Weiter zum Inhalt
© Anja Bunge / Thünen-Institut
Institut für

FI Fischereiökologie

Projekt

Der Europäische Aal im Spannungsfeld von Artenschutz und Nutzungsinteressen


Federführendes Institut FI Institut für Fischereiökologie
Beteiligte Institute SF Institut für Seefischerei

© Matthias Schaber

Der Europäische Aal im Spannungsfeld von Artenschutz und Nutzungsinteressen

Die Rekrutierung des Aals ist seit mehr als drei Jahrzehnten rückläufig und der Bestand befindet sich trotz verschiedener bereits eingeleiteter Maßnahmen nach wissenschaftlicher Einschätzung “außerhalb sicherer biologischer Grenzen”.  Das Projekt hat zum Ziel, die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit von Managementmaßnahmen zu bewerten und relevante Akteure für die weitere Entwicklung des europäischen Aalbestandes zu identifizieren.

Hintergrund und Zielsetzung

Der Bestand des Europäischen Aals (Anguilla anguilla) ist seit mehr als drei Jahrzehnten stark zurückgegangen. Das Glasaalaufkommen sank auf weniger als 10% des Durchschnitts von 1960-1979 und fiel in der Nordseeregion zeitweise auf weniger als 1%. Verschiedene Schutzmaßnahmen für den Aal wurden eingeführt, einschließlich der Aufnahme in Anhang II von CITES und der EU-Verordnung 1100/2007, welche die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet, Aalmanagementpläne für ihre Gewässer zu erstellen. Trotz dieser Bemühungen befindet sich die Aalpopulation noch immer in einem kritischen Zustand. Obwohl die internationale Aalarbeitsgruppe (EIFAAC/ICES/GFCM WGEEL) regelmäßig über den Status des Bestandes berichtet, sieht der Fischereiausschuss des Europäischen Parlaments die Notwendigkeit, maßgebliche und aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse zum Wanderverhalten und der Reproduktionsbiologie ebenso wie zu einer möglichen nachhaltigen Bewirtschaftung einschließlich sozioökonomischer Aspekte zu einem Bericht zusammenzufassen.

Zahlreiche Faktoren werden als mögliche Ursache für den Bestandsrückgang diskutiert, unter anderem Fischerei, Lebensraumverlust, Umweltverschmutzung, Parasiten, Krankheiten sowie klimatisch bedingte Veränderungen der ozeanischen Umweltparameter. In vielen Regionen seines Verbreitungsgebietes wird der Europäische Aal immer noch stark befischt; gleichzeitig ist ein massiver Verlust an natürlichen Aalhabitaten zu verzeichnen. Fischerei und Gewässerverbau / Wasserkraftnutzung gehören daher zu den maßgeblichen anthropogenen Mortalitäts-Faktoren während seiner kontinentalen Lebensphase.

Das Wissen über den komplexen Lebenszyklus des Aals ist bis heute noch unvollständig, was die Suche nach den genauen Ursachen für den Rückgang des Bestandes erschwert. Weitgehend Konsens herrscht darüber, dass nicht nur ein einzelner Faktor dazu geführt hat, dass sich der Bestand außerhalb sicherer biologischer Grenzen bewegte, sondern dass vermutlich ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren auf lokaler und überregionaler Ebene zu dieser besorgniserregenden Entwicklung beigetragen hat. Die Komplexität einer Ursachenanalyse macht eine nachhaltige Nutzung bzw. einen effektiven Schutz des Aals zu einer äußerst anspruchsvollen Aufgabe.

Das Hauptziel dieser Studie besteht deshalb darin, alle verfügbaren Informationen zu nutzen und zusätzliche Daten zu sammeln, um einerseits die Wirksamkeit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit von Managementmaßnahmen zu bewerten und andererseits relevante Akteure für die weitere Entwicklung des europäischen Aalbestandes zu identifizieren, um die komplexen Wechselwirkungen zwischen wirtschaftlichen Akteuren und den Schutzbemühungen auf nationaler und internationaler Ebene besser zu verstehen.

