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Institut für

OF Ostseefischerei

Projekt

KOMODO - Abschätzung kormoranbedingter Sterblichkeit beim Westdorsch


Federführendes Institut OF Institut für Ostseefischerei

Kormorane mit KOMODO Logo
© Thünen-Institut/Beate Büttner
Kormorane sitzen auf einer Betonmauer in einer Reihe und sonnen sich, im Hintergrund sieht man blaues Wasser

KOMODO - Abschätzung kormoranbedingter Sterblichkeit beim Westdorsch

Der Dorschbestand der westlichen Ostsee ist in historisch schlechtem Zustand.  Der Bestand zeigt keine Anzeichen von Erholung, obwohl der Fischereidruck seit Jahren niedrig ist. Ein Großteil des Nachwuchses, den die wenigen verbliebenen Elterntiere produzieren, scheint es nicht bis ins Erwachsenenalter zu schaffen. Kormorane sind an den Küsten wieder weitverbreitet und fressen auch Dorsche, vor allem kleinere Exemplare. Wie viel Dorsche fressen die Kormorane und welche Rolle spielen Kormorane bei der ausbleibenden Erholung des Dorschbestandes der westlichen Ostsee?

Hintergrund und Zielsetzung

Schlechter Zustand des Dorschbestandes

Der Dorschbestand der westlichen Ostsee befindet sich in einem historisch schlechten Zustand. Der Bestand umfasst so wenig Elterntiere wie noch nie seit den 1980er Jahren und die Nachwuchsproduktion liegt seit 2017 weit unter dem langfristigen Mittel; 2016 wurde der letzte stärkere Jahrgang produziert (ICES 2022). Trotz einer starken Reduzierung des Fischereiaufwands bis hin zur Einstellung der gerichteten Fischerei auf Dorsch gibt es keinerlei Anzeichen für eine Erholung des Dorschbestandes. Es ist wahrscheinlich, dass nicht-fischereiliche Faktoren wie Erwärmung, Überdüngung, Lebensraumverlust und Zunahme der natürlichen Sterblichkeit eine wichtige Rolle bei der weiteren Entwicklung spielen (Bryhn et al. 2022). In diesem Kontext ist auch der Fraß von Dorschen durch Kormorane von besonderem Interesse.

Mögliche Rolle von Kormoranen

Der Kormoranbestand des südwestlichen Ostseeraums (Dänemark, Deutschland mit den Bundesländern Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern) ist von 1970 bis 1995 stark gestiegen und liegt seitdem weitgehend konstant bei knapp unter 50.000 Brutpaaren (Koop 2020). Diese relativ hohe Anzahl an Kormoranen wird von den Fischern als Konkurrenz und als Gefahr für die Fischbestände und ihre Bewirtschaftung wahrgenommen (DFV 2022). Derzeit werden die Höhe und Entwicklung der Fischprädation durch Kormorane bei der Modellierung von Bestandsdynamiken des Westdorsches nicht berücksichtigt. Die Ergebnisse neuerer Studien legen jedoch potenzielle Auswirkungen von Kormoranen auf Fischbestände und Fischerei auch entlang der Ostseeküste nahe (Bryhn et al. 2022; Haase et al. 2021; Pietrock et al. 2021).

Die ersten Ergebnisse einer vor Kurzem abgeschlossenen Studie des IfB verdeutlichten, dass Kormorane an einem Schlafplatz am Dassower See nahe der Lübecker Bucht einen unerwartet hohen Anteil an jungen Dorschen in ihrer Nahrung hatten (Pietrock et al. 2021) und rückte die mögliche Rolle der natürlichen Sterblichkeit für den schlechten Zustand des Dorschbestandes der westlichen Ostsee ins Licht der Aufmerksamkeit. Die monatliche Nahrung der Kormorane an diesem Standort bestand zu 25 % bis 96 % aus Dorsch (bezogen auf die geschätzte Biomasse), wobei sich die Prädation hauptsächlich auf null,- ein- und zweijährige Fische zwischen 12 und 43 cm umfasste (Pietrock et al. 2021).

