeitet. Wir arbeiten in Schichten 24 Stunden rund um die Uhr und hoffen, am Ende der Reise etwa 180 Stationen geschafft zu haben.
Marsha Dechant, Tarik Mais und Vivien Wiedbrauk berichten:
Moin, moin ihr Landratten! Wir nehmen an der Fahrt als studentische Hilfskräfte der Hochschule Bremerhaven teil und schildern hier kurz unsere Eindrücke über unsere Zeit auf dem Forschungsschiff:
An Bord der Dana hat jeder von uns ein Einzelzimmer – was unserer Meinung nach sehr angenehm und ein schönes Plus ist. Auf den Kammern hat jeder einen Fernseher, Schreibtisch, Musikanlage, ein eigenes Bad und Platz. Das Duschen bei Seegang erweist sich immer wieder als abenteuerlich. Das war die ersten paar Tage äußerst gewöhnungsbedürftig für uns drei – hatten wir doch kaum bis gar keine Erfahrung mit Seereisen.
Zum Essen geht man in die Messe – ein gemütlicher, holzverkleideter Raum, in dem Matrosen, Offiziere und Wissenschaftler gemeinsam speisen. Es gibt dreimal am Tag ein Buffet und zwei Kaffeepausen. Verhungern ist also schon mal unmöglich. Das Essen ist vergleichbar mit dem eines guten Selbstbedienungsrestaurants, gute Produkte mit großer Auswahl und ein witziger Koch, der auch für die Vegetarier immer noch eine extra Köstlichkeit zaubert. Unser Favorit waren bisher die Roastbeef-Burger.
Schnell hat sich für jeden von uns ein geregelter Tagesablauf eingestellt. Die Arbeit an Bord ist abwechslungsreich, da wir an allen Stellen des Ablaufs mithelfen. Wir protokollieren, arbeiten draußen an Deck, und auch im Labor beim Sortieren und Zählen der Eier wird uns Verantwortung übertragen.
Manchmal kann dies auch zu einem Adrenalinschub führen, wenn bei starkem Seegang der Eimer mit der wertvollen Probe über das Deck schlittert. Die Wellen der letzten Woche haben uns auch im Labor einige Male quer durch den Raum befördert. Deshalb muss alles gut gesichert sein, zum Beispiel durch Antirutschmatten. Jetzt verstehen wir auch, was der Spruch „Eine Hand fürs Schiff!“ bedeutet.
Beim Bearbeiten der Proben zählen wir pro Schicht gut und gerne mal 6.000 Eier. Wenn noch Zeit bleibt, bestimmen wir auch die anderen Organismen in der Probe. Dabei werden wir von unseren erfahrenen Kollegen unterstützt und können so auch unser in der Hochschule gelerntes Wissen anwenden und gewinnen neues dazu.
In der Freizeit besuchen wir regelmäßig den Fitnessraum. Bei schönem Wetter kann man sich auch mit einem Buch an Deck entspannen oder hält nach Vögeln, Delfinen oder anderen Meeressäugern Ausschau. Es ist immer wieder beeindruckend, wenn die Basstölpel auf der Jagd im Sturzflug wie Pfeile ins Meer schießen. Auch gibt es Gesellschaftsspiele, eine Spielkonsole und eine enorme DVD-Sammlung. Das WLAN ermöglicht uns hin und wieder Kontakt zu Familie und Freunden. Die Stimmung an Bord ist fröhlich, und auch das Arbeitsklima empfinden wir als sehr positiv. Die dänische Crew ist ebenfalls gut gelaunt und hilfsbereit, sodass auch der Spaß bei der Arbeit nicht zu kurz kommt!
Ahoi und bis zum nächsten Mal
Marsha, Tarik & Vivien
Erik Sulanke berichtet:
Aufgrund eines planmäßigen Wechsels bei der Besatzung war am 13. April ein kurzer Hafenaufenthalt in Brest (Nordfrankreich) vorgesehen. Gut die Hälfte der beabsichtigten Stationen hatten wir hinter uns, die gesammelten Makreleneier bereits ausgezählt und sicher konserviert. Nach der ganzen Arbeit war uns ein Landgang sehr recht. Die dänische Crew fährt in einem dreiwöchigen Schichtsystem, und von den 16 Besatzungsmitgliedern wurden 13 abgelöst.
Brest ist eine traditionsreiche Hafenstadt, Seefahrt und Fischerei sind im Stadtbild allgegenwärtig. Dieser Welt fühlen wir uns während unserer Reise auch nahe, wenn es (meistens früh am Morgen) heißt: Wir fischen! Denn zu unseren Forschungszielen gehört nicht nur das Aufspüren und Zählen von Makreleneiern, sondern auch Untersuchungen an erwachsenen Makrelen. So oft es unser straffes Programm erlaubt und die Anzeigen des Echolots Fisch vermuten lassen, setzen wir das Netz aus. Wir benutzen ein Schwimmschleppnetz ohne Grundgeschirr. Allerdings halten sich die Makrelen auch gern dicht über dem Grund auf; dann muss der Offizier im Leitstand Präzisionsarbeit leisten, um das Netz möglichst nah über Meeresboden zu schleppen.
An Deck hat während der Fischerei der „Fiskemester“ das Sagen. Er ist der Matrose mit der größten Fischereierfahrung und koordiniert das Vieren und Hieven, also das Aussetzen und Einholen des Netzes. Das sind gefährliche Momente, in denen enorme Kräfte auf die Drähte und Winden wirken. Wir halten uns dann besser zurück und warten darauf, dass der Fang im Fischlabor ankommt.
