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Expertise

Offshore-Windpark als Kabeljau-Refugium

Vanessa Stelzenmüller, Karl-Michael Werner, Holger Haslob | 02.11.2023


SF Institut für Seefischerei

Eine Pilotstudie mit neuem Monitoring-Ansatz in der Deutschen Bucht bestätigt die ökologische Bedeutung von Offshore-Windparks als Rückzugsort und Nahrungsquelle mariner Lebewesen: Steinaufschüttungen am Fuß von Windkraftanlagen wirken sich durch einen „künstlichen Riffeffekt“ positiv auf zum Teil am Boden lebende Arten wie den Kabeljau aus. Könnten manche Offshore-Windparks demnächst neben der energetischen Relevanz auch eine solche als Schutzraum erhalten?

Der über den gesamten Nordatlantik inklusive der Nord- und Ostsee verbreitete Raubfisch war eine wichtige Zielart der deutschen Fischerei. Durch zu intensive Fischerei ist der Kabeljau (Gadhus morhua) besonders in der südlichen Nordsee sowie in der westlichen Ostsee seit den 2000er-Jahren stark zurückgegangen. Die Klimawandel-bedingte Meereserwärmung sorgt auch dafür, dass sich die Bestände nicht regenerieren können. Für Fischerei und Ökosysteme in Nord- und Ostsee ist es von großer Bedeutung, dass sich die räuberische Fischart erholt. Eine Rolle spielen könnten dabei Windparks als fischereifreie Areale, die im Verbreitungsgebiet des Kabeljaus liegen.

Besonders interessant sind Windparks, in denen die Windkraftanlagen am Meeresboden durch Steinaufschüttungen verstärkt sind. Im Gegensatz zu den intensiv befischten, sandigen Böden in der Nordsee bieten Windparks dieser Bauart strukturreiche Rückzugsorte. Dort finden die Fische zudem ein reich gedecktes Buffet aus Muscheln, Krebstieren und kleineren Fischen. Wissenschaftliche Studien (z.B. Reubens et al. 2014a) bestätigen, dass auch der Kabeljau zu den Fischarten zählt, die an den Steinaufschüttungen in Windparks Schutz und Nahrung suchen.

Wie nutzt der Kabeljau die Windparks?

Um diese Frage genauer beantworten zu können, haben Forschende vom Thünen-Institut für Seefischerei ein neues Monitoring-Konzept exemplarisch an der Offshore Wind Farm Meerwind Süd/Ost (OWF) in der Deutschen Bucht entwickelt und umgesetzt (Gimpel et al. 2023). Dabei haben sie erstmalig Kabeljau-Fänge innerhalb und außerhalb des Windparks aus dem Sommer und dem Winter 2019 und 2020 verglichen.

Die Fangmethoden unterschieden sich aufgrund der Sicherheitsauflagen erheblich: Im Windpark haben die Forschenden nach ausgewachsenen Tieren in einem Radius von ca. zehn Metern um die Pfeiler der Windkraftanlagen herum geangelt. Als Referenzproben von außerhalb des Parks dienten Fänge aus regelmäßig stattfindenden Fischereisurveys: dem International Bottom Trawl Survey (IBTS) und dem German Small-Scale Bottom Trawl Survey (GSBTS), bei denen mit Grundschleppnetzen gefischt wird.

Erstmals haben die Wissenschaftler*innen während der Laichzeit stichprobenartig innerhalb und außerhalb des Windparks auch nach Eiern des Kabeljaus gesucht. Damit wollten sie herausfinden, ob der Kabeljau den Windpark auch als Laichgebiet nutzt. Neu war auch die Art der Datenauswertung: Das Forscherteam hat die Fischeier genetisch untersucht und mit Hilfe eines Driftmodells (Pellets 2D entwickelt am Hereon) analysiert. Das Modell simuliert die Verdriftung der Fischeier in der Meeresströmung. Im Ergebnis können die Wissenschaftler*innen relativ genau sagen, wann und wo die Kabeljaueier produziert wurden.

Neben Alter, Größe und Allgemeinzustand der Tiere wurde auch ermittelt, woher ihre Nahrung stammte. Dafür wurden die Mageninhalte mittels Nitrogen- und Carbon-Isotopen analysiert. Dabei werden die Nahrungsreste in ihre elementaren Bausteine zerlegt. Diese weisen je nach Ort oder Region unterschiedliche chemische Eigenschaften und damit einen lokalen „Fingerabdruck“ auf.

Dauergast im Sommer, Laichgebiet im Winter

Die Auswertung der insgesamt 217 Fische (134 innerhalb und 54 außerhalb des Windparks) und 214 Fischeier zeigte, dass die gefangenen Tiere innerhalb des Windparks größer waren und zahlreicher auftraten als außerhalb. Durch die neue Methodenkombination aus Genetik und Drift-Simulation konnte erstmalig belegt werden, dass jedes zehnte Ei seinen Ursprung im Windpark hatte. Der Mageninhalt offenbarte eine vielfältigere Ernährung im Windpark als außerhalb: Auf dem Speiseplan der Kabeljaue standen vor allem Porzellankrebse und Butterfische, die Hartsubstrate wie die Steinaufschüttungen als Lebensraum bevorzugen. Die zusätzliche Analyse zur Herkunft der Mageninhalte zeigte zum ersten Mal, dass der Kabeljau das Gebiet um die Steinaufschüttungen im Windpark langfristig vor allem im Sommer als Nahrungsquelle nutzte.

Nutzung und Schutz zugleich?

Da sich die Studie auf lediglich einen Windpark beschränkt, lassen die Ergebnisse keine allgemeingültigen Aussagen zur Population insgesamt zu. Dass der Kabeljau sich dort aber dauerhaft aufhält und sogar laicht, unterstreicht den ökologischen Wert von Windparks mit Steinaufschüttungen in der südlichen Nordsee.

Zudem zeigt die Vielfalt der Datenauswertung einen neuen Weg auf, Monitoring-Fragen zu ökologischen Effekten von Windparks gezielter beantworten zu können – trotz des begrenzten Untersuchungsgebiets, der vergleichsweise kleinen Stichprobe und unterschiedlicher Fangmethoden.

Sollten weitere Studien die positiven Effekte von Windparks mit künstlichem Riffeffekt bestätigen, müsste der Schutzfaktor dieser Gebiete in die Managementkonzepte zur maritimen Raumplanung einfließen. Langfristig könnte sich dies positiv auf die Bestandserholung des Kabeljaus auswirken und somit auch der Fischerei nutzen.

Weitere Information

 

Publikationen

  1. 0

    Gimpel A, Werner K-M, Bockelmann F-D, Haslob H, Kloppmann MHF, Schaber M, Stelzenmüller V (2023) Ecological effects of offshore wind farms on Atlantic cod (Gadus morhua) in the southern North Sea. Sci Total Environ 878:162902, DOI:10.1016/j.scitotenv.2023.162902

  2. 1

    Gimpel A, Stelzenmüller V, Haslob H, Berkenhagen J, Schupp MF, Krause G, Buck BH (2020) Offshore-Windparks: Chance für Fischerei und Naturschutz. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 6 p, Thünen à la carte 7, DOI:10.3220/CA1580724472000

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn062061.pdf

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