Expertise
Nachhaltigkeitszertifizierung von Fischereiprodukten: Sind alle Umweltsiegel gleich gut?
Christian von Dorrien und Christopher Zimmermann | 23.08.2022
Wer beim Einkauf Wert auf nachhaltig gefangenen Fisch legt, muss sehr genau hinschauen: Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Nachhaltigkeitssiegeln – mit großen Unterschieden in Anspruch und Glaubwürdigkeit. Der Siegel-Check der GSSI kann hier Orientierung bieten.
Fischereiprodukte, deren Fang oder Produktion die Umwelt vermeintlich kaum schädigt, werden immer häufiger durch Nachhaltigkeitssiegel kenntlich gemacht. Die Anzahl dieser sogenannten Siegel ist inzwischen auf über 80 gestiegen.
Wo liegt das Problem?
Für Nachhaltigkeitsstandards gibt es in der EU – anders als bei „Bio“-Ware – noch keine einheitlichen Anforderungen. Allerdings hat die Welternährungsorganisation FAO schon kurz nach Gründung des Marine Stewardship Council (MSC) Mindestkriterien für Ecolabel für Fischereiprodukte entwickelt.
In den vergangenen Jahren hat die Anzahl der Fischsiegel stark zugenommen. Die meisten Standards beziehen sich zwar auf die FAO-Mindestkriterien, bleiben aber den Beweis schuldig, dass sie diese Kriterien auch tatsächlich vollständig erfüllen.
Es gibt Anzeichen dafür, dass es trotz der erheblichen Kritik am MSC-Standard bislang kein einziges anspruchsvolleres Label auf dem Markt gibt, sondern dass die Konkurrenten es vor allem der Fischerei leichter machen, sich zertifizieren zu lassen – weil die Kriterien weniger strikt sind oder die Zertifizierung so vereinfacht ist, dass sie billiger durchgeführt werden kann.
Schwächere Kriterien bedeuten aber in aller Regel eine geringere Glaubwürdigkeit. Vor allem der Handel befürchtet daher eine Verwirrung der Verbraucherinnen und Verbraucher und eine Entwertung des an sich erfolgreichen Instruments der Nachhaltigkeitszertifizierung.
Die verschiedenen Siegel können natürlich verschiedene Schwerpunkte setzen und Bewertungsansätze wählen. Während das MSC-Programm global anwendbar ist und keine pauschalen Verbote bestimmter Methoden vorsieht, untersuchen andere nur Beifänge einer bestimmten Tiergruppe und berücksichtigen nicht einmal den Zustand des Zielbestandes (z. B. Dolphin SAFE). Bei anderen werden nur kleine Betriebe zertifiziert, und das Einkommen der Fischerei steht im Vordergrund (Naturland Wildfisch), dafür ist die Überprüfung der ökologischen Nachhaltigkeitskriterien mindestens fragwürdig.
Außerdem kommt es vor, dass es pauschale Vorgaben für die Menge der unerwünschten Beifänge gibt, selbst wenn diese höher als die üblichen Beifänge in bestimmten Fischereien sind. So sind beim Standard „Friend of the Sea“ Beifangquoten von pauschal acht Prozent des Gewichts eines gesamten Fangs akzeptabel, obwohl bei vielen Fischereien schon jetzt die Beifangraten nur bei durchschnittlich zwei Prozent liegen. Die Folge: Fischereien mit guten Fangpraktiken und zwei Prozent Beifang erlangen gegenüber Mitbewerbern mit schlechten Fangpraktiken und acht Prozent Beifang keinen Wettbewerbsvorteil.
Wieder andere Label sind nur regional anwendbar, so zum Beispiel Siegel aus Alaska und Island. Schließlich gibt es auch Label, die nur die Herkunft zertifizieren und eigentlich keine Nachhaltigkeitsstandards sind.
Die Lösung – Der „Siegel-Check“ der GSSI
Um Klarheit über die Qualität der Siegel zu schaffen, haben Handel, Erzeugerbetriebe und Verarbeitungsunternehmen auf internationaler Ebene gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ein Werkzeug für den Vergleich verschiedener Fisch-Siegel entwickelt: Die Global Sustainable Seafood Initiative (GSSI) bewertet mit einem „Siegel-Check“, dem sogenannten Benchmark Tool, ob das geprüfte Siegel glaubwürdig ist und ob es die Mindestanforderungen der FAO für Nachhaltigkeitsstandards erfüllt.
Die Bewertung mit dem Benchmark Tool findet seit 2017 statt. Bis Mitte 2022 hat GSSI fünf Siegel für Produkte aus Meeresfisch-Wildfang anerkannt. Es sind:
- das Alaska Responsible Fisheries Management (AKRFM) Programm,
- das Iceland Responsible Fisheries Management (IRFM) Programm,
- der Marine Stewardship Council (MSC),
- der Audubon Gulf United for Lasting Fisheries (G.U.L.F.),
- das Marine Eco-Label Japan (MEL) in der Version 2 (V2).
Die Überprüfung (benchmarking) erfolgt – ebenso wie die Zertifizierungen der Wildfischereibetriebe – freiwillig: Kein Standard wird zur Teilnahme gezwungen. Aber die meisten großen europäischen Händler haben zugesagt, in Zukunft keine Siegel mehr zu akzeptieren, die nicht erfolgreich durch die GSSI überprüft wurden. Die Prüfkriterien wurden seit 2019 in einem aufwendigen Verfahren unter Beteiligung der interessierten Öffentlichkeit überarbeitet, Ende 2020 verabschiedet und sind seit Herbst 2021 in Kraft.
Dank des Siegel-Checks der GSSI können sich Erzeugerinnen und Erzeuger, Verarbeitungsunternehmen und Handel für glaubwürdige Siegel entscheiden und dadurch das Vertrauen der Verbraucherinnen und Verbraucher in zertifizierte Fischereiprodukte festigen. Außerdem schafft die Bewertung durch die GSSI Anreize, dass sich auch bereits etablierte Siegel weiter verbessern.