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FAQ

Wissenswertes zur vierten Bundeswaldinventur

Thomas Riedel | 08.10.2024


WO Institut für Waldökosysteme

Wie inventarisiert man eigentlich Wälder? Wofür werden die Daten gebraucht? Werden überall in Europa die gleichen Daten erhoben? Finde ich Angaben zu meinem Privatwald? Die häufigsten Fragen und Antworten zur Bundeswaldinventur.

So wie jedes Unternehmen regelmäßig seinen Warenbestand checkt, werden seit 1986 Deutschlands Wälder systematisch auf ihren Bestand geprüft. Alle zehn Jahre gehen dafür speziell geschulte Inventurtrupps in die Wälder. Die Bundeswaldinventur ist gemäß Bundeswaldgesetz §41a eine gemeinsam von Bund und Ländern organisierte Aufgabe.  Das Thünen-Institut für Waldökosysteme führt die Bundeswaldinventur im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft durch, 2022 zum vierten Mal gesamtdeutsch.

Die Skandinavier waren die Ersten, die vor mehr als 100 Jahren nationale Waldinventuren auf Basis von Stichproben eingeführt haben. Heute gibt es in fast allen europäischen Ländern nationale Waldinventuren auf Stichprobenbasis. Jedes Verfahren verläuft etwas anders, weil nationale Traditionen, Zielsetzungen der Bestandsaufnahme und die örtlichen Waldverhältnisse berücksichtigt werden. Um die Länderdaten international vergleichen zu können, müssen sie jedoch harmonisiert werden. Das ist Aufgabe des in den 1990er Jahren gegründeten European National Forest Inventory Network (ENFIN). Darin sind die Institutionen vertreten, die in den Ländern für die nationalen Waldinventuren zuständig sind. Bereits harmonisiert können mittlerweile Informationen zu Waldflächen, zum Holzvorrat, zur Biomasse sowie zum Holzzuwachs bereitgestellt werden.

Eine Arbeitsgruppe am Thünen-Institut für Waldökosysteme bereitet die Inventur wissenschaftlich vor, koordiniert sie und wertet die Daten aus. Die permanenten Stichproben sind über ganz Deutschland in einem Grundnetz von vier mal vier Kilometern verteilt. Die Bundesländer können das Stichprobennetz auf 2,83 mal 2,83 Kilometer oder sogar zwei mal zwei Kilometer verdichten, um die statistische Absicherung für ihre Bereiche zu erhöhen. An jedem Rasterpunkt, der sich in einer Waldfläche befindet, erfassen die Trupps unter anderem die Baumart, Durchmesser und Höhe von ausgewählten Probebäumen – insgesamt mehr als 500.000 – sowie Daten zum Bestockungsaufbau und zum Totholz. Insgesamt werden mehr als 150 Merkmale aufgenommen. Eine der wichtigsten Kenngrößen ist der Baumdurchmesser in 1,30 Meter Höhe. Es dauert insgesamt zwei Jahre, um alle Daten zu erheben.

Die Felddaten der Bundeswaldinventur sind eine wertvolle Datenquelle: Auf ihrer Basis können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beispielsweise errechnen, wie viel Holzvorrat in den Wäldern steht,  wie viel Kohlenstoff in ihnen gespeichert wird und wie sich diese Werte in den vergangenen Jahren verändert haben. Zudem erlauben die Datenserien Projektionen, wie sich Holzvorrat und Kohlenstoffspeicher in den kommenden Jahren unter bestimmten, vordefinierten Annahmen entwickeln könnten. Sie bilden die Grundlage für Entscheidungen in Politik und Wirtschaft, etwa, wenn es um die Herausforderungen des Klimawandels oder um nachhaltige Waldwirtschaft geht. Zudem sind die Daten fester Bestandteil von internationalen Berichtspflichten wie dem Kyoto-Protokoll und der Klimarahmenkonvention.