Vorgehensweise

Experten der Thünen-Institute für Fischereiökologie und für Seefischerei werden gemeinsam mit internationalen Partnern einen umfassenden Überblick über Biologie, Bestandsstatus und Manage­ment des Aalbestands geben. Dabei soll eine Bewertung der sozioökonomischen Auswirkungen möglicher Schutz- und Bewirtschaftungsmaßnahmen auf die betroffenen Akteure besondere Berücksichtigung erfahren. Zu diesem Zweck werden wir folgende Fragen behandeln:

  1. Erarbeitung eines aktuellen Überblicks über Biologie und Bestandsstatus, insbesondere über alle Aspekte, die für die Abwanderung von Laichfischen und die nachhaltige Bewirtschaftung der Art von Bedeutung sind.
  2. Welche Maßnahmen sind in den EU-Mitgliedstaaten bereits etabliert und wie effektiv können diese Maßnahmen sein? Wer sind die verantwortlichen Institutionen und Behörden?
  3. Wer sind die wichtigsten Wirtschaftsakteure, die den Aalbestand während seiner verschiedenen Lebensphasen beeinflussen?
  4. Was sind die wichtigsten technischen Anlagen, die die Aalwanderung beeinflussen und welche sozioökonomische Bedeutung sie haben?
  5. Wie stark beeinflussen die wichtigsten Wirtschaftsakteure den Aalbestand und wie stark hängen sie ihrerseits von der Art ab?
  6. Welche Auswirkungen haben verschiedene Management- und Schutzmaßnahmen auf verschiedene Stakeholder?


Für die ersten Aufgaben wird eine umfassende Literaturrecherche durchgeführt. Wir werden außerdem unsere umfangreichen wissenschaftlichen und institutionellen Netzwerke nutzen, um die neuesten Informationen für alle relevanten Lebensstadien (ozeanische Larven, Glasaale, Gelb- und Blankaale) in ihren jeweiligen Lebensräumen (ozeanisch, küstennah, kontinental) im gesamten Verbreitungsgebiet der Art zusammenzufassen. Da Informationen zu den wirtschaftlichen und sozioökonomischen Aspekten bislang vielfach fehlen, werden zu diesen Fragen neue Daten erhoben. Entsprechend der Struktur und der definierten Inhalte des Projekts wird die Studie verschiedene Ergebnisse liefern:

Wir werden einen umfassenden Überblick über die Biologie des Aals und über anthropogene Faktoren, die den Aalbestand beeinflussen, geben. Darüber hinaus listen wir die in den EU-Mitgliedstaaten festgelegten Management- und Schutzmaßnahmen auf und bewerten die Wirksamkeit dieser Maßnahmen. Wir werden ferner die Hauptakteure (fischereiliche und außer-fischereiliche) ermitteln, die die weitere Entwicklung des Aalbestandes beeinflussen könnten und deren Auswirkungen quantifizieren. Im Gegenzug werden wir auch versuchen, die Abhängigkeit dieser Akteure vom Aalbestand zu analysieren. Auf der Grundlage dieser Informationen wird die Studie versuchen, die Auswirkungen verschiedener potenzieller Management- und Schutzmaßnahmen auf die Hauptakteure zu bewerten.

Die Studie wird auch Wissenslücken und fehlende Informationen aufzeigen und somit möglicherweise einen Ausgangspunkt für die Entwicklung zukünftiger Forschung bilden. Als Ergebnis liefert die Studie nützliche und notwendige Informationen für den Entscheidungsprozess, der auf die Bestandserholung abzielt. Die Ergebnisse werden unter Nutzung verschiedener Wege und Foren verbreitet, um alle relevanten Interessengruppen zu erreichen.

Ergebnisse

Auf der Grundlage der verfügbaren Daten zu den Kostenstrukturen von Fischereibetrieben (Meeres- und Binnenfischerei) ist bisher nur eine vage Analyse der Auswirkungen möglich. Dementsprechend wird der Verlust an direkten Einnahmen bei einer vollständigen Schließung der Fischerei in Europa (Glas-, Gelb- und Blankaal) auf 50 Mio. EUR pro Jahr geschätzt. Die schwerwiegendsten wirtschaftlichen Auswirkungen könnten durch die Einstellung der Glasaalfischerei verursacht werden, da der Verlust von Satzfischen als Nebeneffekt auch zur Einstellung der Aquakultur des Europäischen Aals mit Einnahmeverlusten von 37 Mio. EUR führen würde. In der Folge wären auch auf Aal spezialisierte Fischverarbeitungsbetriebe betroffen.


Die zu erwartenden Kosten zur Minderung der Wasserkraftsterblichkeit übersteigen die Einnahmeverluste für die vollständige Schließung der Fischerei in Europa bei weitem.


