Expertise
Entwicklung der deutschen Datenerhebung seit 2003
Harry Strehlow | 02.06.2022
Die Erhebung von Freizeitfischereidaten in Europa begann mit der Einführung der Verordnung (EG) Nr. 1639/2001. Sie verpflichtete die Mitgliedstaaten, die Fänge von Blauflossenthun in allen Gebieten und Lachs in der Nord- und Ostsee zu beproben. Mit der Novellierung durch die Verordnung (EG) Nr. 1581/2004 wurde die Liste der zu beprobenden Arten in der Freizeitfischerei in Anhang XI um Dorsch (Gadus morhua) in den ICES Gebieten III, IV, V, VI und VII erweitert. Dies geschah, weil Dorsch Bestandteil der Wiederaufbaupläne in diesen Gebieten war. Die Verordnung verpflichtete die Mitgliedstaaten dazu, Pilotstudien durchzuführen, um die Basis für zukünftige Anforderungen zu schaffen.
Die Deutsche Pilotstudie „Dorsch/Kabeljau-Fänge durch die deutsche Freizeitfischerei der Nord- und Ostsee, 2004 – 2006“ zeigte, dass Fänge der Freizeitfischerei nur für Dorsch in der Ostsee relevant waren. Eine Befragung der Hobbyfischer, (Freizeitfischer, die kommerzielle Fanggeräte wie Stellnetze und Reusen einsetzen dürfen) ergab, dass diese nur eine relativ geringe Menge an Dorsch fangen und für die Gesamtentnahme ohne Bedeutung sind. Entsprechend der Ergebnisse aus den Pilotstudien der anderen Mitgliedstaaten wurde die Beprobung der Freizeitfischerei fortgeführt und auf weitere Arten ausgedehnt (EG) Nr. 949/2008. Das Thünen-Institut erhebt seit 2003 Daten der Freizeitfischerei in den deutschen Gewässern der Nord- und Ostsee. Dazu gehört die Ermittlung des Aufwandes und der Einheitsfänge (zum Beispiel Fang pro Angeltag). Mit Hilfe dieser Daten wird dann der Gesamtfang für ausgewählte Fischarten berechnet. Das Beprobungssystem wird beständig verbessert und ausgebaut.
Erhebungsmethoden
Um den Umfang der Angelfischerei zu untersuchen, muss zunächst ermittelt werden, wie viele Angler es an den entsprechenden Küstenabschnitten gibt, wie viele Tage sie angeln (Aufwand) und wie viel sie von welchen Arten dabei pro Tag fangen (Einheitsfang). Mit diesen Daten lässt sich anschließend der Gesamtfang für ausgewählte Fischarten berechnen. In der Praxis tauchen dabei Probleme auf: Schon die Anzahl der Angler zu ermitteln ist schwierig.
Grundsätzlich brauchen Angler in Deutschland einen gültigen Fischereischein, um ihrem Hobby nachzugehen. Nach erfolgreicher Prüfung ist dieser lebenslang gültig, muss jedoch jährlich durch Entrichten der Fischereiabgabe bestätigt werden. Allerdings lässt sich beispielsweise in Schleswig-Holstein aus der Anzahl der verkauften Fischereiabgabemarken nicht direkt auf die Zahl derer schließen, die in der Ost- oder Nordsee angeln. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sind für die Forschung keine Verzeichnisse mit Kontaktdaten der Inhaber von Angelscheinen verfügbar. Weiterhin gibt es keine gesetzlich vorgeschriebenen Fangmeldungen für Angler. Systematische Befragungen und Erhebungen sind dadurch deutlich erschwert.
Hinzu kommt, dass nicht nur von Angelkuttern und Privatbooten aus bekannten Häfen geangelt wird, sondern auch von mobil einsetzbaren Kleinbooten, Bellybooten oder Kajaks. Das läuft – ebenso wie das Brandungs- und Watangeln – an teils entlegenen Stränden ab. Daher müssen andere Methoden, beispielsweise repräsentative Telefon- und Vor-Ort-Befragungen helfen, die Meeresangler in der allgemeinen Bevölkerung zu identifizieren und Informationen zu sammeln.