Jedoch stammen diese Ergebnisse lediglich von einem Standort und die zeitliche Variabilität war sehr hoch. Andere Studien entlang der Küste Mecklenburg-Vorpommerns belegten zudem hohe örtliche Schwankungen der Biomasseanteile von Dorsch zwischen 0 und 46 % (H. Winkler, persönliche Mitteilung). Es ist deshalb noch unklar, inwieweit die Ergebnisse von Pietrock et al. (2021) repräsentativ für andere Standorte und Jahre sind. Weitere Untersuchungen sind für eine zuverlässigere Abschätzung des möglichen Einflusses der Kormoranprädation auf die Dynamik und den Zustand sowie die Entwicklungsperspektive des Dorschbestand der westlichen Ostsee und anderer Fischarten in der Region erforderlich.

Studienziele

Ein besseres Verständnis der Ursachen für die Bestandsdynamik ist wichtig, um die Erholungschancen des Westdorschbestandes und damit auch die Perspektiven für dessen zukünftige fischereiliche Nutzung besser einschätzen zu können.

Diese Studie wird sich auf die folgenden Hauptbereiche konzentrieren:

  1.  Quantifizierung der Kormoranprädation an ausgewählten Abschnitten der Ostseeküste mit besonderem Fokus auf den Dorsch,
  2. Vergleich konventioneller und neuartiger genetisch basierter Methoden zur Quantifizierung der Fischprädation aus Kormoranspeiballenanalysen und
  3. Abschätzung der potenziellen Auswirkungen der natürlichen Sterblichkeit durch Kormorane auf die Populationsdynamik des Dorsches der westlichen Ostsee.

 

 

Zielgruppe

Fischer, Angler, Vogelkundler, (Fischerei-)Biologen, Umweltschutzgruppen, Politiker, interessierte Öffentlichkeit und andere

Vorgehensweise

Dieses Projekt ist auf enge Zusammenarbeit zwischen dem Institut für Binnenfischerei e.V. Potsdam Sacrow, dem Thünen Institut für Ostseefischerei, dem Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie: Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse, und mehreren Ornithologen in Deutschland und Dänemark ausgelegt. Dadurch fließen spezielle Expertisen aus verschiedenen Bereichen in die Bearbeitung ein, z. B. Fachwissen in der Binnen- und Ostseefischerei, in der Speiballenanalyse, Dorsch- und Kormoranökologie und Populationsdynamik sowie in der Altersbestimmung von Dorschen.

Unsere Forschungsfragen

Das Projekt umfasst folgende Arbeitspakete:

1. Literaturrecherche und Koordination zwischen Partnern zum Thema Kormoran und Fischprädation
2. Beprobung von Speiballen und Erhebung von Kormorandaten
3. Bestimmung der relativen Anzahlen und Gewichte verschiedener Fischarten sowie der Alterszusammensetzung von Dorschen und Plattfischen aus Kormoranspeiballen durch konventionelle Probenahmen
4. Erprobung neuer genetischer und anderer Methoden zur Quantifizierung des Anteils einzelner Fischarten aus Kormoranspeiballen
5. Abschätzung des Anteils von Dorsch und anderen Fischarten in der jährlichen Nahrungszusammensetzung von Kormoranen
6. Markierung von Dorschen und anderen Zielarten mit PIT Tags
7. Erfassung und Analyse der Bestandsdaten von Dorschen und anderen Fischarten
8. Abschätzung der potenziellen Rolle der Kormoranprädation auf die Populationsdynamik des Dorsches der westlichen Ostsee
9. Entwicklung eines regionalen Monitoringplans zur Erfassung der Kormoranprädation als möglichen Beitrag zum Assessment des ICES
10. Vorstellung, Veröffentlichung und Berichterstellung der Projektergebnisse

Rechtliche Einordnung zu Schutz und Management von Kormoranen

Kormorane unterliegen in Europa dem allgemeinen Schutz der EU-Vogelschutzrichtlinie (Richtlinie 2009). Aufgrund der schnellen Erholung wurde der Status der Kormorane als besonders geschützte Art im Jahr 1997 aufgehoben, so dass sie nicht mehr in Anhang I der Bundesartenschutzverordnung gelistet sind.

