Interview
„Der Boden fungiert als Endlager für einen Großteil des Plastiks“
Friederike Mund (top agrar) mit Daniela Thomas | 29.08.2023
Nicht nur in Gewässern, sondern auch in Böden ist Mikroplastik zu finden. Wie der Stand der Forschung ist, schildert Daniela Thomas vom Thünen-Institut für Agrartechnologie im Gespräch mit der Zeitschrift „top agrar“.
Frau Thomas, im Meer schwimmt viel mehr Plastik als angenommen. Warum ist Plastik in Ackerböden bislang hingegen kaum erforscht?
Man geht davon aus, dass die Belastung der terrestrischen Umwelt mit Plastik um ein Vielfaches höher ist als die der marinen Umwelt. Plastik ist zwar auf unserer Erde überall verbreitet, aber eine Plastiktüte am Straßenrand irritiert uns weniger als die PET-Flasche in der Meeresbucht.
Also fehlte bislang das Interesse?
Davon würde ich nicht ausgehen. Das Forschungsgebiet „Plastik in der Umwelt“ hat lediglich im marinen Bereich ihren Ursprung. Dort wurden in der Vergangenheit bereits Techniken entwickelt, um zum Beispiel die Probenahme valide durchzuführen. Wissenschaftlich betrachtet sind die Grundlagen zur Untersuchung von Plastik im terrestrischen Raum noch nicht standardisiert. Strategien zur Probenahme werden zurzeit noch aus anderen Bereichen übernommen und weiterentwickelt.
Es scheint, als sei sich die Wissenschaft über die Verfahren nicht einig.
Ein standardisiertes Verfahren zur Mikroplastikanalytik im Boden gibt es noch nicht. Die Wahl der Beprobungstechniken, Aufarbeitungsverfahren und damit verbundener Chemikalieneinsatz wird erprobt und diskutiert. Ein Konsens ist dabei noch nicht geschaffen worden, sodass jede Forschungsgruppe eigene Techniken entwickelt und anwendet, mit der Folge, dass die aktuell wenigen Daten nicht vergleichbar sind.
Wo liegen die Herausforderungen?
Im ersten Schritt, der Probenahme, muss unterschieden werden, ob man Haufwerke, wie Komposte, oder Ackerflächen untersucht. Im Falle des Ackers wird davon ausgegangen, dass Plastik in punktuell hoher Konzentration (Hotspots) vorliegen kann, zum Beispiel in Ackersenken. Die Probenahmetechnik muss ein reales Bild über die Plastikbelastung des Ackers zulassen. Zudem ist der darauffolgende Schritt, die Probenbehandlung, nicht standardisiert. Während man in der marinen Umwelt schnell und simpel die Proben filtern kann, ist das im Boden nicht möglich. Man muss einen Feststoff – also Plastik – von einem anderen Feststoff – dem Boden, der ca. 99,9 % der Probenmasse ausmacht – trennen. Dabei dürfen die Plastikbestandteile nicht angegriffen, also nicht fragmentiert, chemisch gealtert oder zersetzt werden. Bei dieser plastikschonenden Entfernung ist darüber hinaus die Bodenmatrix kompliziert. So muss man anorganische Bestandteile wie Sand entfernen. Es müssen aber auch die organischen Bestandteile entfernt werden. Dies ist ein anspruchsvoller, teils mehrstufiger Prozess. Um komplexere organische Bestandteile wie Proteine oder Cellulose zu entfernen, benötigt man verschiedene Enzyme. Durch diese mehrstufigen Prozesse ist die Forschung nicht nur zeit- und personal-, sondern auch kostenintensiv.
Aber es gibt erste Daten. Wie stark ist Boden denn mit Plastik belastet?
Die bisherigen Daten zur Plastikbelastung in verschiedenen Böden schwanken stark, von 0,34 bis 690.000 Partikel/kg bzw. 0,54 bis 67.500 mg/kg. Die Forschung befindet sich da schlichtweg noch am Anfang.
