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Interview

„Mehr Feldhasen heißt nicht, dass jetzt alles gut ist“

Kathrin Rieck mit Grit Greiser und Jan Volkmann | 05.07.2024


WO Institut für Waldökosysteme

In Deutschland gibt es wieder so viele Feldhasen wie seit 20 Jahren nicht mehr. Wie sich die Bestände entwickeln, wird am WILD-Zentrum des Thünen-Instituts für Waldökosysteme untersucht. Grit Greiser, Wissenschaftlerin am Thünen-Institut für Waldökosysteme, schult dort Jägerinnen und Jäger für die Hasen-Zählung und wertet die gesammelten Daten aus. Im Interview ordnen die Wildtierökologin und Jan Volkmann, Jäger aus Brandenburg, die neuen Ergebnisse ein.

Sie zählen seit 2002 Feldhasen. Laut den aktuellen WILD-Daten gibt es heute wieder mehr Tiere als zu Beginn der Zählungen. Womit hängt das zusammen?

Grit Greiser (GG): 2020, 2022 und 2023 hatten wir besonders milde Winter, warme Frühjahre und Sommer. Dadurch sind weniger Hasen im Winter gestorben. Außerdem haben mehr Junghasen das Frühjahr überlebt. Sie sind anfällig gegenüber nasskalter Witterung. Die ersten Lebenswochen überleben sie oft nicht. Wenn es warm wird, schaffen Hasen bis zu fünf Würfe im Jahr.

Also kann man sagen, dass wärmere, trockene Witterung gut für den Feldhasen ist?

GG: Genau diese Bedingungen haben dazu geführt, dass die Hasenbestände in Deutschland ansteigen. In dem Sinne scheinen die Feldhasen vom Klimawandel zu profitieren.

Können Sie uns ein Hasen-Monitoring beschreiben?

GG: Feldhasenzählungen gibt es in einzelnen Bundesländern schon länger. Aber erst seit 2002 finden regelmäßig standardisierte Feldhasen-Zählungen bundesweit im WILD-Projekt statt. Seitdem zählen jedes Jahr im Frühjahr und Herbst Jägerinnen und Jäger auf freiwilliger Basis jeweils zweimal pro Saison die Hasen in ihren Jagdrevieren. Insgesamt sind das 400 Referenzgebiete in offenen Agrarlandschaften. Alle zwei Jahre finden noch flächendeckende Umfragen statt. Dabei werden auch Sichtungen außerhalb der Referenzgebiete z. B. in Stadtnähe oder Wäldern erfasst.

Jan Volkmann (JV):  Praktisch läuft das so ab: Wenn es dunkel wird, fahren wir eine vorher festgelegte Fahrtroute ab. Dabei leuchten wir mit Scheinwerfern vom Fahrzeug aus Wiesen und Felder ab. Alle Hasen, die im Licht auftauchen, werden gezählt. Aus der Summe der gezählten Hasen und der abgeleuchteten Fläche wird der Hasenbestand pro Quadratkilometer berechnet. Damit die Zählungen möglichst nach Standard ablaufen, werden wir durch die zuständigen Länderbetreuer des Bundeslandes eingewiesen und richten gemeinsam die Strecken ein.

Beim Blick auf die Karte fallen die regionalen Unterschiede auf. Können sie diese erklären?

GG: Weite Teile im Nordwesten, also Westfalen oder der Niederrhein und im Südwesten die Rhein-Main-Ebene, sind klimatisch und von den Bodenverhältnissen her günstig. Deshalb liegen hier traditionell die Niederwildregionen in Deutschland mit den besten Besätzen.
Klima und Naturraum im Nordostdeutschen Tiefland sind hingegen nicht so optimal, weil die Landschaft ausgeräumter ist und die Mittelgebirge einen höheren Waldanteil haben.

Herr Volkmann, können Sie das aus ihren Zählungen in Brandenburg bestätigen? Auf welchen Flächen sichten sie die meisten Hasen?

JV: Ja, wir können die Entwicklung, die sich in den vergangenen fünf Jahren abgezeichnet hat, bestätigen. Bei uns im Revier haben wir die meisten Hasen am Zähltag auf dem Grünland eines Bio-Landwirts mit extensiver Nutzung gesichtet. Wir haben aber auch einige an und auf Flächen mit Zwischenfrüchten und auf einer Walnussplantage mit reicher Krautflora gesehen.

Was heißt das für Agrarökosysteme und für Jagdpächter, wenn es wieder mehr Hasen gibt?

