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Institut für

OL Ökologischen Landbau

Projekt

Mehr Zeit bei der Mutter - besser für das Kalb?


Federführendes Institut OL Institut für Ökologischen Landbau

© Thünen-Institut/Kerstin Barth

Untersuchungen zu langfristigen Auswirkungen der muttergebundenen Aufzucht von weiblichen Kälbern in der ökologischen Milchviehhaltung

Die Trennung von Kuh und Kalb nach der Geburt ist heute gängige Praxis. Eine Alternative ist die muttergebundene Aufzucht, bei der die Kälber an Mutter oder Amme trinken dürfen und die Kühe zusätzlich gemolken werden. Wir prüfen die langfristigen Wirkungen.

Hintergrund und Zielsetzung

Für Verbraucher, die ökologisch erzeugte Tierprodukte kaufen, stehen die tiergerechte Haltungsform und der verminderte Medikamenteneinsatz in der ökologischen Landwirtschaft an erster Stelle der Entscheidungsgründe für diese Produkte. Insbesondere die ökologische Milchproduktion wird als natürliche Tierhaltung empfunden. Jedoch werden mit zunehmender Aufklärung über die tatsächlichen Bedingungen in der Milchviehhaltung einzelne Haltungspraktiken kritisch hinterfragt. Dazu gehört zum Beispiel die auch in der ökologischen Milchviehhaltung übliche Praxis, die Kälber innerhalb von 24 Stunden oder spätestens einen Tag nach der Geburt vom Muttertier zu trennen. Während die Vermeidung der Infektionsübertragung oder die Tierhygiene allgemein für dieses Verfahren sprechen, haben vergleichende Untersuchungen zur Entwicklung der Kälber gezeigt, dass Kälber, die an ihren Müttern saugen dürfen, keine Verhaltensanomalien (wie gegenseitiges Besaugen) und eine bessere körperliche Entwicklung zeigen (Roth et al. 2009). Diesen positiven Effekten stehen Nachteile bei der Milchgewinnung (kalbführende Kühe reagieren beim maschinellen Melken oft mit Milchinjektionsstörungen) und zusätzliche bauliche Aufwendungen (Schaffung eines separaten Kälberbereichs, der an den Hauptstall angebunden ist) gegenüber. Dementsprechend wird das Verfahren bisher nur von wenigen interessierten Betrieben genutzt. Bisherige Studien untersuchten insbesondere den Säugezeitraum einschließlich des Absetzens. Unser Projekt widmet sich den langfristigen Auswirkungen der Aufzuchtform. Ausgehend von praktischen Untersuchungen und der Auswertung bereits generierten Wissens sollen die bisher bekannten Vor- und Nachteile der muttergebundenen Kälberhaltung insgesamt evaluiert, Lösungsansätze formuliert und in die landwirtschaftliche Praxis sowie in die Beratung vermittelt werden. Das Projekt dient damit der Weiterentwicklung tiergerechter Haltungssysteme.

Vorgehensweise

Für den experimentellen Teil werden die Kälber aus dem Versuch von Wagner et al. (2010) verwendet. Die Tiere wurden 2009/2010 geboren und entweder am Tränkautomaten (bis zu 16 L Vollmilch pro Tier und Tag) oder muttergebunden, mit permanentem Kontakt zu den Kühen aufgezogen. Nach der dreimonatigen Tränkephase erfolgte die weitere Aufzucht der Tiere gemeinsam. Ungefähr 3 bis 4 Wochen vor der zu erwartenden Abkalbung wurden die Versuchstiere dann einzeln in die Milchviehherde eingegliedert. Der Vorgang der Eingliederung wurde über einen Zeitraum von 24 Stunden beobachtet; zusätzlich wurden die Tiere mit Aktivitätssensoren versehen, die über einen Zeitraum von 10 Tagen das Aktivitätsmuster der Tiere aufzeichneten. Das Verhalten der Tiere wurde dann über die gesamte Laktation wiederholt beobachtet. Zudem wurden alle Leistungs- und Gesundheitsdaten erhoben. Zusätzlich wurde ein Isolationstest durchgeführt. Ausgehend von einer Literaturrecherche wurden die praktischen Auswirkungen der muttergebundenen Kälberaufzucht analysiert und in einem Übersichtsartikel dargestellt (Kälber & Barth, 2014). Den Projektabschluss soll ein Workshop bilden, der sich gleichermaßen an Landwirte, Berater und Wissenschaftler wendet und das bestehende und von uns generierte Wissen vor- und zur Diskussion stellen soll.

Daten und Methoden

Die Verhaltensbeobachtungen während der Eingliederung der Färsen in die Herde wurden über die ersten 12 Stunden kontinuierlich durchgeführt. Die Datenaufnahme erfolgte dabei mittels Interact 9.0 (Mangold International GmbH, Arnstorf, Deutschland). Die darauffolgenden 12 Stunden wurden im 15-minutigen Scan sampling-Verfahren erhoben, soziale Interaktionen wurden in diesem Zeitraum nicht erfasst. Die Aktivität der Tiere wurde durch IceTag3D (IceRobotics Ltd., Edinburgh, Großbritannien) aufgezeichnet. In jedem Laktationsdrittel wurde das Verhalten der Tiere an drei aufeinanderfolgenden Tagen nach dem Abendmelken erfasst. Hierfür wurden die Tiere über zwei Stunden kontinuierlich beobachtet nachdem die gesamte Herde aus dem Fressgitter entlassen wurde. Der Isolationstest wurde über 15 Minuten in einer nicht eingestreuten Abkalbebox durchgeführt. Das Verhalten der Tiere wurde dabei per Video aufgezeichnet, die Vokalisation der Tiere kontinuierlich direkt erfasst. Die Aktivität der Nebennierenrinde als Maß für Stress wurde über die Konzentration von Kortisolmetaboliten im Kot oder Speichel registriert. Sowohl während der Eingliederungsphase, nach der Kalbung als auch im Isolationstest wurden hierfür Proben gezogen und am Institut für Biochemie der VetmedUni Vienna analysiert. Monatlich wurden Daten zur Tiergesundheit und Leistung erhoben. Für die Leistungsbewertung wurden die Daten der Milchleistungsprüfung herangezogen. Die Beurteilung des Gesundheitsstatus erfolgte durch monatlich direkt am Tier durchgeführte Erhebungen (Verletzungen, Lahmheitsscore, Leitfähigkeitsmessung und Schalmtest zur Eutergesundheitskontrolle, Body Condition Score, Verschmutzungsgrad) sowie anhand des Bestandbuches.