So gewinnen wir die Daten:
Die Gesamtanzahl der Meeresangler in Nord- und Ostsee zu ermitteln, ist wesentlich für unsere Datenerhebung. Erst diese Untersuchung ermöglicht es, Entnahmemengen zu berechnen, indem wir ihre Ergebnisse auf die Gesamtanzahl der deutschen Angler und der ausgeübten Angeltage skalieren. Wir rekrutieren mittels Brief- und Telefonumfragen ein repräsentatives Panel – also eine Gruppe ständig zu Befragender – und bitten diese, ein Jahr lang ein Angeltagebuch zu führen.
Die letzte Aufwandserhebung fand im Jahr 2014/2015 statt. Für diese Aufgabe wurde das Berliner Sozial- und Meinungsforschungsinstitut USUMA beauftragt, bevölkerungsrepräsentative Interviews mit 50.000 Haushalten zum Thema Meeresangeln in Deutschland durchzuführen. Die Telefonnummern wurden durch ein computergestütztes Zufallsverfahren ausgewählt (zufällige Generierung von Telefonnummern, d.h. es können theoretisch alle Haushalte, die einen Telefonanschluss haben, ausgewählt werden). Die Befragung erfolgte anonym. Befragt wurden Haushalte in den Bundesländern HH, MV, SH, HB, BB, BE, NI, ST, TH. Für die übrigen nicht befragten Bundesländer wurde Thüringen und Sachsen-Anhalt als Referenzland genommen und es wurde angenommen, dass sich der Anteil der Meeresangler in der Bevölkerung in den nicht befragten Bundesländern nicht von diesen beiden Bundesländern unterscheidet. Gefragt wurde, ob die angerufene Person in den letzten 12 Monaten im Meer geangelt hat.
Insgesamt wurden 678 Meeresangler (Nord- und Ostsee einschließlich der Boddengewässer) angetroffen und interviewt. Aus der telefonischen Befragung ergaben sich unterschiedliche Anteile an Meeresanglerhaushalten je Bundesland. Mit diesen Anteilen und den entsprechenden Anzahlen an Haushalten pro Bundesland und dem Anteil der Meeresangler pro Haushalt erfolgte eine Berechnung der Anzahl Meeresangler (Nord- und Ostseeangler) in Deutschland. Während des Interviews wurde außerdem nach der Anzahl Angeltage für die verschiedenen Gewässer (Nordsee, Ostsee, Bodden) und Plattformen (Boot, Kutter, Ufer) in den letzten 12 Monaten gefragt. Aus diesen Angaben konnten dann die durchschnittlichen Angeltage pro Person und Angelmethode berechnet werden, woraus sich wiederum der Angelaufwand (Angeltage) berechnen lässt.
Zusätzlich wurden diese Angler gebeten, an einer einjährigen Tagebuchstudie teilzunehmen, um ihre Angeltage und Fänge zu dokumentieren. Die Teilnehmer der Tagebuchstudie wurden alle 3 Monate telefonisch an die Führung des Tagebuches erinnert und nach ihren Ausgaben für das Meeresangeln befragt.
Die Studie ergab, dass im Jahr 2013 insgesamt rund 163.000 Angler (ca. 0,2% der deutschen Bevölkerung) für durchschnittlich 7,5 Tage an der Ostsee angeln waren, woraus sich ein Gesamtangelaufwand von etwa 1,22 Millionen Ostseeangeltagen ergibt.
Zur Abschätzung des Einheitfangs (CPUE) werden Angler zu ihren Fängen befragt. Dazu führen wir ganzjährig Vor-Ort-Befragungen an Stränden und in Häfen entlang der gesamten deutschen Ostseeküste durch. Wir befragen ganzjährig, um Aussagen zu saisonalen und auch räumlichen Variationen treffen zu können. Der Bereich der Ostsee wurde hierzu in fünf Beprobungsgebiete unterteilt, die von fünf lokalen Mitarbeiter beprobt werden. Ort (Hafen/Strand) und Datum werden zufällig ausgewählt. Die Stratifizierung der Angelarten ist dreigeteilt:
- Strandangeln (Wat- und Brandungsangeln),
- Bootsangeln (Bootsangeln und Trolling), sowie
- Kutterangeln.