Wie verhält sich Plastik in der Umwelt?
Wird sichtbares Plastik in die Umwelt eingetragen, so wird vermutet, dass es aufgrund der enthaltenen Additive sehr persistent ist und sich nicht vollständig zersetzt. Dadurch kann es nicht in den Kohlenstoffkreislauf aufgenommen werden. In der Umwelt ist der Hauptmechanismus die Fragmentierung. Plastik zerfällt, begünstigt durch thermische oder mechanische Prozesse. Zerfällt zum Beispiel ein Partikel mit einer Größe von 1000x1000x1000 µm, so kann man 1 Million Partikel in einer Größe von 10x10x10 µm erhalten. Die Plastikbelastung wächst exponentiell mit sinkender Größe der Partikel. Man vermutet, dass mit sinkender Partikelgröße auch die potenzielle Schadwirkung steigt.
Neben dem sichtbaren Plastik ist häufig von Mikroplastik die Rede. Welche Größenverhältnisse sind dabei gemeint?
Die Größeneinteilungen und allgemein die Definitionen von Nano-, Mikro-, Meso-, Makroplastik sind noch nicht abschließend geklärt. Jedoch geht man davon aus, dass es sich dabei um feste Partikel, Fragmente oder Fasern der Gruppe der Thermoplasten handelt. Mikroplastik besitzt eine Größe im Bereich von 1 bis 1000 µm. Darüber hinaus bezeichnet man Plastik zwischen 1000 bis 5000 µm als „großes Mikroplastik“.
Unter Thermoplasten versteht man…
…thermoplastische Erzeugnisse in der Regel auf Erdölbasis, wie PE, PP, PVC, PET und PS. Diese werden in erster Linie für die Verpackungs- und Bauindustrie hergestellt und machen einen Großteil der gesamten Plastikproduktion aus. Seit den 1950er Jahren ist die Plastikproduktion weltweit von 2 Millionen Tonnen auf 390,7 Millionen Tonnen im Jahr 2021 gestiegen. Weltweit werden ca. 4 % des Plastiks direkt für den Agrarsektor produziert.
Und wie wird es dort eingesetzt?
In Europa wurden z.B. im Jahr 2011 ca. 670.000 ha der landwirtschaftlichen Flächen mit Plastikfolien bedeckt – mit steigender Tendenz. Diese Folien bestehen häufig aus PE und können in der Regel nicht rückstandsfrei aus dem Boden entfernt werden. Studien konnten zwischen 3 und 50 g Folienreste je Kubikmeter Boden nachweisen.
Über welche Pfade kann Plastik noch in die Böden gelangen?
Die Wege des Plastikeintrags in die Umwelt sind sehr diffus. Vereinzelt kann es Punktquellen geben, z.B. industriellen Ursprungs. Neben dem direkten Einsatz kann Plastik auch über unsachgemäße Entsorgung, sogenanntes Littering, eingetragen werden. Auch Verwehung bzw. atmosphärische Deposition, Reifenabrieb und organische Düngung, etwa mit Kompost und Klärschlamm, tragen Plastik auf die Felder. In der Umwelt ist Plastik sehr persistent, vor allem unter Lichtausschluss. Daher ist zu vermuten, dass dieses Plastik im Boden verbleibt und sich dort sammelt. Da es aktuell keine Strategien gibt, das Plastik aus Böden im großen Stil abzutrennen, gilt es derzeit, Eintragswege zu identifizieren und zu minimieren, um zumindest weitere Kontaminationen zu vermeiden.
Daran arbeiten Sie in dem Projekt „Plastik in Agrarböden“, kurz PiA. Worum geht es da genau?