Ergebnisse

Entgegen der Erwartungen konnten keine Unterschiede hinsichtlich des Sozialverhaltens zwischen muttergebunden und mutterlos aufgezogenen Färsen bei der Eingliederung in die Milchviehherde beobachtet werden. Dagegen reagierten die Kühe, die als Kalb mit Mutterkontakt aufwuchsen, aktiver im Isolationstest: Sie änderten die Kopfhaltung signifikant häufiger als die Kontrolltiere und tendierten zu mehr Explorationsverhalten (Kälber et al., 2013). Hinsichtlich der Aktivität bis zu zehn Tagen nach der Eingliederung unterschieden sich die Versuchsgruppen nicht, jedoch konnte deutlich gezeigt werden, dass der Aktivitätsrhythmus der eingegliederten Färsen bis zu fünf Tagen signifikant gestört wurde (Hechmann, 2013). Die Milchleistung sowie der Tiergesundheitsstatus in der Laktation unterschieden sich nicht signifikant zwischen den Versuchsgruppen. Die muttergebunden aufgezogenen Tiere tendierten jedoch zu besseren Reproduktionsleistungen (Ufer, 2014). Die im Laktationsverlauf durchgeführten Verhaltensbeobachtungen befinden sich noch in der Auswertung.

Thünen-Ansprechperson

Dr. Kerstin Barth

Telefon
+49 4539 8880 312
Telefon
+49 531 2570 1634
kerstin.barth@thuenen.de

Beteiligte externe Thünen-Partner

  • VetmedUni Vienna
    (Wien, Österreich)

Geldgeber

  • Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE)
    (national, öffentlich)

Zeitraum

11.2011 - 12.2016

Weitere Projektdaten

Projektfördernummer: 2811OE072
Förderprogramm: Bundesprogramm Ökologischer Landbau und andere Formen nachhaltiger Landwirtschaft (BÖLN)
Projektstatus: abgeschlossen

Publikationen

  1. 0

    Barth K (2018) Effects of suckling on milk yield and milk composition in dam rearing systems. In: Proceedings of the Fifth Dairycare Conference 2018 : Thessaloniki, March 19th and 20th 2018 "Getting There". DairyCare COST Action FA1308 2018, p 28

  2. 1

    Barth K, Kunz H-J, Steinhöfel I (2017) Kälber an der Kuh aufziehen - was bedeutet das? Milchpraxis 51(4):45-47

  3. 2

    Johnsen J F, Zipp KA, Kälber T, De Passillè AM, Knierim U, Barth K, Mejdell CM (2016) Is rearing calves with the dam a feasible option for dairy farms? - Current and future research. Appl Anim Behav Sci 181:1-11, DOI:10.1016/j.applanim.2015.11.011

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn056897.pdf

  4. 3

    Kälber T, Waiblinger S, Barth K (2016) Unterschiede im Sozialverhalten von muttergebundenen und künstlich aufgezogenen Jungkühen in der ersten Laktation. KTBL Schr 511:267-269

  5. 4

    Kälber T, Hechmann T, Häußermann A, Waiblinger S, Barth K (2014) Auswirkungen der Aufzuchtmethode auf die Stressreaktion bei der Eingliederung tragender Färsen in die Milchviehherde. KTBL Schr 505:76-83

  6. 5

    Kälber T, Hechmann T, Häußermann A, Waiblinger S, Barth K (2014) Long-term effects of dam-rearing: are there any benefits when heifers are introduced to the milking herd? [Poster]. In: Estevez I, Manteca X, Marin RH, Averos X (eds) ISAE 2014 : Proceedings of the 48th Congress of the International Society for Applied Ethology ; 29 July - 2 August 2014, Vitoria-Gasteiz, Spain ; Moving on. Wageningen: Wageningen Academic Publ, p 273

  7. 6

    Kälber T, Barth K (2014) Practical implications of suckling systems for dairy calves in organic production systems - a review. Landbauforsch Appl Agric Forestry Res 64(1):45-58, DOI:10.3220/LBF_2014_45-58

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/bitv/dn053878.pdf

  8. 7

    Kälber T, Barth K, Waiblinger S (2013) Auswirkungen des Aufzuchtverfahrens auf das Verhalten von erstlaktierenden Kühen im Isolationstest. KTBL Schr 503:230-231

  9. 8

    Wagner K, Barth K, Palme R, Futschik A, Waiblinger S (2012) Integration into the dairy cow herd: long-term effects of mother contact during the first twelve weeks of life. Appl Anim Behav Sci 141(3-4):117-129, DOI:10.1016/j.applanim.2012.08.011

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