Expertise
THG-Emissionen in der Wertschöpfungskette Milch
Katrin Agethen, Birthe Lassen | 19.01.2023
Klimaschutz ist in aller Munde, auch in der Milchwirtschaft. Auf Herausforderungen bei der Ermittlung und Bewertung einzelbetrieblicher THG-Emissionen und Minderung auf deutschen Milchviehbetrieben weisen Wissenschaftlerinnen des Thünen Instituts für Betriebswirtschaft hin.
In einer 2021 unter deutschen Molkereien durchgeführten Umfrage gaben 60 % an (n=57), sich bereits seit einiger Zeit mit der Bilanzierung von Treibhausgas-(THG)-Emissionen zu beschäftigen. Dies gilt jedoch in erster Linie für die Verarbeitungsebene. Erst gut ein Drittel der befragten Molkereien bilanzieren THG-Emissionen auch oder ausschließlich auf der Ebene der Milcherzeugerbetriebe. Dies wird sich jedoch ändern. Gut 70 % (n=38) der befragten Molkereien gaben Ende 2021 an, sich innerhalb der nächsten fünf Jahre mit der Erhebung von THG-Emissionen auf landwirtschaftlichen Betrieben auseinandersetzen zu wollen. Sie erwarten, dass der Druck von Seiten des Lebensmitteleinzelhandels und der Industriekunden diesbezüglich deutlich ansteigen wird und sehen auch, dass die Erhebung und Verbesserung des THG-Fußabdrucks für das Image der Branche in der Gesellschaft wichtig ist.
Dass die Einbeziehung der landwirtschaftlichen Betriebe in die Klimaschutzaktivitäten der Molkereien sinnvoll ist, zeigt sich auch darin, dass etwa drei Viertel der Emissionen in der Wertschöpfungskette Milch auf den Milchviehbetrieben direkt entstehen (Abbildung 1). Weniger als 20 % der Emissionen entfallen im Durchschnitt auf die Verarbeitung der Milch in den Molkereien, der Rest der Emissionen fällt zu etwa gleichen Teilen im Handel oder beim Verbraucher an.
Welchen Fußabdruck hat die Milch ?
Literaturwerte zeigen eine große Varianz des THG-Fußabdrucks, sowohl zwischen Ländern als auch innerhalb bestimmter Regionen und Produktionssysteme. Dafür gibt es mehrere Gründe: die große Heterogenität der Milchviehbetriebe selbst und die unterschiedliche zugrundeliegende Methodik in der Erfassung und Berechnung.
Wie groß die Heterogenität zwischen den Milchviehbetrieben ist, zeigen beispielhaft Untersuchungen der LFL Bayern. Dort wurden knapp 100 bayrische Milchviehbetriebe mit der gleichen Methodik analysiert. Für den THG-Fußabdruck ergab sich eine Spannbreite zwischen 0,8 und 1,8 kg CO₂-Äquivalenten je Kilogramm Milch. Die Analyse zeigt auch, dass sich kein eindeutiger Zusammenhang mit nur einem Produktionsparameter (beispielsweise der Milchleistung) herstellen lässt. Vielmehr wird die Emissionsintensität je Kilogramm Milch im landwirtschaftlichen Betrieb von mehreren Faktoren beeinflusst. Dazu gehören neben der Art der Fütterung und Futterproduktion, inklusive Lager und Ausbringung von Gülle, auch Herdenleistungsparameter wie Tiergesundheit, Remontierungsrate, Milchleistung und weitere Aspekte.
Während alle Berechnungen des THG-Fußabdrucks zunächst das gleiche Ziel verfolgen, unterscheiden sich die Methodiken im Detail und führen somit zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wesentliche Unterschiede ergeben sich aus
- den gesetzten Systemgrenzen (Welche Treibhausgase aus der (Vor-)Kette werden berücksichtigt?),
- den gewählten Allokationsfaktoren (wie werden die Emissionen auf die Nebenprodukte, z.B. Fleisch, verteilt?),
- den gewählten funktionellen Einheiten (worauf bezieht sich der Fußabdruck, z.B. auf das Kilogramm energie- und fettkorrigierte Milch, das Kilogramm Milcherzeugnis oder auf die Nährstoffeinheit?).
Je nachdem, welche Fragestellung beantwortet, welche Prozesse oder Produkte miteinander verglichen werden sollen, werden unterschiedliche methodische Ansätze gewählt. Wichtig ist, sich der Unterschiede und ihrer Wirkung auf die Ergebnisse bewusst zu sein, und sich bei der Auswahl an Standards zu orientieren (vgl. BEK-Standard, IDF-Standard). Sollen Effekte innerhalb der Milchproduktion gemessen werden, sind die Emissionen pro Kilogramm Milch ausschlaggebend. Werden hingegen verschiede humane Ernährungsweisen (z.B. pflanzliche vs. tierische Produkte) verglichen, ist es sinnvoller, die Emissionen je Nährstoffeinheit zu betrachten.
Ein Fußabdruck macht noch keine Veränderung
Die Kenntnis über den betrieblichen Fußabdruck führt noch nicht automatisch dazu, dass die Emissionen zurückgehen. Dafür müssen Erkenntnisse über die zugrunde liegenden Managementmaßnahmen und Handlungsoptionen vorliegen. Das QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch liefert hier mit seinem umfassenden Nachhaltigkeitsmonitoring wichtige Informationen. In dem Branchentool wird kein eigener betrieblicher Fußabdruck berechnet, es werden aber die wichtigsten Managementmaßnahmen, die zu einer Reduzierung des Fußabdrucks beitragen können, auf den Betrieben erhoben.
Inzwischen liegen die Auswertungen von über 5.000 Milchviehbetrieben und damit mehr als jedem vierten Betrieb in Deutschland vor (Abbildung 2) und es zeigt sich, wo viele Milcherzeuger*innen bereits einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – beispielsweise mit dem Erhalt von Dauergrünland, der Erzeugung erneuerbarer Energien und der Umsetzung von betrieblichen Energiesparmaßnahmen. Es wird aber auch deutlich, wo noch Optimierungsbedarf besteht: insbesondere im Bereich der Gülleausbringung und in der Nutzung extensiver Grünlandflächen. Auch beproben zahlreiche Betriebe bisher weder ihr Grundfutter noch ihre Gülle auf Inhaltstoffe und verlassen sich hier zu sehr auf Standardwerte der Literatur. Die Ergebnisse aus dem QM-Nachhaltigkeitsmodul Milch können für Molkereien und Milcherzeuger*innen eine gute Grundlage sein, gemeinsam über Klimaschutzmaßnahmen zu diskutieren, Minderungsmaßnahmen umzusetzen und die Erfolge zu dokumentieren.
Kräfte in der Branche bündeln
Aktuell arbeiten viele Molkereien an der Umsetzung von Pilotprojekten zum Klimaschutz. Diese Initiativen sind sinnvoll und wichtig. Der Heterogenität der Milcherzeugung werden die Einzelprojekte jedoch nicht gerecht. Um die Betriebsleiter*innen möglichst schnell mit Erkenntnissen aus diesen Leuchtturmbetrieben zu unterstützen und ihnen die Chance zu geben, einen Leuchtturmbetrieb zu finden, der zu ihren Gegebenheiten passt, wäre es sinnvoll, auch hier die Kräfte in der Branche zu bündeln und auf gemeinsamen Wissenstransfer zu setzen. Klimaschutz ist keine Aufgabe, die einzelne Betriebe oder Unternehmen übernehmen und lösen können, sondern eine Aufgabe der gesamten Branche.