GG: Wenn es dem Hasen besser geht, ist zu vermuten, dass auch andere wärmeliebende Arten im Offenland vermehrt vorkommen. Als eine Zeigerart ist der Feldhase quasi ein Indikator für den Zustand des Ökosystems um ihn herum. Allerdings spielen eben viele Faktoren eine Rolle. Auch wenn es im Moment durch die wärmeren Temperaturen positive Entwicklungen gab, kann das bei Extremen für den Hasen auch negative Folgen haben, zum Beispiel wenn Grünfutter nach langer Trockenheit fehlt. Hasen nehmen nämlich ihr Wasser aus der Nahrung auf. Aber auch Starkregenereignisse, die immer häufiger vorkommen, sind ein Risikofaktor. Langfristig müssen die Agrarökosysteme so gestaltet werden, dass Offenlandarten dauerhaft eine gute Lebensgrundlage haben und damit besser gegen extreme Witterungsbedingungen gewappnet sind.

JV: Die Jagdstrecke spielt in unserem Revier eher eine untergeordnete Rolle. Wir bejagen den Hasen so gut wie nicht. Es wird alle zwei Jahre mal ein Hase für den Weihnachtsschmaus erlegt. Nichtsdestotrotz haben wir uns seit Übernahme des Reviers der Hege des Hasenbestandes verschrieben. Wir haben hasenfreundliche Wildackermischungen auf von Landwirten bereitgestellten Kleinstflächen eingebracht und wir haben in den Windschutzstreifen Lücken mit gebietsheimischen Gehölzen geschlossen. Es ist schön mit anzusehen, dass die wärmeren Jahre und die Bemühungen die Bestände stabiler gemacht haben.

Wie können Landwirte und Landwirtinnen Hasen noch mehr unterstützen?

GG: Wichtig ist es, dem Hasen und anderen Offenland-Arten ein Mosaik an unterschiedlichen Strukturen zu bieten. Vor allem im Sommer wird das Futter knapp, wenn die landwirtschaftlichen Kulturen wie Getreide und Mais verholzen. Sie bieten dann wenig Nahrung und werden gleichzeitig zu Barrieren. Nach der Ernte liegen große Flächen kahl da. Deshalb sind Säume, Brachen und Blühflächen als Rückzugsräume lebenswichtig. Und zwar auf möglichst kleiner Fläche, weil weite Strecken viel Energie kosten und zusätzliche Gefahren durch Beutegreifer oder Verkehr bergen. Hecken und Gehölzstreifen untergliedern zudem die Landschaft und bieten gleichzeitig den Äckern mehr Schutz vor Wind und Erosion.

JV: Ich kann aus Erfahrung sagen, dass das Blühstreifen-Förderprogramm des Bundes von den größeren Landwirten gut umgesetzt wird. Das gibt es schon mehrere Jahrzehnte, ist aber erst so richtig seit 2017 populär geworden. Was da im Sommer an Leben los ist, ist die wahre Wonne. Was ich mir wünschen würde, ist, dass die Blühstreifen zumindest bei uns bis in den späten Februar stehen bleiben und dann erst gemulcht werden, weil sie den Hasen über den ganzen Winter Deckung geben. Je später gemäht wird, desto besser für die Hasen.

Welche politischen Maßnahmen würden helfen?

GG: Da gibt es einiges wie zum Beispiel mehr Anreize für Landwirtinnen und Landwirte, die Agrarflächen wildtierfreundlicher zu gestalten. Insgesamt sollte der Öko-Landbau mehr gefördert werden, weil dieser schon viele Teilziele für den Schutz von Tieren und Pflanzen erfüllt. Wir müssen weg von den riesigen Feldschlägen mit Monokulturen und den Anbau alternativer Energiepflanzen wie z. B. Wildpflanzenmischungen fördern.

Sie zählen ja nicht nur Hasen, sondern auch weitere Feldbewohner wie Rebhuhn oder Fasan. Kann man aus den Daten Parallelen zur Bestandsentwicklung des Feldhasen ablesen?

GG: Bis 2020 haben wir bei allen im WILD erfassten Feld-Arten starke Einbrüche beobachtet. Den Agrarlandschaften fehlt die Vielfalt. Weniger Insekten heißt auch, dass den Feldvögeln die Nahrung für den Nachwuchs fehlt. Dennoch haben wir bei Rebhuhn und Fasan zuletzt zumindest stabilere Besätze festgestellt. Mehr Feldhasen heißt aber nicht, dass jetzt alles gut ist. Es gilt, den Agrarraum so zu gestalten, dass die Strukturen vielfältiger werden. Dann gibt es auch genug Lebensraum für viele verschiedene Wildtiere.

JV: Bei uns im Revier können wir die positive Bestandsentwicklung beim Feldhasen bestätigen. Die Anzahl der Fasane, also der Brutpaare, hat sich aber nicht verändert und Rebhühner kommen bei uns nicht vor.

Vielen Dank für das Interview.

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