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Expertise

Situation in Deutschland

Daniela Weible und Johanna Schott | 27.06.2022


MA Institut für Marktanalyse

In Deutschland stehen genügend Lebensmittel zur Verfügung. Trotzdem existieren armutsbedingt auch Fehlernährung und Hunger neben Übergewicht und Adipositas in der Bevölkerung. Welchen Einfluss hat die Ernährungsumgebung?

Obwohl ausreichend Lebensmittel zur Verfügung stehen und auch erschwinglich sind, existieren in Deutschland Übergewicht, Adipositas, Fehlernährung und Hunger gleichzeitig. Im Jahr 2012 waren laut dem Robert-Koch-Institut rund zwei Drittel der Männer und etwas über die Hälfte der Frauen übergewichtig.

Einkommensschwache Haushalte und Kinder sind häufig von Ernährungsarmut und Mangelernährung betroffen. Generell werden im Vergleich zu den empfohlenen Mengen zu wenig Obst und Gemüse und zu viel Fleisch und Fleischprodukte verzehrt. Dabei bleibt insbesondere der Fleischkonsum mit 60 Kilogramm pro Person im Jahr auf einem zu hohen Niveau.

Gleichzeitig steigt das Interesse an veganer und vegetarischer Ernährung von Jahr zu Jahr. Etwa 4 Prozent der Bevölkerung ernähren sich vegetarisch und ein Prozent vegan.

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz (WBAE) beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft in Deutschland hat kürzlich darauf hingewiesen, dass der Einfluss der Ernährungsumgebung auf die Ernährungsgewohnheiten in der öffentlichen und politischen Diskussion unterschätzt wird; zu viel Verantwortung liegt noch immer beim Individuum.

Laut WBAE hat Deutschland bisher keine adäquaten politischen Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungsumgebung umgesetzt. Politikerinnen und Politiker zögern, diesbezüglich Maßnahmen vorzuschlagen, weil sie mangelnde Akzeptanz befürchten. Zusätzlich üben die Medien einen großen Einfluss auf die Ernährungsgewohnheiten aus. Der WBAE stellt diesbezüglich in seinem Gutachten fest: „Die Gestaltung der Ernährungsumgebung ist in Deutschland derzeit primär gewinnorientiert und dient den Interessen der Lebensmittelindustrie."

Das deutsche föderale System mit verteilten Zuständigkeiten im Bereich Ernährung auf Bundesministerien, Bundesländer und Kommunen verstärkt die bestehenden Probleme. Es bedarf daher der Entwicklung einer integrierten Ernährungspolitik, in der die Bereiche Gesundheits-, Sozial-, Umwelt-, Tierschutz- und Agrarpolitik zusammengeführt werden.

Aus Sicht der Verbraucherinnen und Verbraucher fehlen weitgehend verlässliche und einheitliche Informationen über Produkte, z. B. auf Verpackungen und im digitalen Umfeld, was es den Menschen erschwert, ihre Essgewohnheiten zu ändern, selbst wenn sie dies möchten. Preisanreize für nachhaltige Lebensmittel, Steuern auf vorwiegend nicht nachhaltige Lebensmittel und die Bereitstellung von Informationen über Lebensmittel könnten den Wandel hin zu gesünderen Essgewohnheiten fördern.

1. Gesundheit:Gemessen an seinem Wohlstand steht Deutschland bezüglich ernährungsbezogener Gesundheitsindikatoren (z. B. hohe Prävalenz von Personen mit Übergewicht oder Adipositas) nur mittelmäßig da. Armut korreliert deutlich mit ernährungsbedingten gesundheitlichen Beeinträchtigungen.

2. Soziales: In Deutschland existiert eine weitreichende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, gleichzeitig gibt es Hinweise auf Defizite in der Umsetzung, vor allem im Bereich der Saison- und Leiharbeitskräfte sowie in der Schlachtindustrie und der Gastronomie. In der globalen Agrarwirtschaft sind Zwangsarbeit, schwerwiegende Formen der Kinderarbeit und andere Verletzungen der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) häufig.

3. Umwelt: In der Wertschöpfungskette für Lebensmittel – von der Herstellung von Produktionsmitteln über die landwirtschaftliche Produktion bis hin zu Verarbeitung, Handel und Konsum – treten vermeidbare negative ökologische Effekte auf, insbesondere hinsichtlich Biodiversität, Überschüssen an reaktiven Stickstoffverbindungen und Treibhausgasemissionen. Im Vordergrund des ernährungsbezogenen Umwelt- und Klimaschutzes steht die Verlagerung des Konsums auf umwelt- und klimaverträglichere Lebensmittel. In Deutschland und in anderen Industrieländern sind diesbezüglich die Reduzierung des Konsums tierischer Produkte und der Lebensmittelverschwendung besonders wichtig.

4. Tierwohl: In den vergangenen Jahren sind einige Einzelschritte in Richtung eines Umbaus der landwirtschaftlichen Tierhaltung hin zu mehr Tierschutz erfolgt. Eine umfassende, von politisch legitimierten Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern verabschiedete Strategie, die auch die Finanzierung des notwendigen Umbaus der Nutztierhaltung umfasst und damit größere Fortschritte ermöglicht, fehlt bisher.

Im März 2021 hat das Thünen-Institut für Marktanalyse zusammen mit Partnerinnen und Partnern aus Deutschland, Malaysia, Südafrika, Tansania und Ghana ein virtuelles Meeting mit 75 Teilnehmenden zum Thema Ernährungsumgebungen organisiert. Ziel des Workshops war es, eine Diskussionsplattform zum Thema Ernährungsumgebungen für Stakeholder und Forschende in den Partnerländern zu schaffen.

Die Teilnehmenden diskutierten folgende drei Themen im Bereich Ernährungsumgebungen:

  1. Verbesserung der Ernährungssicherheit durch optimierte Ernährungsumgebungen,
  2. Soziale und ökologische Nachhaltigkeit in Ernährungsumgebungen einbeziehen,
  3. Überbrückung von Lücken zwischen Politik und Umsetzung.

Auf deutscher Seite waren neben Forschungseinrichtungen wie dem Thünen-Institut und der Justus-Liebig-Universität Gießen auch NGOs wie Slow Food Deutschland, die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, WWF Deutschland und die Tafel Deutschland vertreten.

Mit den internationalen Partnerorganisationen (University of Nottingham Malaysia, University of Kwazulu-Natal in Südafrika, St. Augustine University of Tanzania, Council for Scientific and Industrial Research Ghana) ist ein Projektantrag zum Thema „Gestaltung von Ernährungsumgebungen in Schwellenländern für eine nachhaltige und gesunde Ernährung“ geplant.

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