Lange Zeit ging die Wissenschaft davon aus, dass Quallen ernährungstechnisch eine Sackgasse für Raubfische sind. Ein Team des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) hat gemeinsam mit dem Thünen-Institut nun jedoch herausgefunden, dass Fische in grönländischen Gewässern sehr wohl Quallen in ihren Speiseplan integrieren. Bei zwei der untersuchten Arten machten sie sogar den Hauptteil der Nahrung aus, wie die Forschenden in einer Studie in der Fachzeitschrift „Royal Society Open Science“ beschreiben. Die Ergebnisse legen nahe, die Rolle von Quallen als Beute in marinen Nahrungsnetzen neu zu überdenken, vor allem vor dem Hintergrund, dass sie in gestressten Ökosystemen profitieren und sich immer weiter nach Norden ausbreiten könnten.
Quallen kommen in allen Ozeanen vor, von den polaren bis zu den tropischen Regionen. In Zukunft könnte sich das gelatinöse Zooplankton sogar noch weiterverbreiten, denn es zählt im Allgemeinen zu den Gewinnern, wenn sich Ökosysteme durch Einflüsse des Klimawandels oder menschliche Aktivitäten verändern: Anders als andere Arten können Quallen besser damit umgehen, dass die Weltmeere wärmer und saurer werden und in den neuen Ökosystemen gedeihen. Die grönländischen Gewässer beheimaten große Mengen verschiedenster Arten von gelatinösem Zooplankton. Doch ob und in welchem Ausmaß Quallen und Co. auf dem Speiseplan der hier heimischen Fische stehen, war bislang ungeklärt.
Mit Hilfe von DNA-Metabarcoding, einer Methode, die kurze Genfragmente aufspürt, haben die Wissenschaftlerinnen von AWI und Thünen-Institut den Mageninhalt von sieben Fischarten untersucht, darunter kommerziell genutzte Arten wie Kabeljau und Schellfisch. Bei allen untersuchten Fischarten haben sie Reste von Quallen oder anderem gelatinösen Zooplankton in den Mägen gefunden. Bei zwei Arten, dem Goldlachs und dem Blauen Seewolf, machten Quallen und Co. sogar den größten Anteil der Nahrung aus. Insgesamt konnten die Forschenden bis zu 59 Arten gelatinöser, wirbelloser Tiere in den Mägen der Fische nachweisen. Der Mageninhalt einiger dieser Arten war in diesem Gebiet noch nie zuvor analysiert worden.
Die Studie zeigt: Gelatinöses Zooplankton ist mehr als nur ein Notnagel. Es ist Beute für Raubtiere, die oben in der Nahrungskette stehen. Trotz ihrer geringen Energiedichte könnte der Beitrag von gelatinösem Zooplankton zum Energiehaushalt von Raubtieren beträchtlicher sein als bisher angenommen.
Originalpublikation
Annkathrin Dischereit, Julia Katharina Throm, Karl-Michael Werner, Stefan Neuhaus, Charlotte Havermans (2024). A belly full of jelly? DNA metabarcoding shows evidence for gelatinous zooplankton predation by several fish species in Greenland waters. Royal Society Open Science. https://doi.org/10.1098/rsos.240797.