Haben wir Makrelen gefangen, werden die Tiere gemessen, gewogen, ihr Geschlecht und die Reife bestimmt sowie Proben aus den Keimzellen der weiblichen Tiere entnommen. Außerdem sammeln wir die Otolithen, winzige Gehörsteinchen, aus denen sich das Alter der Tiere ablesen lässt. Sind die Proben analysiert, lässt sich ermitteln, wie viele Eier eine weibliche Makrele pro Gramm Körpergewicht produziert. Fasst man später die Ergebnisse der Surveys aller teilnehmenden Nationen zusammen, lässt sich aus der Anzahl der gesammelten Fischeier, der Fruchtbarkeitsergebnisse, weiterer Daten und reichlich Mathematik die Größe des Laichbestandes der Makrele einschätzen.
In unserem Netz finden wir nicht nur Makrelen, sondern auch andere Fische wie die kleinen, grellroten Eberfische, Holzmakrelen und Leuchtsardinen – Tiefseefische mit Leuchtorganen und tiefen Maulspalten, die besonders fremdartig wirken. Und wir sind nicht die einzigen Jäger in diesen Gewässern: Seehechte, ausgestattet mit einer Doppelreihe spitzer Fangzähne, werden bis zu einem Meter lang und 10 Kilo schwer. Sie erbeuten alle Fische, die sie finden, selbst wenn sie selbst schon im Netz sind. Daher sind sie in der Regel randvoll gefressen, wenn sie im Fischlabor landen.
Serra Öray berichtet:
Auf der 157sten Planktonstation fällt uns etwas Erstaunliches auf, was wir schon einmal zuvor beobachtet hatten: Während ich die frische Planktonprobe aus dem Netzbecher in das Sortiersieb spüle, gebe ich die Nachricht an unser Team weiter: „Die Probe leuchtet!“ Dieses Mal wollen wir unbedingt herausfinden, wer dafür verantwortlich ist.
Wenn wir die Planktonsuppe etwas umrühren, leuchten überall blaue Funken auf. Als wir das zum ersten Mal sahen, dachten alle zunächst an den üblichen Verdächtigen: Noctiluca ocealuis, ein Planktonorganismus aus der Familie der Dinoflagellaten. Diese Einzeller sind bei einer Planktonblüte – d.h. einer Massenvermehrung aufgrund günstiger Umweltbedingungen – für die sogenannten „blue tides“ verantwortlich. Diese „blue tides“ können über eine so große Fläche entstehen, dass sie sogar aus dem All zu sehen sind. Die Bio-Lumineszenz entsteht dabei durch die mechanische Kraft der Wellen, die sozusagen eine riesige Suppe aus Millionen dieser einzelligen Organismen umrühren.
Doch ist es wirklich Noctiluca, die das Leuchten verursacht? Das wollen wir herausfinden. Bei abgedimmten Licht untersucht jeder einen Teil der Probe unter dem Binokular. Für Vivien ist es der Pfeilwurm an ihrer Pinzette, Tarik schwört, dass das Aufblitzen von der Antenne eines Ruderfußkrebses stammt. Ich erkenne das blaue Aufleuchten im Leuchtorgan eines Krill-Krebschens. Ein faszinierendes Schauspiel, auch wenn die enzymatische Reaktion, die für das Leuchten sorgt, innerhalb eines Augenblicks wieder nachlässt. Dies Aufblitzen lässt sich gut in einem Video aufnehmen, aber aufgrund des kurzen Moments nur schwer in einem Foto festhalten. Wir haben für eine Dokumentation auch nur ganz wenig Zeit, denn das frische Plankton muss schnell in Formalin fixiert werden. Sonst besteht die Gefahr, dass die Fischeier, denen unser Hauptaugenmerk gilt, schlecht werden oder noch schnell von anderen Lebewesen in der Petrischale gefressen werden.
Im Labor studieren wir Literatur zum Thema Bio-Lumineszenz im Meer – zum Glück sind heutzutage viele Artikel online, sodass wir auch weitab auf einem Forschungsschiff unsere Fachbibliothek immer greifbar haben. Uns wird klar, dass wir alle recht gehabt haben könnten: Von allen Organismenfamilien, die im Meer leben, sind ein oder zwei Arten bekannt, die Leuchtorgane haben.
Plankton ist eine eigene treibende Welt im Ozean – mit Eiern und Larven von Fischen und Krebstieren, Salpen, Muscheln, Schnecken, Pfeilwürmern und unzähligen anderen Lebewesen. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir diese Wunder der Natur im Meer aus erster Hand erfahren dürfen.
Seit Samstagmorgen sind wir nun auf Heimatkurs. Mit dem 180sten Nackthai Planktonhol haben wir die Probennahme erfolgreich abschließen können. Zweimal haben wir seit dem 1. April das uns zugewiesene Untersuchungsgebiet abgedeckt und dabei Makreleneier gesucht und gefunden. Wir haben dabei exakt 36.053 Fischeier aus den Proben heraussortiert und bestimmt, um erste Ergebnisse an den Survey-Koordinator melden zu können. Zusätzlich haben wir 14 Fischereihols durchgeführt und Proben für die Fruchtbarkeitsanalyse der adulten Tiere gewonnen.
All das wäre nicht möglich gewesen ohne die tatkräftige Unterstützung der dänischen seemännischen Crews. Ein herzliches Dankeschön an sie. Wir haben die freundliche Arbeitsatmosphäre an Bord der „Dana“ alle sehr genossen. Aber natürlich bedanke ich mich auch bei der wissenschaftlichen Crew, die ohne nachzulassen auch bei widrigen Wetterbedingungen mit Eifer bis zum letzten Hol dabei war.
Die Seereise endet mit dem Einlaufen in den Hafen der dänischen Stadt Hirtshals. Zurück nach Bremerhaven geht's auf dem Landweg.
Bis zum nächsten Mal in drei Jahren – 2022!
Jens Ulleweit (Fahrtleiter)