Je Beprobungsgebiet und Monat werden zwei Strandangler- und drei Boots-/Kutteranglerbeprobungen durchgeführt (insgesamt 25 Vor-Ort-Beprobungen pro Monat). Die Beprober suchen die Häfen/Strände Nachmittags/Abends auf und befragen alle anwesenden bzw. zurückkommenden Angler zu ihren Fängen. Maßgeblich für die erfolgreiche Beprobung ist der Einsatz lokaler Beprober, die mit den regionalen Gepflogenheiten vertraut sind. Zwischen 2005 und 2015 wurden so knapp 2.800 Beprobungen durchgeführt, bei denen rund 21.000 Ostseeangler befragt wurden.
Die gezielte Erfassung der Längenverteilung der gefangenen Fische (insbesondere der Dorschfänge) erfolgt ganzjährig durch die Mitfahrt auf Angelkuttern. Je Monat und Beprobungsgebiet wird an einer Kutterausfahrt teilgenommen (insgesamt fünf Mitfahrten pro Monat). Die Wahl des Kutters ist zufällig, das Datum wird je nach Terminverfügbarkeit durch den Beprober festgelegt.
Auf der Kutterausfahrt wird jeder gefangene Fisch (zurückgesetzt und entnommen) gemessen und in ein Protokoll eingetragen. In den letzten 10 Jahren wurden so über 30.000 Dorsch durch unsere Beprober auf den Angelkuttern vermessen, um repräsentative Längenverteilungen zu erhalten. Zusätzlich zur Aufnahme biologischer Daten durch die Beprober werden auch Daten von Angelveranstaltungen z.B. des Deutschen Meeresanglerverband gesammelt.
Zur Umrechnung der Anzahl gefangener Fische in eine gefangene Biomasse (Gewicht) werden die Längenverteilungen der entsprechenden Fischarten aus der Freizeitfischerei benötigt, die im Rahmen der Längenmessungen erhoben werden. Da ein exaktes Wiegen der Fische auf See schwierig ist, nutzen wir Längen-Gewichts-Beziehungen (Durchschnittsgewicht eines Dorsches bei einer bestimmten Länge) aus der Beprobung von Fängen der kommerziellen Fischerei. Hierdurch ist eine Umrechnung der Gesamtentnahmemenge durch die Freizeitfischerei in Biomasse möglich. Dabei wird angenommen, dass ein Dorsch, der mit einem Netz gefangen wurde, bei gleicher Länge das gleiche Gewicht hat wie ein Dorsch, der mit der Angel gefangen wurde.
Da es für einzelne Arten, etwa die Meerforelle, keinerlei Längen-Gewichts-Alters-Daten aus der Beprobung der kommerziellen Fischerei gibt, erheben wir diese Daten erstmalig im Rahmen der Anglerbeprobung. Zur Alterslesung werden dazu 10-15 Schuppen entnommen. Um die Populationsstruktur und Herkunft gefangener Fische zu erfassen, entnehmen wir außerdem noch Gewebeproben für genetische Untersuchungen. Bei diesen Aufgaben unterstützen uns auch einzelne Angler. Sie führen Längemessungen durch, entnehmen Schuppenproben und sammeln Gewebeproben.
Um die Bedeutung der Angelfischerei und ihre Entwicklungspotenziale zu erfassen, erheben wir sozio-ökonomische Daten. Im Rahmen der Vor-Ort-Beprobung sowie einzelner Fangtagebuchstudien befragen wir Angler zu Ihren Ausgaben.
Eine bevölkerungsrepräsentative Telefonumfrage ergab, dass Meeresangler (Nord- und Ostsee) in Deutschland im Durchschnitt 677 € ihres Einkommens pro Jahr für ihr Hobby aufwendeten, was jährlich insgesamt 118 Mio. € entspricht.