Expertise
Klimawandel – die einen kommen, die anderen gehen
Der Klimawandel ist in europäischen Meeren wie Nordsee und Ostsee spür- und messbar angekommen. Die Umweltbedingungen – sowohl im Mittel, aber auch in den Ausprägungen von Extrema – ändern sich rasant. Das führt dazu, dass sich Ökosysteme in Ihren Zusammensetzungen und Leistungen verändern.
Die Temperaturen in der flachen, südlichen Nordsee steigen doppelt so schnell wie im globalen Mittel der Ozeane. 2014 und 2018 waren mit Oberflächentemperaturen von über 16 °C im Juli die beiden wärmsten Jahre seit Aufzeichnung. In der Folge verändern sich der Lebensraum und die Ökosysteme in unvorhergesehener Geschwindigkeit.
Für Kabeljau hat die thermische Eignung der südlichen Nordsee als Lebensraum in den letzten 50 Jahren massiv abgenommen (blau; s. Abbildung), während sie in der nördlichen Nordsee zunächst noch günstiger geworden ist (rot) (s. folgene Veröffentlichung).
Neben der Wassertemperatur spielen für den Kabeljau auch die Bodenverhältnisse in den jeweiligen Lebensräumen eine wichtige Rolle. Rund um die zahlreicher werdenden Nordsee-Windparks verändern Steinschüttungen die ursprünglichen, sanddominierten Habitate. Damit gehen ein Biomassenzuwachs und Änderungen in den assoziierten Lebensgemeinschaften einher, die die Nahrungsgrundlage für den Kabeljau bilden. In einem Projekt konnten wir zeigen, dass der Kabeljau den neuen Lebensraum Windpark als geschützten Laich- und Rückzugsort nutzt und von dem dort anzutreffenden reichhaltigeren Nahrungsmix profitiert. Möglicherweise steigt dadurch seine Widerstandsfähigkeit gegen Übernutzung und Klimastress. Nähere Infos dazu gibt die Publikation Thünen à la carte 7.
Noch stärker als die verschiedenen Bodenfischarten reagieren die Schwarmfischarten der freien Wassersäule auf die veränderten Umweltbedingungen. So haben sich zum Beispiel die Laichgebiete der Makrele um hunderte von Kilometern nach Norden verschoben. Zogen sie sich vor 10 Jahren in einem breiten Streifen von der Biskaya bis westlich von Irland hin, so erstrecken sie sich heute wesentlich nördlicher in den Atlantik bis in die Höhe zwischen Schottland und Island (Abbildung links). Dementsprechend haben sich auch die Makrelenfänge in den letzten 15 Jahren nach Norden verlagert (Abbildung unten).
Aktuelle Fangempfehlungen des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) für die Fischbestände von Nordsee und Nordatlantik gibt es hier.
Südliche Arten wandern ein
Im Zuge, wie sich kälteliebende Arten nach Norden zurückziehen, rücken Arten aus wärmeren Arealen nach. Wir konnten anhand von Langzeitbeobachtungen belegen, dass sich südliche Fischarten wie Sardine, Sardelle, Streifenbarbe oder Roter Knurrhahn zunehmend in der Nordsee etablieren und ausbreiten. Ein weiteres Beispiel ist der nördliche Seehechtbestand. Seine Laicherbiomasse wächst rasant an und hat sich seit 2008 um den Faktor 8 erhöht. Dabei hat sich der Bestand, dessen Hauptverbreitungsgebiet sich traditionell vom iberischen Schelf bis in die irische See erstreckte, massiv bis in die nördliche Nordsee hinein ausgeweitet. Das Problem ist: Für die Nordsee sind nur 4 % der Gesamtfangquote vorgesehen, aber mittlerweile finden sich über 30 % der Bestandsbiomasse in dieser Region. Das zeigt deutlich: Wir brauchen in den EU-Meeren mittelfristig eine Neuverteilung der Fangquoten, die der sich schnell verändernden Artenzusammensetzung und Fangmöglichkeiten Rechnung trägt.
Neben Fischarten profitieren auch Tintenfische überproportional vom Klimawandel. Wissenschaftler der Thünen-Institute für Ostseefischerei und Seefischerei zeigten, dass sich der Kurzflossenkalmar Illex coindetii mittlerweile fest in der Nordsee etabliert hat (s. folgene Veröffentlichung). Fangstatistiken weisen darauf hin, dass sich auch die fischereiliche Nutzung der neuen Ressourcen zunehmend etabliert. Nachhaltige Managementkonzepte für diese Arten fehlen aber bislang. Hier besteht Handlungsbedarf.
Probleme in der Ostsee
Auch in der Ostsee zeigt der Klimawandel Effekte. Anders als in der Nordsee gibt es hier keine Ausweichmöglichkeiten für die Fischbestände, weil die Ostsee nach Norden hin durch den geschlossenen finnischen Meerbusen begrenzt ist. Ausweichen ist aber auch nicht immer eine Lösung, wie das Beispiel des Ostseeherings zeigt: Der wirtschaftlich wichtige Heringsbestand der westlichen Ostsee produziert seit Jahren immer weniger Nachwuchs – trotz drastischer Beschränkungen der Fischerei. Umfangreiche Analysen haben gezeigt, dass die Heringslarven, bedingt durch das wärmere Wasser, früher im Jahr schlüpfen. Zu dieser Zeit sind aber noch nicht ausreichend Beuteorganismen vorhandeln, weil deren Populationsentwicklung, anders als die Reproduktion des Herings, vor allem durch Sonnenstand und Tageslänge gesteuert wird.
Herausforderungen für Politik und Management
Zusammenfassend lässt sich festhalten: In der Nordsee verändert sich die Zusammensetzung der Fischarten. Kalt-adaptierte Arten wandern zusehends nach Norden ab, während warm-adaptierte Arten sich ausbreiten. In der weitgehend abgeschlossenen Ostsee haben kalt-adaptierte Fischarten massive Probleme und die Produktivität der Bestände sinkt. Beides hat Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fänge der Fischer. Fischereipolitik und Fischereimanagement müssen dem Rechnung tragen und die Fangmöglichkeiten den geänderten Bedingungen anpassen.