Drei Fallstudien wurden vom Thünen-Institut (für die Ostsee), DTU Aqua/Dänemark (Nordsee) und AZTI/Spanien (Biskaya) erarbeitet und zusammen veröffentlicht. Der Bericht enthält außerdem eine Synopse und einen Vergleich der drei Fallstudien. Dr. Sarah Kraak und ihre beiden Kollegen präsentierten die Studie gemeinsam am 16. Juni vor dem Fischereiausschuss des EP in Brüssel.
Die Ostsee-Fallstudie nimmt sich die Auswirkungen des Anlandegebotes auf das Ziel der Erreichung des langfristigen nachhaltigen Dauerertrages (MSY) aus verschiedenen Blickwinkeln vor. Im ersten Kapitel werden die Ergebnisse der 2011 und 2012 durchgeführten Mehrarten-Modellierungen analysiert. Es wird festgestellt, dass das MSY-Ziel auf verschiedenste Weisen erreicht werden kann: Durch ein dorschdominiertes System mit hohen Dorsch- und niedrigen Herings- bzw. Sprottenfängen, oder durch ein Herings-/Sprotten-dominiertes System, oder durch beliebige Systeme zwischen diesen Extremen. Die Auswahl zwischen diesen Möglichkeiten ist eine politische Entscheidung, eine biologische Optimierung hierfür ist nicht möglich. Jede Wahl wird verschiedene Gewinner und Verlierer haben, da einige Staaten mit Ostseefischereien mehr an den pelagischen Ressourcen interessiert sind, andere mehr an Dorsch. Seit 2012 war es offenbar nicht möglich, eine politische Einigung zu diesem Aspekt zu erreichen. Wir versuchen, den Prozess zu fördern, indem wir eine Einengung der großen Zahl von Optionen vorschlagen, durch Hinzufügen weiterer Ziele. So könnte ein zusätzliches Ziel sein, die Dorschquoten über mehrere Jahre konstant zu halten, während die Quoten für die pelagischen Bestände erheblich schwanken dürfen. Auf diese Weise würde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Dorschfischereien in der Regel viel mehr von den Ostseequoten abhängen als die pelagischen Fischereien, die notfalls auf andere Gebiete ausweichen und daher mit schwankenden Quoten besser umgehen können. Der Bericht liefert hierfür ein quantitatives Beispiel.
Ein ausführlicher Teil des Berichtes befasst sich mit der Freizeitfischerei. Bis zu einer Mio. Freizeitfischer sind in der Ostsee aktiv, rund 25% der Dorsch-Gesamtfänge werden von diesen getätigt. Der Bericht hebt hervor, wie wichtig die systematische Erhebung der Fangdaten aus diesem Sektor ist für eine verlässliche Bestandsberechnung und die Ableitung belastbarer wissenschaftlicher Empfehlungen für die Bewirtschaftung. Dennoch sind viele nationale Datenerhebungen unvollständig oder fehlen ganz. Der Bericht hebt hervor, dass die sozioökonomische Bedeutung der Freizeitfischerei erheblich ist: Allein in Deutschland betragen die Ausgaben der Angler 112 Mio € jährlich, die im Wesentlichen in den Küstenregionen verbleiben, in Läden, Hotels, in der Gastronomie, für Bootsmieten und Ausrüstung, für Angelkutter und Angel-Guides. Das Management sollte die Interessen der Berufs- und der Freizeitfischer sorgfältig ausbalancieren.
Im Kapitel zu den Auswirkungen des Anlandegebotes auf das Ökosystem diskutieren wir den Effekt auf Seevögel, die sich bislang von den Rückwürfen ernähren, wie der Heringsmöwe. Wir schließen, dass der Effekt vergleichsweise gering ist, weil der Anteil der Biomasse, die unter den neuen Regeln angelandet werden muss und nicht mehr verworfen werden darf, unter 2% der Gesamtfangmenge aus der Ostsee beträgt. Ferner besteht die Verpflichtung, gefangene Dorsche größer als die Mindestvermarktungslänge (MCRS) noch auf See auszunehmen – die weiterhin verworfene Menge an Eingeweiden ist erheblich und könnte bis zur Hälfte der Biomasse der bislang zurückgeworfenen Dorsche ausmachen.
Ein weiteres Kapitel diskutiert andere anthropogene Faktoren als die Fischerei, wie die Überdüngung, Verschmutzung, den Klimawandel und eingeschleppte Arten, die einen Einfluss auf das Ökosystem und den Bestandszustand haben.
Das abschließende Kapitel befasst sich mit dem Unsicherheit bei der Umsetzung der neuen Regeln. Dieser „implementation error“ tritt auf, wenn die beabsichtigten Ziele einer Gesetzgebung nicht erreicht werden, z.B. wegen mangelhafter Durchsetzung, ungenügender Befolgung, oder weil die neuen Regeln keine ausreichenden Anreize für die Änderung des Verhaltens der Fischer schaffen. Die neue Gemeinsame Fischereipolitik der EU mit dem Übergang von Anlandequoten zu Fangquoten kann nur erfolgreich umgesetzt werden, wenn alle Fänge berücksichtigt werden. Wir empfehlen einen quid-pro-quo oder gestuften Ansatz, der auf der Ebene des Fischereifahrzeugs, des Flottensegments oder des Nationalstaates angewendet werden kann: Danach kann die jeweilige Einheit selbst entscheiden, ob sie die Last einer vollständig dokumentierbaren Fischerei (FDF) auf sich nimmt (z.B. durch die Installation elektronischer Monitoringsysteme mit Kameras an Bord), und dafür die vollständige Quote zur Verfügung hat, oder ob sie lieber für die verbleibende Unsicherheit über die „wahren“ Fänge ohne ein solches System „bezahlt“. Dafür würde dem Fahrzeug/dem Segment/dem Staat ein Quotenanteil in Höhe der Unsicherheit abgezogen. Das Kapitel befasst sich intensiver mit der Psychologie freiwilliger Befolgung von Regeln und der intrinsischen Motivation für nachhaltige Fischerei. Diese werden untergraben durch top-down-Kontrolle, zu komplexe Gesetzgebungen, fehlendes Vertrauen und monetäre Anreize, während sie gefördert werden durch die Schaffung von Möglichkeiten, dass sich Fischer in kleineren Gruppen und in gewissen Grenzen eigene Regeln schaffen können, die mit den MSY-Zielen übereinstimmen.
Der Report von der Webseite des Europaparlamentes kann hier heruntergeladen werden
Ein Video der Präsentationen ist hier verfügbar