Faktencheck
Hat Deutschland am 29. Februar seine Fischreserven verbraucht?
Christopher Zimmermann, Gerd Kraus, Nadine Kraft | 06.03.2024
Fair Oceans, Slow Food und Brot für die Welt haben für den letzten Februartag in diesem Jahr den „End of fish“-Day ausgerufen: Rechnerisch habe Deutschland zu diesem Stichtag die eigenen Fischreserven erschöpft, der Bedarf könne nur noch durch Importe gedeckt werden. Ist das wirklich ein Problem?
Mit dem End of Fish Day wollen Interessen- und Umweltschutzverbände auf die Endlichkeit der Ressource Fisch hinweisen. Deshalb haben sie errechnet, wann der inländische Verbrauch die Summe der Anlandungen deutscher Fischereifahrzeuge im In- und Ausland und der inländischen Produktion übersteigt. Der deutsche "End of Fish"-Day werde zudem immer früher im Jahr erreicht. Einige Umweltverbände nutzten die Aktion, um grundsätzlich auf ihre Anliegen in Sachen Meeresfischerei hinzuweisen: weniger Fisch essen, fischereifreie Schutzgebiete ausdehnen, Stärkung der küstennahen Kleinfischereien und auf nachhaltige Bewirtschaftung der Fischbestände achten.
Allerdings hat ein solcher "End of Fish"-Day, der den Eigenversorgungsgrad in Beziehung zum Fischkonsum setzt, für Deutschland allein wenig Aussagekraft. In Deutschland stehen 84,4 Millionen Konsumenten einem kleinen Meeresgebiet, einer kleinen Fischereiflotte und sehr geringer Aquakulturproduktion gegenüber. Ein geringer Selbstversorgungsgrad – bei Fisch rund 16 Prozent – ist daher zu erwarten und nicht automatisch bedenklich. Meeresfisch ist zudem ein weltweit gehandeltes Gut, so wie Bananen, Kaffee, Kakao. Da der Selbstversorgungsgrad dieser Waren für den deutschen Markt bei Null liegt, wäre der "End of"-Day schon am 1. Januar erreicht. Auch bei Obst hat die Bundesrepublik nur einen Selbstversorgungsgrad von 20 Prozent.
Die für die Berechnung verwendeten Daten beziehen sich auf das Jahr 2022: In diesem Jahr betrugen die Anlandungen deutscher Betriebe im In- und Ausland und die Produktion von Süßwassertieren in der Summe 189.000 Tonnen. Zusätzlich wurden 2.156.000 Tonnen importiert, aber 939.000 Tonnen wieder exportiert – in Deutschland sind die weltweit größten Fischstäbchenfabriken ansässig. Der inländische Verbrauch betrug also 1.217.000 Tonnen, das sind knapp 3.330 Tonnen Frischfisch pro Tag. Pro Person und Jahr entspricht dies einem Verbrauch von 14,4 Kilogramm (Frischgewicht). Eine kleine Mahlzeit von 200 Gramm mehr oder weniger Frischfisch pro Jahr und Einwohner Deutschlands verschiebt den End-of-Fish-Day um jeweils einen Tag.
In Deutschland wird der Selbstversorgungsgrad maßgeblich durch die Eigenproduktion bestimmt, weil der Pro-Kopf-Verbrauch und die Einwohnerzahl vergleichsweise konstant bleiben. Die Eigenproduktion war im Jahr 2022 krisenbedingt besonders niedrig – Corona wirkte noch nach, in der Gastronomie etwa wurde weniger Fisch verkauft. Dann stiegen kriegsbedingt die Treibstoffpreise auf Höchstniveau. Das schränkte die Fangaktivitäten der Fischerei stark ein. 2022 war dementsprechend die Eigenproduktion auf einem historischen Tiefstand, während sie 2018 vor den diversen Krisen mit gut 300.000 Tonnen rund ein Drittel höher war als 2022, der Selbstversorgungsgrad lag bei 25 Prozent. Auch wenn der Selbstversorgungsgrad 2022 mit 16 Prozent besonders gering und zum Beispiel 1990 mit 27 Prozent besonders hoch war: Ein Trend ist aus den langjährigen Daten kaum ablesbar. Vielmehr schwankte der Wert in den vergangenen 20 Jahren zwischen 26 Prozent und 19 Prozent. Der „aktuelle“ niedrige Wert spiegelt also eher die Folge diverser Krisen wider.
Wichtiger als Daten zum Selbstversorgungsgrad ist, dass die Fischereien, aus denen unser Markt Ware bezieht, nachhaltig bewirtschaftet werden. Bei dem in Deutschland gehandelten Fisch ist dies ganz überwiegend der Fall: Die wichtigste Fischart auf dem deutschen Markt ist mit fast 20 Prozent Marktanteil Alaska-Pollack aus dem Nordpazifik. Das Management der dortigen Fischereien ist vorbildlich, sie sind MSC-zertifiziert. Zweiter in der Rangfolge ist Lachs mit mehr als 17 Prozent Marktanteil. Diese Art kommt überwiegend aus Aquakultur in Norwegen. Die wenigen Wildlachse auf dem deutschen Markt stammen aus nordpazifischen Beständen, die ebenfalls in gutem Zustand sind. Der Zustand vieler europäischer Fischbestände, insbesondere in der Nordsee, hat sich durch die nachhaltige Bewirtschaftung verbessert. In der Folge konnten die Fangmengen wieder erhöht werden. In der Ostsee ist die Situation anders: Dort ist der Zustand der aus deutscher Sicht wichtigsten Bestände bedenklich. Insbesondere Hering und Dorsch der westlichen Ostsee sind stark vom Klimawandel und den Folgen der Überdüngung betroffen. Die Fischerei spielt hingegen fast keine Rolle mehr.