Dossier
Munition am Meeresgrund
Jörn Scharsack, Ulrike Kammann | 25.08.2022
Rund 1,6 Millionen Tonnen Munitions-Altlasten liegen seit Jahrzehnten in deutschen Meeresgebieten der Nord- und Ostsee und korrodieren. Welche möglichen Auswirkungen freiwerdende Kampfstoffe auf die Umwelt, speziell die Fischfauna, haben, wird derzeit untersucht.
In deutschen Meeresgebieten der Nord- und Ostsee liegen insgesamt etwa 1,6 Millionen Tonnen Munitions-Altlasten. Dazu gehören Blindgänger, nicht explodierte Seeminen und Torpedos sowie Munitionsladungen versenkter Kriegsschiffe aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Der weitaus größte Teil ist jedoch Munition, die nach dem Zweiten Weltkrieg im Meer ‚entsorgt‘ wurde (s. entsprechende YouTube-Sequenz), um Deutschland zu entmilitarisieren.
Die Alliierten wählten entlang der deutschen Küsten Versenkungsgebiete aus, zu denen die Munition verbracht wurde. Dort liegt die verklappte Munition nun seit mehr als 70 Jahren weitgehend unberührt am Meeresgrund.
Der Zustand der Munitionskörper am Meeresboden ist sehr unterschiedlich; sie reicht von wenig korrodiert und (noch) komplett verschlossen bis hin zu durchgerostet und zerstört mit offen liegendem Inhalt. In welchem Zustand die Munitionskörper im Einzelnen sind, hängt von ihrer Lage ab. Sind sie von Sedimenten bedeckt, kann ihr Zustand lange unverändert bleiben. Liegen sie offen und sind Strömung und Wellengang ausgesetzt, korrodieren sie schneller.
Erhebungen verschiedener Arbeitsgruppen gehen von rund 300.000 Tonnen konventioneller Munition in der Ostsee und 1,3 Millionen Tonnen in der Nordsee aus. Hinzu kommen chemische Kampfstoffe: rund 5.000 Tonnen im deutschen Teil der Ostsee, darüber hinaus 45.000 – 65.000 Tonnen in den tieferen Meeresgebieten von Skagerrak und Bornholm-Becken. In der Nordsee lagern etwa 90 Tonnen chemische Kampfstoffe.
Es ist wissenschaftlich belegt, dass sprengstofftypische Verbindungen, vor allem TNT (Trinitrotoluol), aus den rostenden Munitions-Altlasten austreten. Wie schädlich diese Stoffe für die Meeresumwelt und möglicherweise den Menschen sein können, ist bisher weniger gut bekannt. TNT und seine Metabolite sind in hohen Konzentrationen für Fische giftig. Die Chemikalien werden im Meer schnell verdünnt, lassen sich aber in Spuren in Fischen aus Versenkungsgebieten nachweisen. Da die Verwitterungsprozesse im Meer durch klimatische Bedingungen beeinflusst werden, könnte der Klimawandel zu einer beschleunigten Freisetzung von Schadstoffen aus Altmunition führen.
Die Geschwindigkeit, mit der Schadstoffe aus den Munitionsbeständen frei werden, hängt auch von den jeweiligen lokalen Bedingungen ab, etwa ob Altlasten frei liegen oder von Sediment bedeckt sind. In jedem Fall wird die Korrosion der Munitionskörper fortschreiten und deren Inhalte werden vermehrt in die Umwelt gelangen.
Sprengungen von Altmunition sind aus Sicherheitsgründen manchmal nicht zu vermeiden, z.B. wenn Blindgänger oder Seeminen aus den Kriegen für Offshore-Baumaßnahmen beseitigt werden müssen. Für eine flächendeckende Räumung von Munitions-Altlasten ist Sprengung jedoch keine umweltverträgliche Lösung, da niemals der gesamte Sprengstoff umgesetzt wird und umliegende Munitionskörper beschädigt werden. Sprengungen würden den Schadstoffeintrag in die Umwelt erheblich erhöhen und stellen eine potenzielle Gefahr z.B. für Meeressäuger dar.
Räumung von Munitionsaltlasten ist technisch möglich, wird aber mit zunehmender Korrosion der Munition immer schwieriger. Bei stark korrodiertem Material steigt das Risiko, dass bei der Bergung Außenhüllen beschädigt werden und der Inhalt frei wird. Kapazitäten zur Entsorgung von Altmunition an Land sind bereits jetzt ausgelastet. Daher werden auch technische Lösungen diskutiert, Altmunition auf See auf schwimmenden Plattformen zu verbrennen.
Forderungen zur Entsorgung werden lauter
Lange Zeit standen Munitions-Altlasten in den Meeren nicht im Fokus des öffentlichen und politischen Interesses. Aufmerksamkeit erregen aber immer wieder Munitionsfunde bei Offshore-Bauaktivitäten oder Funde durch Spaziergänger am Strand. Hinweise auf mögliche Schadwirkungen von Munitions-Altlasten für die Meeresumwelt haben das Interesse an der Problematik erhöht. Forderungen, die Munitions-Altlasten zu bergen und umweltfreundlich zu entsorgen, werden lauter. Die Bundesregierung hat die Thematik in ihrem Koalitionsvertrag aufgegriffen und bekundet den Willen, Lösungskonzepte für die Problematik zu erarbeiten.