Was die Etiketten verraten
Mehr noch als für die präparierten Tiere selbst interessierte sich die Hobbyforscherin bald für die kleinen Etiketten, die ihnen zugeordnet sind. Beim Entziffern der darauf verzeichneten Sammler, Fundorte und Besitzer*innen aus der Zeit zwischen 1868 und 1963 stößt sie auf historische Persönlichkeiten, Orte und kuriose Objektnamen wie „Hister hottentota“. Ihr persönliches Interesse an den Geschichten dazu wächst und veranlasst sie zu intensiven Recherchen. Durch ihre Detektivarbeit parallel zu der eineinhalb Jahre andauernden Bestandsaufnahme der Sammlung häuft sie immer mehr Anekdoten an über das, was die Etiketten verraten. Dabei stellt Wiebke Mohr fest, dass den Studierenden, die sie bei der Aufgabe unterstützen, Ereignisse und Namen aus der Zeit nicht mehr geläufig sind. Sie beschließt, die von ihr recherchierten Geschichten auf Papier zu bringen.
Das Ergebnis ist kein Lexikon, kein Reiseführer, kein Lehr- oder Erklärbuch, sondern eine Sammlung von ein- bis zweiseitigen kurzweiligen Übersichten über jeweils einen Fundort, ein Tier oder eine Person von Interesse.
Abenteuerreisen, Mythen und Legenden
Da gibt es Kapitel über Casablanca, über Napoleons Adjudanten oder über Eugène Le Moult, einen der größten Insektenhändler seiner Zeit und Verkäufer der Sammlung. 1882 wurde er in Frankreich geboren und wuchs im französischen Überseedepartement Französisch-Guyana an der Nordostküste Südamerikas auf. Dort baute er sich ein Geschäft auf, indem er in den tropischen Regenwäldern Schmetterlinge fangen ließ und diese vor allem nach Europa verkaufte.
Über Le Moult gelangte die Sammlung an das Thünen-Institut, lange bevor es diesen Namen trug. Im Jahr 1944 verkaufte der französische Insektenhändler die Sammlung an Dr. Franz Heske. Der Forstwissenschaftler gründete 1931 das Institut für ausländische und koloniale Forstwirtschaft im sächsischen Tharandt, das 1950 zur Bundesforschungsanstalt wurde und 2008 zum heutigen Thünen-Institut für Holzforschung. 1940 wurde das Institut nach Reinbek im südlichen Schleswig-Holstein in das Reinbeker Schloss verlegt. Dort fand die Sammlung ihre erste Heimat, weshalb auch ein Bild von Schloss Reinbek das Cover von Wiebke Mohrs Buch ziert.
Angeschafft hat Heske, der neben seiner Funktion als Institutsleiter auch Zoologie an der Universität Hamburg unterrichtete, die Sammlung damals als Beleg- und Studienmaterial für forstwissenschaftlich relevante Insekten. Nach heutigem Wert hat er Le Moult bei dem Kauf im Jahr 1944 dafür etwa acht Millionen Euro gezahlt. Dass die Sammlung wertvoll ist, zeigt allein die Tatsache, dass viele der darin erfassten Insekten zum ersten Mal überhaupt wissenschaftlich beschrieben worden waren. Die Schaukästen öffnen ein Zeitfenster in die Artenvielfalt und die Welt von damals – für Naturforschende aber auch für geschichtlich Interessierte wie Wiebke Mohr.
Prof. Dr. Andreas Krause, Leiter des Thünen-Instituts für Holzforschung, freut sich, dass die „Thünen-Sammlung“ weiter erforscht wird und dass Wiebke Mohr Leser*innen an Geschichten darüber teilhaben lässt, die zu spannend sind, um sie nicht zu erzählen.
Wer mehr über die Geschichten erfahren möchte, kann ab sofort das Buch bestellen und sich mit Wiebke Mohr auf eine imaginäre Weltreise begeben.
Literaturhinweis: Mohr, Wiebke (2024): Auf Insektenart im Zick-Zack-Flug durch Zeit und Raum. 14.04.2024, Tredition, Softcover, 164 S., auf Deutsch, ISBN 9783384173546
Link zum Buch: shop.tredition.com/booktitle/Der_Schatz/W-386-601-419