Seit ich 2019 eingestiegen bin, haben wir zunächst die aufwendigen analytischen Voraussetzungen für die Mikroplastikforschung geschaffen. Es wurden dafür eigens zwei Laborräume auf den neusten Stand der Technik gebracht. Des Weiteren mussten Methoden gefunden und entwickelt werden, damit die Probenahme und -behandlung valide Ergebnisse produzieren. Neben dem Plastikgehalt und dessen Verbleib in Agrarböden sind Eintragsquellen für uns von besonderem Interesse. Derzeit untersuchen wir – und das ist erstmalig in der Forschung – ein breites Spektrum an organischen Düngern. Darunter sind Klärschlammkomposte, Grünschnittkomposte, Gärreste, Hühnertrockenkot, Klärschlamm und Bioabfallkomposte.
Was haben Sie in den organischen Düngern gefunden?
In einer ersten Datenauswertung konnten wir kein visuell erkennbares Plastik in Hühnertrockenkot sowie Gärresten, z.B. aus Schweinegülle, nachweisen. Die Analyse auf Mikroplastik steht allerdings noch aus. Im Klärschlamm war die Anzahl an Plastikpartikeln viermal höher als im Grünschnitt-Kompost. Die Bildauswertung der größeren Partikel zeigt, dass in allen Proben der Komposte und des Klärschlamms Plastikfolien, zum Beispiel von Tüten, zu finden sind. Darüber hinaus haben wir Zigarettenfilter, Obststicker, Fragmente von Pflanztöpfen, Damenhygieneartikel usw. entdeckt.
Demnach sind Klärschlamm und Komposte ein Haupteintragsweg?
Die bisherigen Forschungsergebnisse aus Einzelstudien bestätigen, dass Komposte und insbesondere Klärschlämme Eintragspfade sind. Im Kompost ließ sich z.B. 2,38 bis 180 mg/kg visuell erkennbares Plastik finden. Dies führt bei einer Ausbringmenge von 7 t/ha zu 0,016 bis 1,26 kg/ha Plastik im Boden jährlich. In Klärschlamm ließen sich 1.000 bis 200.000 Plastikpartikel/kg identifizieren. Die stark schwankenden Zahlen in teils unterschiedlichen Einheiten begründen sich unter anderem in den nicht standardisierten Analysemethoden.
Was bedeutet Plastik in der Umwelt für die Produktion von Lebensmitteln?
Man geht davon aus, dass tiefe Meeressenken sowie der Boden als Endlager für einen Großteil des Plastiks fungieren. Einige Studien lassen jedoch vermuten, dass ein gewisser Plastikanteil im Boden bis ins Grundwasser sowie auf vielfältige Weise in die Nahrungsketten gelangen könnte. Im terrestrischen Raum legen erste Studien nahe, dass kleinste Plastikfasern die Poren von Saatgut verstopfen und so die Keimfähigkeit beeinträchtigen können. Zudem kann Plastik die Bodengesundheit negativ beeinflussen, da die Bodenstruktur, wie Bodenaggregate, pH-Wert, Wasserhaltekapazität, sowie die Bodenökologie verändert werden. Dies kann meiner Meinung nach perspektivisch nicht folgenlos bleiben und wird Auswirkung auf die Erträge und Qualität unserer Nahrungsmittel haben. Welches Ausmaß die Plastikverschmutzung auf unsere Umwelt und unsere Ernährung hat und welche Auswirkungen sich daraus ergeben, ist aktuell nur zu vermuten.
Wie lässt sich der Plastikeintrag vermeiden?
Verbraucher müssen im Bereich der Abfallentsorgung sensibilisiert werden. In der Lebensmittelindustrie ist zudem ein reduzierter Einsatz von Plastik bzw. die Entwicklung neuer Materialien notwendig. Ein kleiner Beitrag könnten zum Beispiel alternative Kennzeichnungsverfahren anstelle von Obststickern sein. Auch erste gesetzliche Grundlagen, wie die neue Klärschlammverordnung, werden zur Verringerung des Plastikeintrags beitragen.
Herzlichen Dank für das Gespräch.