Sogenannte Fernerkundungsdaten werden für verschiedene Arbeitsprozesse der Bundeswaldinventur genutzt. Zum Beispiel können mit ihrer Hilfe so genannte Kleingebietsschätzungen, also Auswertungen für kleinere räumliche Einheiten wie Landkreise oder Gemeinden, bereitgestellt werden.
Anhand von Luftbildern und Satelliten-Daten wird zudem im Vorfeld der Begehung geprüft, ob die Stichprobenpunkte überhaupt im Wald liegen. Über die vor Ort durchgeführten Erhebungen aus den Jahren 2021 und 2022 wird schließlich eine Waldmaske aus dem Jahr 2023 gelegt, um zu prüfen, ob der Stichprobenpunkt noch bestockt ist. Dieses Verfahren wiederum ist die Basis für Modellierungen zur Waldentwicklung und zum Holzaufkommen.

Datenerfassung, Datenableitung, Hochrechnung: Um aus den Stichproben aussagekräftige Datensätze zu generieren, braucht es Zeit. Es dauert knapp zwei Jahre, die rund 80.000 Stichproben zu erfassen sowie auf Fehler und Plausibilität zu prüfen. Noch einmal knapp zwei Jahre vergehen, bis Daten hochgerechnet und so aus den Stichproben eine Gesamtschau gebildet werden kann.

Ein Beispiel: Um das Volumen der Stichprobenbäume ermitteln zu können, werden die Durchmesser aller Stichprobenbäume in Brusthöhe gemessen (BHD bei 1,3 Meter Höhe). Bei rund einem Drittel der Bäume wird zudem die gesamte Höhe gemessen. Für alle anderen Bäume wird die Höhe modelliert. Liegen alle Brusthöhen-Daten und modellierten Baumhöhendaten vor, kann daraus das Volumen der Bäume modelliert werden. Auf diese Art müssen zahlreiche weitere Parameter nach den Feldaufnahmen abgeleitet werden, etwa die Naturnähe, Bestockungstypen, Mischungsanteile oder Volumenzuwächse.

Nein. Die BWI ist eine Stichprobe. Als solche ist sie nicht repräsentativ für einzelne Waldflächen. Die einzelnen Stichproben einer Region werden jedoch zu sogenannten Schätzwerten zusammengefügt. Diese erlauben dann Aussagen beispielsweise zu Wäldern in einem Bundesland oder zu Buchenwäldern im Alter von 60 bis 80 Jahren. Für einige Bundesländer werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts im Anschluss an die Standardauswertung auch sogenannte Kleingebietsschätzer anwenden, um für spezielle Zielgrößen in Wuchsgebieten oder Landkreisen Schätzwerte abzugeben.

Die Bundeswaldinventur ist eine Stichprobe, bei der Messungen an einem Teil der Population zu Schätzwerten aggregiert werden. Diese Schätzwerte sind mit Schätzfehlern verbunden. Diese sogenannten Stichprobenfehler sind ein Maß für die Unsicherheit der Schätzung. Je größer der Stichprobenumfang ist, desto geringer wird der damit verbundene Schätzfehler. Auch Hilfsinformationen, wie sie etwa Satellitendaten oder spezielle statistische Methoden liefern, senken die Unsicherheiten der Schätzwerte.

Liegt der Stichprobenfehler für ein Merkmal bei mehr als 20 Prozent, sollte mit diesem Schätzwert vorsichtig umgegangen werden. Ist der Stichprobenfehler größer als 50 Prozent, ist der Schätzwert zu unzuverlässig, um auf seiner Basis Aussagen zu treffen. Ökonomische oder politische Entscheidungen, die auf Schätzwerten mit hohem Stichprobenfehler basieren, können also zu Fehlentscheidungen führen.

Der Holzvorrat in Deutschland beträgt derzeit 3,67 Milliarden Vorratsfestmeter (Vfm).  Der jährliche Zuwachs an Holzvorrat beträgt 101 Millionen Vorratsfestmeter, der Abgang 110 Millionen. Demnach müsste der Vorrat an Holz im Wald abgenommen haben. Tatsächlich hat er sich aber um 242.000 Vfm vergrößert. Diese Diskrepanz bezeichnet man als Bilanzlücke.

Sie entsteht durch die Zählweise der Stichprobenbäume, die wiederholt erfasst werden. Zum Abgang zählen Bäume, wenn sie in der Vorgängerinventur vermessen wurden und bei der aktuellen Inventur nicht mehr vorgefunden werden. Zum Vorrat gehören alle Bäume, die aus der Vorgängerinventur bekannt und noch vorhanden sind und alle Bäume, die neu in die aktuelle Stichprobe eingewachsen sind.

