Expertise
Unerwünschte Fisch-Beifänge verringern
Daniel Stepputtis
Wie lässt sich die Selektivität von Schleppnetzen verbessern, sodass weniger Beifang entsteht? Die Fische selbst geben darauf mit ihrem Verhalten wichtige Hinweise.
Alle Schleppnetze fangen im Prinzip auf die gleiche Weise: Sie treiben die vor der herannahenden Gefahr fliehenden Fische so lange zusammen, bis sie sich erschöpft in das trichterförmige Netz fallen lassen. Am Ende sammeln sich die Fische im hintersten Netzteil, dem Steert oder Netzbeutel, und werden gefangen. Kleine Fische schlüpfen durch die Maschen, wenn diese groß genug sind. Die Maschengröße und -form wird häufig (aber keineswegs immer) an die gewünschte Größe der Zielart angepasst.
Mit herkömmlichen Grundschleppnetzen, wie sie zum Beispiel für den Fang von Dorsch oder Plattfischen in der Ostsee verwendet werden, ist es kaum möglich, andere Fischarten fernzuhalten. Fast unvermeidlich werden sie mitgefangen (sog. „gemischte Fischerei“). Da aber nach dem Willen der EU auch Beifänge von Arten, die einer Fangquote unterliegen, mit angelandet und auf die Quote angerechnet werden müssen (vgl. Rückwürfe in der Meeresfischerei), steigt der Anreiz, selektiver zu fischen, das heißt unerwünschte Beifänge zu vermindern.
Netze mit „Notausgang“
Durch geschickt gewählte Modifikationen am Netz wird es möglich, die unterschiedlichen Körperformen und das unterschiedliche Verhalten der Arten für die Selektion auszunutzen: Dorsche zum Beispiel fliehen in der Regel nach oben, Plattfische als Bodenbewohner nach unten. Werden ihnen spezifische Fluchtmöglichkeiten angeboten – zum Beispiel größere Maschen im Vornetz oder artspezifische Fluchtgitter – teilen sie sich entsprechend auf. Wie effizient solche Lösungen sind, hängt jedoch entscheidend davon ab, ob die unerwünschten Fische und anderen Lebewesen diese Fluchtmöglichkeiten auch nutzen.
Im Folgenden einige Entwicklungsbeispiele von Netzen mit „Notausgang“:
Wir haben Fische unter Wasser beobachtet, ihr Verhalten im Netz und die Eigenschaften des Netzes beim Fischen untersucht. Diese Erfahrungen haben wir genutzt, um die Netzselektion zu verbessern. Ein erstes Ergebnis war „Freswind“, ein Netz für den Dorschfang, das den Beifang von Plattfischen reduzieren soll.
Das Funktionsprinzip: Im Netzbeutel ankommende Fische werden durch ein senkrecht stehendes Hindernis dazu gebracht, zur Seite zu schwimmen. Dort sind Fluchtgitter aus parallel liegenden Stäben angebrachte, durch die Plattfische und kleine Dorsche entkommen können. Große Dorsche und sehr dicke Plattfische werden nach hinten durchgeleitet. Mit dem Freswind gelang es, die Fänge von Plattfischen um über 60 % zu reduzieren. Auch der Fang kleiner, untermaßiger Dorsche wurde um 25 % verringert. Das Netz erhielt 2015 den „Smart Gear“-Preis des WWF. Unser von den Medien stark beachtetes Video zeigt Entwicklungsschritte.
Im Thünen-Magazin Wissenschaft erleben (2014/2) wird Freswind näher beschrieben (PDF des Artikels).
Eine Weiterentwicklung des Freswind-Netzes ist der Flatfish Excluder (Plattfisch-Ausgrenzer). Durch einen unten angebrachten „Notausgang“ am Beginn des Netzbeutels können Plattfische, die bei Gefahr intuitiv nach unten schwimmen, entkommen, während Dorsche gefangen werden. Der neue Netztyp ist in der Praxis leichter handhabbar als der Vorgänger. Dieses Prinzip lässt sich auch nutzen, um gezielt Plattfische zu fangen und Dorschen ein Entkommen zu ermöglichen: Der „Notausgang“ muss dafür nur nach oben gelegt werden – eine wichtige Option nach dem faktischen Stopp der gezielten Fischerei auf Dorsch in der Ostsee.
Selektives Fischen bedeutet nicht nur, den Beifang unerwünschter Fischarten zu verringern. Auch untermaßige, also zu kleine Fische, die noch nicht angelandet werden dürfen, sollten aus den Netzen entkommen können. Das ist durch die Wahl entsprechender Maschengrößen und -anordnungen relativ einfach machbar. Aus populationsbiologischer Sicht kann es aber auch sinnvoll sein, das Überleben alter, großer Fische zu sichern, da sie von besonderem Wert für die Reproduktion des Bestandes sind. So legt ein 10 Jahre altes Dorsch-Weibchen bis zu 40-mal so viele Eier wie ein junges, gerade geschlechtsreif gewordenes.
Fischereitechniker des Thünen-Instituts haben ein Netz entwickelt, das sowohl kleinen als auch großen Dorschen eine Fluchtmöglichkeit bietet, sodass vor allem die mittleren Größenklassen gefangen werden. Vor dem Netzbeutel haben sie ein Gitter aus schräg nach oben führenden, parallel angeordneten Stäben eingebaut, das Fische zu einem Fluchtfenster leitet. Sind Fische so groß, dass sie nicht durch das Gitter passen, sind sie quasi gezwungen, das Netz durch das oben liegende Fenster wieder zu verlassen. Die anderen schwimmen weiter zum Netzende. Dort haben untermaßige Fische noch die Möglichkeit, durch spezielle, aus größeren Maschen bestehende Fluchtfenster zu entkommen.
Nähere Erläuterungen gibt unsere Pressemitteilung vom 13.10.2016.