Um die Effizienz und Koordination der durchgeführten Maßnahmen zu verbessern und eine ordnungsgemäße Bestandsbewirtschaftung zu ermöglichen, werden folgende Maßnahmen empfohlen:

 

  1. Die EU-Aalverordnung sollte in Richtung eines Sterblichkeitslimits geändert werden, anstatt des derzeitigen regionalen Biomasseziels von 40% für die Abwanderung von Laichfischen. Ein solches Mortalitätslimit muss jedoch ausreichend niedrig sein.
  2. Die Aalsterblichkeit in Wasserkraftwerken muss nach den individuellen Merkmalen der Anlagen beurteilt werden. Die Effizienz der Maßnahmen zur Reduzierung der Schädigungen (z. B. Bypässe, Trap-and-Transport) muss bewertet und eine wirksame Koordinierung der Umsetzung solcher Maßnahmen ermöglicht werden.
  3. In Anbetracht der unbekannten Wirksamkeit von Maßnahmen zur Reduzierung der Schädigungen an Barrieren sollte der Besatz von Aalen in Gewässerbereiche oberhalb von Hindernissen eingestellt werden. Bypässe und Trap-and-Transport-Maßnahmen sind hilfreich, sollten jedoch nicht als Rechtfertigung für die Fortsetzung von Besatzmaßnahmen dienen. Stattdessen sollte der Druck aufrechterhalten werden, um die Durchgängigkeit der Flüsse vollständig wiederherzustellen.
  4. Der Sinn von Besatz als Managementmaßnahme muss kritisch bewertet werden. Vor jeder Aalbesatzmaßnahme sollte eine Schätzung des voraussichtlichen Nutzens für den Gesamtbestand vorgenommen werden. Besatz sollte nur dort erfolgen, wo die Überlebensrate bis zur Abwanderung der Blankaale hoch ist. Er sollte zudem nicht als Alternative zur Verringerung der anthropogenen Mortalität eingesetzt werden.
  5. Die Wirksamkeit aller in den Aalbewirtschaftungsplänen aufgeführten Maßnahmen muss bewertet und quantifiziert werden. Die Umsetzung von Maßnahmen erfordert allgemeine wissenschaftliche Leitlinien, eine angemessene Überwachung und eine Ex-post-Bewertung.
  6. Die Koordinierung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen (regional, national, europäisch sowie zwischen verschiedenen Sektoren) muss verbessert werden. Eine mangelnde Koordinierung kann die Wirkung einzelner Maßnahmen beeinträchtigen.
  7. Für Fischereibetriebe (insbesondere in Binnen- und Übergangsgewässern) ist eine Erhebung von ökonomischen Daten erforderlich. Diese werden benötigt, um die wirtschaftliche Bedeutung des Aals für die Fischerei und kleine Verarbeitungsunternehmen zu erfassen sowie eine Abschätzung der Auswirkungen verschiedener Bewirtschaftungsoptionen (beispielsweise die Schließung der Aalfischerei) auf die Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette durchzuführen.
  8. Es muss ein internationales System zur Rückverfolgbarkeit von Glasaalen entwickelt werden, um die Vermarktungswege legaler Fänge in und zwischen Ländern zu verfolgen und illegale Fänge aufzudecken. Ebenso ist eine bessere Erfassung und Bekämpfung der illegalen Aalfischerei notwendig.

Beteiligte externe Thünen-Partner

Geldgeber

  • Europäische Union (EU)
    (international, öffentlich)

Zeitraum

7.2018 - 2.2019

Publikationen

  1. 0

    Biseau A, Diaz E, Beaulaton L, Boughaba J, Briand C, Cardinale M, Ciccotti E, Dekker W, Domingos I, Drouineau H, Durif CM, Evans D, van Gemert R, Gollock M, Van der Hammen T, Hanel R, Kaifu K, Janiak K, O’Leary C, Pohlmann J-D, et al (2021) Workshop on the future of eel advice (WKFEA). Copenhagen: ICES, 67 p, ICES Sci Rep 3(13), DOI:10.17895/ices.pub.5988

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn064400.pdf

  2. 1

    Hanel R, Briand C, Diaz E, Döring R, Sapounidis A, Warmerdam W, Andres M, Freese M, Marcelis A, Marohn L, Pohlmann J-D, Scharrenburg M van, Waidmann N, Walstra J, Werkman M, Wilde Jde, Wysujack K (2019) Research for PECH Committee - Environmental, social and economic sustainability of European eel management. Brussels: European Parliament Policy Department for Structural and Cohesion Policies, 187 p, DOI:10.2861/033620

Nach oben