Eine Bejagung von Kormoranen ist in Deutschland grundsätzlich nicht erlaubt, da der Kormoran nicht dem Jagdrecht unterliegt (keine jagdbare Art). Ausnahmen für einen Abschuss von Kormoranen können somit lediglich auf naturschutzrechtlicher Basis erlassen werden. Grundlage ist das Bundesnaturschutzgesetz und dort verankerte Ausnahmegründe: „zur Abwendung ernster land-, forst-, fischerei oder wasserwirtschaftlicher oder sonstiger ernster wirtschaftlicher Schäden, zum Schutz der natürlich vorkommenden Tier- und Pflanzenwelt, …. Diese naturschutzrechtlich genehmigten „Entnahmen“ von Kormoranen sind lediglich waffenrechtlich der Ausübung der Jagd gleichgestellt. Hierdurch ist es möglich, Jagdwaffen durch Berechtigte in gleicher Weise zu transportieren und einzusetzen wie dies im Rahmen der normalen Jagdausübung erlaubt ist, ohne dass es weiterer waffenrechtlicher Zulassungen bedarf (z.B. Waffenschein, waffenrechtliche Ausnahme etc.). Die Zuständigkeit für derartige Ausnahmen liegt in den Händen der Naturschutzverwaltung.

Das EU-Recht lässt zur Abwendung von Schäden Eingriffe in Bestände geschützter Arten ausdrücklich zu (im Falle von Vögeln vgl. Art. 9 der EU-Vogelschutzrichtlinie; sonst FFH-RL) – dies gilt vollumfänglich auch für den Kormoran. Allerdings verneint die EU auch in jüngster Zeit eine Verantwortung für ein internationales Management und verweist auf die Verantwortung der Mitgliedsstaaten und hält regionale Lösungen für ausreichend bzw. sogar besser geeignet.

In Deutschland sind für den Vollzug regulierender Eingriffe in Populationen geschützter Arten die Länder zuständig. Die Bundesländer wiederum haben keine Außenvertretungskompetenz, z. B. für Abstimmungen mit benachbarten Mitgliedsstaaten; dies könnte nur über die Bundesregierung erfolgen. Auf Bundesebene, mit Zuständigkeit bei dem Bundesumweltministerium, gab es bislang keine Unterstützung für das Anliegen eines Kormoranmanagements.

Für ein Kormoranmanagement ergibt sich somit ein scheinbar unauflösbares rechtliches Dilemma: Aus rein fachlicher Sicht müsste der Rahmen für ein Management „groß“ gefasst sein und idealerweise das gesamte (nord-)europäische Verbreitungsgebiet umfassen und dabei die Brutgebiete in den skandinavischen und baltischen Ländern miteinbeziehen. Aus zahlreichen Studien ist bekannt, dass Kormorane einen großen Aktionsradius haben. Sie legen in einem Jahr Entfernungen von mehr als 1.000 km zwischen Brut-, Rast- und Überwinterungsgebieten zurück und können im Laufe ihres Lebens auch die Brutplätze mehrfach über große Distanzen verlagern. Es macht daher fachlich sehr wenig Sinn, auf der Ebene eines Bundeslandes (oder selbst Deutschlands) „regulierend“ in den Bestand einzugreifen, da lokale „Lücken“ sehr schnell durch wandernde Kormorane geschlossen werden. Ein „echtes“ nachhaltig wirksames Management der Art müsste an den Brutkolonien ansetzen und eine massive großflächige Verringerung des Gesamtbestandes bewirken. Aktivitäten auf Landesebene erscheinen hier wenig sinnvoll.

