Expertise
Was die Wälder uns wert sind
Ulrike Hochgesand und Peter Elsasser (Wissenschaft erleben 2020/2)
Wälder sind Rohstofflieferanten, Lebensraum für Tiere und Pflanzen, Klimaschützer und Erholungsorte. So vielseitig ihre Ökosystemleistungen sind, so unterschiedlich sind die Ansprüche der Gesellschaft an Deutschlands Wälder. Die
ökonomische Bewertung von Waldleistungen kann beim Interessenausgleich helfen – besonders dann, wenn sie regionale Unterschiede beachtet.
Das Thünen-Institut hat ermittelt, welche ökonomischen Werte wesentliche Ökosystemleistungen des Waldes in Deutschland haben, und ein Modell entwickelt, mit dem sich die regionale Verteilung dieser Werte darstellen lässt. Im Einzelnen sind das:
- Leistungen für die Rohholzproduktion,
- Leistungen für den globalen Klimaschutz,
- Leistungen für die Erholung der Bevölkerung im Alltag sowie
- Leistungen für Naturschutz und Landespflege.
Rohholzproduktion
Die Bewertung der Rohholzproduktion hat das Ziel, den Nutzen der Wälder als Holzlieferanten aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive abzubilden. Daher wird die Holzproduktion anhand ihres Erlöspotenzials bewertet. Dieses errechnet sich aus dem nachhaltig nutzbaren Zuwachs und betrug im Jahr 2016 für ganz Deutschland ca. 7,1 Milliarden Euro brutto, das heißt ohne Abzug von Erntekosten.
In die regionale Verteilung geht nicht nur ein, wie hoch der Waldanteil in den jeweiligen Landkreisen ist. Auch der Anteil der verschiedenen
Baumarten, ihr Zuwachs und ihre jeweiligen Holzpreise werden berücksichtigt. Abbildung 1 zeigt, dass etwa im Südosten der Bayerische Wald, im Südwesten der Schwarzwald, in der Mitte Spessart und Sauerland und weiter östlich das Erzgebirge mit besonders hohen Erlöspotenzialen hervorstechen, da diese Gebiete dicht bewaldet sind und einen großen Anteil ertragreicher Baumarten wie Fichte und Eiche beheimaten. Im kieferngeprägten Nordosten dagegen ist das Erlöspotenzial geringer, obwohl das Gebiet waldreich ist. Denn im Vergleich zu Fichte und Eiche liegt der Holzpreis der Kiefer deutlich niedriger.
Klimaschutzleistungen
Die Bewertung der globalen Klimaschutzleistung erfolgt anhand der jährlichen Einbindung von Kohlenstoff. Diese Leistung wird ebenfalls über den nachhaltig nutzbaren Zuwachs quantifiziert, aus dem mit verschiedenen Modellen der Zuwachs an oberirdischer Baum-Biomasse hochgerechnet und die Speicherung in Holzprodukten sowie die Substitutionspotenziale abgeschätzt werden. Bewertet mit aktuellen Preisen aus dem Emissionshandel beträgt der jährliche Nutzen der Klimaschutzleistung der deutschen Wälder auf Basis des Netto-Zuwachses 2,1 Milliarden Euro. Anders als bei der Rohholzproduktion zeigt sich bei der Klimaschutzleistung der Wälder eine gleichmäßigere Verteilung über ganz Deutschland (Abbildung 2).
Erholungsleistungen
Den monetären Nutzen der Bevölkerung für Naherholung im Wald haben die Wissenschaftler des Thünen-Instituts auf Basis einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung ermittelt. Aus ihr ergibt sich im Mittel eine hypothetische Zahlungsbereitschaft von knapp 30 Euro pro Person im Jahr. Die durchschnittliche Zahlungsbereitschaft in den Gemeinden wird über das Verhältnis von lokalen Waldbesuchern zu Nicht-Besuchern und deren jeweilige Zahlungsbereitschaften bestimmt, Waldbesucheranteile der Gemeinden werden statistisch geschätzt. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung (alle Einwohner) beträgt der Erholungswert 2,4 Milliarden Euro pro Jahr. Anschließend wird berechnet, wie stark Besuchsraten mit zunehmender Entfernung zurückgehen. Anhand dieser Entfernungsfunktion werden die Besuche aus den einzelnen Gemeinden über die umliegenden Wälder verteilt.
Im Ergebnis zeigt sich ein regionales Verteilungsmuster, das sich deutlich von dem der Rohholzproduktion und der Klimaschutzleistung unterscheidet (Abbildung 3). Die Zahlungsbereitschaft für Waldbesuche wird vor allem von der Bevölkerungsdichte beeinflusst, weniger von der Waldverteilung. Das Ruhrgebiet und das Umland größerer Städte, in denen die Nachfrage wegen der hohen Bevölkerungsdichte besonders groß ist, zeichnen sich durch entsprechend hohe Zahlungsbereitschaften für Waldbesuche aus.
Naturschutzleistungen
Zur Bewertung der Naturschutzleistungen wurden mehrere Indikatoren herangezogen, die den Zustand der Natur und ihre Veränderungen beschreiben. Mit einem Auswahlexperiment, an dem ein repräsentativer Bevölkerungsquerschnitt teilnahm, konnten die Wissenschaftler unter anderem die Zahlungsbereitschaft für eine Wiederherstellung der ursprünglichen Artenvielfalt in den Regionen ermitteln. Sie schwankt in den einzelnen Kreisen zwischen 0 und über 6 Millionen Euro pro Jahr; dies summiert sich auf etwa 1 Milliarde Euro pro Jahr für Deutschland insgesamt. Ähnliche Auswahlexperimente wurden auch durchgeführt, um die Zahlungsbereitschaft für unterschiedliche Laub-, Nadel- und Mischwaldanteile sowie für die Einrichtung von Naturschutzgebieten im Wald zu ermitteln.
Nutzen für die Politik
Mit dem Modell des Thünen-Instituts lässt sich der Wert der verschiedenen Ökosystemleistungen von Deutschlands Wäldern nicht nur beziffern, sondern auch systematisch vergleichen. Darüber hinaus lassen sich auch Szenarien unterschiedlicher Waldbehandlungen und ihre regionalen Auswirkungen simulieren. Auf dieser Grundlage kann die Bundesregierung beispielsweise die Rechtsetzung und die öffentliche Förderung an den regional unterschiedlich nachgefragten Ökosystemleistungen ausrichten, so dass die Leistungspotenziale der Wälder
besser ausgeschöpft werden. Um dies zu unterstützen, enthält der Projektbericht (Thünen Report 79) auch einen konkret ausgearbeiteten Organisationsvorschlag, wie die unterschiedlichen Ökosystemleistungen des Waldes durch Märkte, private Nachfrager und staatliche Zahlungen gemeinsam honoriert werden könnten.
Service zum Download
- Wissenschaft erleben 2020/2Der Artikel „Was die Wälder uns wert sind“ auf Seite 4/5