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Droht eine Fischstäbchenkrise?
Christopher Zimmermann | 08.04.2022
Russland ist der viertgrößte Produzent von Meeresfisch weltweit. Welche Bedeutung russische Meeresfisch-Importe für Deutschland haben, wird hier gezeigt.
Russland ist der viertgrößte Produzent von Meeresfisch weltweit. Nach Angaben der Welternährungsorganisation FAO haben russische Fischereifahrzeuge 2018 rund 4,84 Millionen Tonnen marine Fischereiprodukte angelandet. Auch für Importe in die EU und nach Deutschland hat Russland herausragende Bedeutung, vor allem bei einem der beliebtesten Meeresfische auf deutschen Tellern, dem Alaska-Seelachs oder Alaska-Pollack, der in vielen Fischstäbchen steckt.
Die direkten russischen Importe von Alaska-Pollack-Filets nach Deutschland sind zwischen 2019 und 2021 von 16.100 auf 29.000 Tonnen gestiegen. Der Wert der Alaska-Pollack-Einfuhren aus Russland betrug 2021 87,3 Millionen Euro. Bei ungefähr gleichbleibendem Gesamtvolumen der Importe dieser Fischart von 146.000 Tonnen ist der russische Anteil damit in drei Jahren von 12 auf 22 % gestiegen.
Importe von Alaska-Pollack-Filets aus China sind von 79.700 auf 68.100 Tonnen gesunken. Diese Ware wird in China aber nur erstverarbeitet und kommt ebenfalls ganz überwiegend aus russischen Fischereien im Westpazifik (FAO-Gebiet 61). Dort verfügen russische Flotten über mehr als 88 % der Gesamtfangmengen dieser Art. Insgesamt dürften aktuell also rund 73 % des in Deutschland verarbeiteten Alaska-Pollacks aus russischen Quellen stammen.
Auch in anderen Gebieten hat die russische Fischerei entscheidenden Einfluss auf die Bestände – insbesondere in der Nordost-Arktis (Barentsmeer). Dort liegt der Anteil Russlands an den Fängen von Kabeljau bei 45 % (313.000 Tonnen) und für Schellfisch bei 49 % (89.000 Tonnen im Jahr 2020). Im Meeresgebiet zwischen Ostgrönland und Neufundland liegt der Anteil Russlands an den Rotbarschfängen zudem bei 80 % (24.700 Tonnen im Jahr 2018).
Deutschland produziert aus dem weißen und grätenfreien Fleisch des Alaska-Pollacks vor allem Fischstäbchen sowie verschiedene Arten von „Schlemmerfilets“. Die größten Fischstäbchenfabriken der Welt stehen hierzulande, ein erheblicher Teil der Produktion wird in andere europäische Länder exportiert.
Alaska-Pollack ist auf dem Weltmarkt ein knappes Gut, obwohl es die weltweit ertragsreichste Weißfischart ist. Neben Russland produzieren nur die US-amerikanischen Fischereien vergleichbare Mengen. Diese sind jedoch durch langfristige Lieferverträge gebunden und können einen Ausfall russischer Lieferungen nicht substituieren. Zudem wurden die Fangmengen für Alaska-Pollack aus dem westlichen Beringmeer und dem Golf von Alaska (FAO67) für 2022 um fast 20 Prozent reduziert, um auch weiter eine nachhaltige Nutzung sicherzustellen.
Ersatz gesucht
Die russischen Alaska-Pollack-Fischereien sind ebenso wie die amerikanischen MSC-zertifiziert. Es ist jedoch zu erwarten, dass dieses Nachhaltigkeitszertifikat innerhalb eines Jahres suspendiert wird, weil sich unter den derzeitigen Bedingungen keine jährlichen Audits mehr durchführen lassen. Für den Handel, der nur noch MSC-zertifizierte Ware verkaufen möchte, wird das zum Problem. Das von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 5. April 2022 angekündigte Importverbot für russisches Seafood umfasst dagegen – entgegen der Agenturmeldungen – zunächst kein Fischfilet, sondern vor allem Krebse und Kaviar.
Zunächst sind die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die Produktion von Fischstäbchen und Co. also gering – das kann sich aber schnell ändern. In der Industrie gibt es daher Überlegungen, die Fehlmenge durch andere Fischarten auszugleichen. In der Vergangenheit wurde dafür Pangasius verwendet, ein Süßwasserfisch aus Aquakultur.
Ein vollständiger Ausgleich wird kurzfristig nicht möglich sein. Ein Importstopp oder auch nur die drastische Erhöhung der Importzölle auf russischen Fisch, wie im Vereinigten Königreich erfolgt, würde daher erhebliche Auswirkungen auf das Angebot und die Preise der Produkte sowie auf die Arbeitsplätze in der deutschen fischverarbeitenden Industrie nach sich ziehen.
Der von der EU nicht mehr gekaufte Fisch aus russischen Quellen dürfte leicht in anderen Weltregionen, z.B. in Asien gekauft werden, wenn auch – durch das dann fehlende MSC-Siegel – mit Preisabschlägen. Russland hat außerdem angekündigt, die Quoten für die Alaska-Pollack-Fischerei in der westlichen Beringsee unilateral zu erhöhen, was dann erheblichen Einfluss auf eine nachhaltige Nutzung dieses Bestandes hätte. Kurzfristig könnte Russland durch höhere Fangmengen also versuchen, die Ertragsverluste durch den Wegfall des westlichen Marktes zu kompensieren.
Andere Auswirkungen des Krieges auf die deutsche Fischwirtschaft
Wie in den meisten anderen Wirtschaftsbereichen stellt vor allem der stark angestiegene Preis für Treibstoff die Fischerei vor große Probleme. Dies gilt insbesondere für die energieintensiven Fischereien, also Grundschleppnetzfischereien, z. B. auf Plattfische oder auf Nordseegarnele. Viele kleinere Betriebe haben die Tätigkeit daher mindestens vorübergehend eingestellt. Das Entlastungsprogramm des Bundes, das Energie vor allem durch Steuersenkungen verbilligen soll, greift nicht, weil der Treibstoff für die Fischerei ohnehin steuerbefreit ist. Die EU hat nun aber ein Hilfsprogramm aufgelegt, dass Beihilfen für Fischereibetriebe vorsieht, die durch den Krieg in wirtschaftliche Schieflage geraten sind.
Für die Versorgung des deutschen Marktes spielt die Eigenerzeugung durch die Küstenfischerei keine so große Rolle, dass Einschränkungen in der Ernährungssicherung erwartet werden. Durch die Suspendierung Russlands aus dem Internationalen Rat für Meeresforschung und aus vielen zwischenstaatlichen regionalen Fischereimanagement-Organisationen wird die nachhaltige Bewirtschaftung gemeinsam genutzter Ressourcen in der nahen Zukunft aber sehr herausfordernd werden.