Jeder Stichprobenbaum repräsentiert zudem aufgrund seines Durchmessers eine gewisse Zahl an Bäumen pro Hektar. Bei den überlebenden und eingewachsenen Bäumen bezieht sich die repräsentierte Stammzahl auf den aktuellen Zeitpunkt und somit auf die derzeitige Population. Bei den Abgängen, also den genutzten oder natürlich abgestorbenen Bäumen, bezieht sie sich hingegen auf die Vorgängerinventur. Fügt man nun Abgänge und Zuwächse zu einer Bilanz zusammen, unterscheidet sich diese Zahl zwangsläufig von der klassischen Bilanz, weil eine Population zu unterschiedlichen Zeitpunkten verglichen wird. Die klassische Bilanz ist die Herleitung einer Veränderung aus der Differenz zwischen dem Zustandswert zum Zeitpunkt zwei minus dem Zustandswert zum Zeitpunkt eins.

Die Bilanzlücke könnte zwar geschlossen werden. Dafür müsste allerdings deutlich mehr Aufwand sowohl bei den Messungen in den Wäldern als auch bei der Auswertung der Daten betrieben werden. Zudem bedeutet das Mehr an Daten nicht automatisch, dass etwa Zuwachs und Abgang besser zu interpretieren sind. Das derzeitige Schätzverfahren hingegen ist leicht zu interpretieren und vergleichbar mit den klassischen forstlichen Zielgrößen.

Nein. Die BWI kann beantworten, wie viele der Bäume seit der letzten Inventur durch natürliche Sterblichkeit weggefallen sind und wie viele davon durch Kalamitäten, etwa Schädlingsbefall, abgestorben sind.

Die Frage nach der Waldgesundheit beantwortet die Waldzustandserhebung, die jährlich in den Bundesländern durchgeführt wird. Dafür wird die Kronenverlichtung an einer Auswahl von Einzelbäumen erfasst. Die Daten werden ebenfalls am Thünen-Institut für Waldökosysteme zusammengetragen und ausgewertet.

Die BWI bewertet an jedem Stichprobenpunkt die Baumartenzusammensetzung der Alt- und Jungbestockung. Daraus wird die Naturnähe der Bestockung (Baumbestand einer Fläche) abgeleitet. Die Naturnähe orientiert sich an der natürlichen Waldgesellschaft, welche man an diesem Standort ohne anthropogenes Zutun finden würde.

Die Naturnähe der Altbestände ändert sich bezogen auf ganz Deutschland nur langsam. Befördert wird der Veränderungsprozess etwa durch reguläre Holzeinschläge oder Kalamitäten wie Sturm. Auf 44 Prozent der Waldflächen wurde in den vergangenen zehn Jahren kein Holz geschlagen. Jungbestockungen sind inzwischen sehr viel naturnäher als Altbestockungen. Das ist einerseits auf den erfolgreichen aktiven Waldumbau hin zu klimaresilienteren Wäldern zurückzuführen, hängt andererseits aber auch mit den Kalamitäten der vergangenen fünf Jahre etwa durch Borkenkäferbefall zusammen.

Wald, der geschädigt ist, verschwindet nicht einfach. Von den 500.000 Hektar Wald, die in den vergangenen Jahren nach Trockenheit und Schädlingsbefall abgestorben sind, sind nur 100.000 Hektar sogenannte Blößen, also zeitweise nicht mit Bäumen bestandene Waldflächen. Auf den übrigen Flächen ist bereits eine neue Generation an Bäumen vorhanden, die bisher unter dem Schirm der alten, abgestorbenen Bäume standen. Diese Flächen sind daher nicht unbestockt und somit keine Blößen.

Waldfläche in Deutschland geht nur dann verloren, wenn der Wald beispielsweise für Infrastrukturprojekte nach einer vorherigen behördlichen Genehmigung in eine andere Nutzungsform umgewidmet wird. Dafür sind jedoch Ersatzmaßnahmen vorgeschrieben. Dies können auch Renaturierungen von Mooren sein.

 

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