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Pressemitteilung

Keineswegs auf der Durchreise!

Forschungsergebnisse zur Integration von Geflüchteten in ländlichen Regionen vorgestellt

Ein dunkel- und ein hellhäutiger Mensch stehen auf einer Dorfstraße
© Andreas Bormann

Mehr als 130 Expertinnen und Experten informierten sich am 20. Mai 2021 auf einer digitalen Veranstaltung zu Ergebnissen und Handlungsempfehlungen des Forschungsprojekts „Zukunft für Geflüchtete in ländlichen Regionen Deutschlands“. Gezeigt wurde unter anderem, dass ein großer Teil der Geflüchteten, die seit 2012 in die ländlichen Untersuchungslandkreise gekommen sind, heute immer noch dort lebt. Thema war auch, welche Faktoren das Ankommen und Bleiben gefördert bzw. gehemmt haben.

Spätestens nachdem in Deutschland ab 2014 die Zahl der Geflüchteten stark angestiegen war, wurde auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen, dass die Integration von Geflüchteten kein reines Großstadtthema ist. Viele Geflüchtete wurden nach der Erstaufnahme auch in ländlichen Landkreisen und Gemeinden untergebracht. Zwei sich widersprechende Narrative kursierten damals: Einmal die gängige Auffassung, die Geflüchteten blieben nicht in ländlichen Regionen, sondern seien ganz überwiegend quasi nur auf Durchreise in die Großstädte. Zum anderen die neue, auf ein breites öffentliches Echo stoßende Forderung: „Flüchtlinge aufs Land!“. Dort gebe es freien Wohnraum, Arbeitskräftemangel, soziale Nähe und keine Parallelgesellschaften. Beide Sichtweisen zeigen vor allem Wissensdefizite: Migrations- und Integrationsforschung war bislang räumlich kaum differenziert bzw. ganz überwiegend auf urbane Räume bezogen, ländliche Regionen wurden nur vereinzelt untersucht.

Vor diesem Hintergrund starteten vier Forschungseinrichtungen 2018 ein Verbundprojekt, das untersucht, ob und wie humanitäres Engagement für Geflüchtete und die Entwicklung ländlicher Räume im Kontext von Abwanderung und demographischem Wandel verbunden werden können. Zentrale Forschungsergebnisse und Handlungsempfehlungen wurden jetzt am 20. Mai in einer Abschlussveranstaltung digital vorgestellt und diskutiert.

Ein erheblicher Anteil der seit 2012 in die Untersuchungslandkreise zugewiesenen geflüchteten Menschen, so ergab die Untersuchung, befand sich auch Ende 2020 noch dort. Einen hohen Bleibeanteil weist mit rund 75 % der Landkreis Vechta in Niedersachsen auf. Projektleiter Dr. Peter Mehl vom Thünen-Institut für Ländliche Räume: „Von Durchreise kann keine Rede sein! Ob daraus allerdings eine dauerhafte Chance für Neuzugewanderte und Aufnahmegesellschaft wird, hängt von den Erfahrungen der Geflüchteten in ihren neuen regionalen Umgebungen ab. Lokale Politik und die Einstellungen und Aktivitäten der Aufnahmegesellschaft tragen hierzu ganz wesentlich bei.“

Eine Bleibeorientierung entwickeln Geflüchtete nach Ergebnissen der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vor allem dann, wenn sie sich vor Ort wohl fühlen, sicher leben können und Begegnungsmöglichkeiten mit der Lokalbevölkerung, aber auch mit anderen Neu-zugewanderten vorhanden sind. „Zentral für das Bleiben ist ein guter Arbeitsplatz, der gut erreichbar sein muss. Für viele Geflüchtete ist es essentiell, am neuen Wohnort einen Führerschein machen zu können“, so Dr. Stefan Kordel. Während zu Beginn Umzüge noch sehr häufig sind, stabilisieren sich Wohnverhältnisse mit der Zeit, was die Wissenschaftler auf die Entwicklung von Bindungen an den Ort zurückführen.

Häufig sind sich ländliche Landkreise und Gemeinden ihrer eigenen Handlungsspielräume nicht bewusst. Prof. Dr. Hannes Schammann, Universität Hildesheim, betont: „Gerade in ländlichen Kommunen kann das Engagement einzelner Personen aus Politik und Verwaltung einen großen Unterschied machen. Bürgermeisterinnen oder Bürgermeister und auch Sachbearbeitende können selbst bei widrigen Ausgangsbedingungen einen spürbaren Einfluss haben.“ Komplexe Verwaltungsstrukturen zwischen Landkreis und Gemeinden, die Ausrichtung von Fördermitteln auf urbane Regionen sowie eine fehlende Verknüpfung von ländlicher Entwicklungspolitik und Integrationsarbeit zählen nach Angaben der Forschenden zu den typischen Stolpersteinen für ländliche Integrationspolitik.

Die Aufnahmebereitschaft der lokalen Bevölkerung sei eine wesentliche Voraussetzung für das soziale Wohlbefinden der Geflüchteten vor Ort, so Prof. Dr. Birgit Glorius von der TU Chemnitz. Es müsse nicht nur eine strukturelle Integration, etwa in den Arbeitsmarkt, stattfinden, sondern auch eine soziale Offenheit gegenüber Geflüchteten herrschen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Bevölkerung in den untersuchten ländlichen Regionen deutlich weniger Erfahrung im Kontakt mit Geflüchteten und Migrantinnen und Migranten hat als im bundesweiten Durchschnitt. Positive Kontakterfahrungen können jedoch Offenheit begünstigen und sollten unterstützt werden, dann kann Integration gelingen“, so Glorius.

Praxisnahe Handlungsempfehlungen aus den Ergebnissen wurden in der Veranstaltung vorgestellt und mit den teilnehmenden Personen aus Bund, Ländern und den Untersuchungskommunen diskutiert. Ergebnisse lassen sich auf der Projekthomepage (www.gefluechtete-in-laendlichen-raeumen.de)  abrufen.

Hintergrundinformationen zum Projekt

In dem Verbundprojekt wirkten mit:

  • Thünen-Institut für ländliche Räume als koordinierende Einrichtung (Projektleiter Dr. Peter Mehl; Koordinatorin Dr. Johanna Fick),
  • Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Projektleiter Dr. Stefan Kordel),
  • Stiftung Universität Hildesheim (Projektleiter Prof. Dr. Hannes Schammann),
  • TU Chemnitz (Projektleiterin Prof. Dr. Birgit Glorius).

Empirisch untersucht wurden jeweils zwei Landkreise in den Bundesländern Bayern (Landkreise Neustadt/Aisch-Bad Windsheim; Regen), Hessen (Landkreis Waldeck-Frankenberg; Werra-Meißner-Kreis), Niedersachsen (Landkreise Northeim; Vechta) und Sachsen (Landkreise Bautzen; Nordsachsen). Gefördert wurde das Projekt vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) im Rahmen des Bundesprogramms ländliche Entwicklung (BULE).

Homepage: https://www.gefluechtete-in-laendlichen-raeumen.de/ 

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