Nichtsdestotrotz erfolgen gelegentlich kleine lokale Eingriffe (siehe Kormoranverordnungen) – etwa, um eine Teichwirtschaft zu schützen oder z.B. den Entnahmedruck durch Kormorane an besonders gefährdeten Fließgewässern aus Gründen des Fischartenschutzes zu reduzieren. Hier muss jedoch dauerhaft eingegriffen werden, da die existierenden Nahrungsressourcen weiterhin Kormorane aus der Umgebung anziehen.

Literatur

RICHTLINIE 2009/147/EG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 30. November 2009 über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten
 

Pietrock et al. 2022. Analyse von Speiballen zur Ermittlung der Nahrungszusammensetzung von Kormoranen in den Gebieten Plöner Seen, Untertrave und Schlei: Institut für Binnenfischerei Potsdam. 2021.

ICES 2021. Inter-Benchmark Process on Western Baltic cod (IBPWEB). ICES Scientific Reports. 3: 87. 76 pp. doi.org/10.17895/ices.pub.5257.2021

Danksagung

Stephanie Jansch, Schleswig-Holsteinisches Landesamt für Landwirtschaft und nachhaltige Landentwicklung, Dezernat 31, stellte netterweise das Grundgerüst für den Text zur rechtlichen Einordnung zur Verfügung.

Links und Downloads

Literatur:
  • Bryhn, A. C., Bergek, S., Bergström, U., Casini, M., Dahlgren, E., Ek, C., Hjelm, J., Königson, S., Ljungberg, P., Lundström, K., Lunneryd, S. G., Ovegård, M., Sköld, M., Valentinsson, D., Vitale, F., & Wennhage, H. (2022). Which factors can affect the productivity and dynamics of cod stocks in the Baltic Sea, Kattegat and Skagerrak? Ocean & Coastal Management, 223, 106154. doi.org/10.1016/j.ocecoaman.2022.106154
    ICES. 2022. Cod (Gadus morhua) in subdivisions 22–24, western Baltic stock (western Baltic Sea). ICES Advice: Recurrent Advice. Report. doi.org/10.17895/ices.advice.19447868.v1
  • Koop, B. 2020. Ornithologische Begleituntersuchungen zum Kormoran: Bericht für 2020 vorgelegt im Auftrag des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein, Kiel.
  • Deutscher Fischerei-Verband e.V. (DFV). 2022. Kormorane fressen mehr Dorsch, als Fischer fangen dürfen. Natürlich Jagd. www.natuerlich-jagd.de/im-original/kormorane-fressen-mehr-dorsch-als-fischer-fangen-duerfen/
  • Haase, S., K. Hüssy, M. Casini, K. Radtke, & U. Krumme. (2021). Eaten by a cormorant: Unexpected return of a tagged Baltic cod. 2021 International Workshop on Metrology for the Sea; Learning to Measure Sea Health Parameters (MetroSea), 283–287. doi.org/10.1109/MetroSea52177.2021.9611573
  • Pietrock, M.; Sternberg, N. 2021. Analyse von Speiballen zur Ermittlung der Nahrungs-zusammensetzung von Kormoranen in den Gebieten Plöner Seen, Untertrave und Schlei. Bericht im Auftrag des Ministeriums für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein. Institut für Binnenfischerei e. V. Potsdam-Sacrow, 90 pp.
  • Kieckbusch, J.J. & B. Koop. 1996. Brutbestand, Rastverbreitung und Nahrungsökologie des Kormorans (Phalacrocorax carbo sinensis) in Schleswig-Holstein. Corax 16: 335-355.

Thünen-Ansprechperson

Dr. Uwe Krumme

Telefon
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Beteiligte externe Thünen-Partner

Geldgeber

  • Bundesland Schleswig-Holstein
    (national, öffentlich)

Zeitraum

7.2023 - 6.2027

Weitere Projektdaten

Projektstatus: läuft

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