Expertise
Der Klimawandel wirkt bis in die Tiefsee
Karl-Michael Werner und Anne Sell (Wissenschaft erleben 2022/1)
Seit Jahrzehnten verändern sich die Ökosysteme um Grönland unter dem globalen Klimageschehen. Das beeinflusst auch die dort vorkommenden Fische. Entgegen bisheriger Erwartungen reagieren Fischgemeinschaften in großer Tiefe teils stärker auf die Meereserwärmung als in flacheren Zonen.
Der menschengemachte Klimawandel wirkt sich auch auf die Produktivität und die Verbreitungsgebiete von Fischbeständen aus – mit Risiken für die nachhaltige Bewirtschaftung vieler Arten. Das konnte mittlerweile in zahlreichen Studien gezeigt werden.
Bisher standen dabei die kommerziell genutzten Fischarten der produktiven, flacheren Schelfmeere im Zentrum des Interesses. Buchstäblich im Dunkeln lag bislang aber die Kenntnis darüber, wie Organismen in größeren Tiefen auf den Klimawandel reagieren. Zum einen, weil es nur sehr wenige Langzeitstudien aus der Tiefsee gibt, zum anderen, weil ohnehin lange die Meinung vorherrschte, dass sich der Klimawandel in größeren Wassertiefen weniger stark bemerkbar macht, weil tiefe Gewässer typischerweise stabilere Temperaturbedingungen mit geringeren Schwankungen aufweisen als die Oberflächenschichten.
Ökologische Änderungen in der Tiefe
Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung des Thünen-Instituts für Seefischerei und des norwegischen Instituts Møreforsking AS hat eine ungewöhnliche Verbindung zwischen den Bodenfischgemeinschaften in Ostgrönland und dem Klimawandel entdeckt. Beim Auswerten langer Zeitreihen beobachteten die Forschenden, dass Ökosysteme über einen Bereich von 150-1500 m Wassertiefe zeitgleich auf Änderungen in der Atmosphäre, der Meereisbedeckung und der Oberflächentemperatur reagierten – erstaunlicherweise am deutlichsten bei Fischen, die unterhalb von 400 Metern leben.
Über fast 20 Jahre, von 1998-2016, erhoben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Thünen-Instituts für Seefischerei in Bremerhaven und des grönländischen Instituts für natürliche Ressourcen in Nuuk in den Gewässern um die Südküsten Grönlands Daten zu Veränderungen in der Fischgemeinschaft am Meeresboden. Für die Datenanalyse untersuchten sie räumliche und zeitliche Änderungen in der Ökologie der Lebensgemeinschaften. Zu ihrer Überraschung fanden sie in Tiefen von mehreren hundert Metern vermehrt boreale, also stärker wärmeangepasste Arten wie den Lumb (Brosme brosme) und den Blauleng (Molva dypterygia), während das Vorkommen von arktischen und sub-arktischen Arten wie dem Schwarzen Heilbutt (Reinhardtius hippoglossoides) oder dem Blauen Seewolf (Anarhichas denticulatus) abnahm.
Auch bei Extremwetterereignissen konnten parallel kurzfristige Änderungen der Tiefseefischgemeinschaften beobachtet werden, so zum Beispiel im Jahr 2003, als die Lufttemperatur außergewöhnlich hoch war und wärmeres Wasser sich über den Kontinentalhang und das Schelf erstreckte. Damit einhergehend stiegen die Individuenzahlen der genannten borealen Arten kurzzeitig auf einen markanten Höchstwert, um nach diesem Extremjahr wieder zurückzufallen auf Werte im Rahmen des langsamer ansteigenden langjährigen Trends.
Fischgemeinschaften in der Tiefsee scheinen somit sowohl empfindlich gegenüber langsamen Veränderungen als auch gegenüber Extremereignissen zu sein, die innerhalb kürzester Zeit zu Änderungen der ökologischen Verhältnisse führen.
Die Tiefenwirkung ergründen
Während die statistischen Auswertungen der jüngst publizierten Studie nun klar belegen, dass die Verteilung von Bodenfischen bis in die Tiefsee mit Änderungen in der Atmosphäre und der Oberfläche zusammenhängen, ist noch nicht geklärt, welcher Prozess die Hauptverantwortung dafür trägt. Die Forschenden haben dazu zwei Hypothesen. Die eine stellt einen biologischen Kaskadeneffekt ins Zentrum: Änderungen an der Oberfläche können innerhalb von Wochen und Monaten die Sedimentationsraten von organischem Material, unter anderem absterbendem Plankton, in die Tiefe beeinflussen. Diese absinkende Biomasse ist eine wichtige Nahrungsgrundlage für die Artengemeinschaft von wirbellosen Meeresbodenbewohnern, von denen sich die Fische ernähren. Auf solche Änderungen in der Nahrungsverfügbarkeit können Fische offenbar schnell reagieren und ihr Verbreitungsgebiet entsprechend anpassen. Diese schnellen Verschiebungen in der Verbreitung entstehen also durch aktive Zuwanderung und nicht durch verstärkte Reproduktion oder Veränderungen in der Sterblichkeit.
Die zweite Hypothese, warum die Arten gerade an einem Kontinentalabhang wie vor Grönland stärkere Änderungen als in den flacheren Wasserschichten zeigen, zielt auf die Verteilung verschiedener Wasserkörper ab. Eine frühere Studie zeigte, dass sich tiefere Schichten, in denen Wassermassen atlantischen Ursprungs dominieren, über den Studienzeitraum langsamer erwärmten als die arktischen Wasserkörper im Flachen, die starken zwischenjährlichen Fluktuationen unterliegen. Das Temperaturregime der tiefen Schichten ist stabiler und verändert sich eher graduell. Dieser zwar deutlich messbare, aber langsamere Temperaturanstieg in der Tiefe könnte der Treiber für die grundlegenden Änderungen in den Verbreitungsgebieten der Fische sein. Die Extremereignisse an der Oberfläche könnten hingegen die Sedimentationsraten takten und zu kurzfristigen Änderungen in der Nahrungsverfügbarkeit am Meeresboden führen. Diese wären dann für zeitlich begrenzte, starke Ausschläge in der Zusammensetzung der Fischfauna verantwortlich.
Bedeutung für die Fischerei
Die Erkenntnis, dass die Tiefsee-Fischfauna dynamisch auf Klimaänderungen reagiert, ist nicht nur für die Ökologie relevant, sondern auch für die Fischerei. Arten wie der oben genannte Blauleng sind zwar nicht von großem kommerziellem Interesse, aber der Schwarze Heilbutt zählt in grönländischen Gewässern durchaus zu den Haupt-Zielarten. Auch der Goldlachs (Argentina silus), der von den Änderungen betroffen ist, rückt bereits in den Fokus, auch wenn es noch keine ausgeprägte Fischerei auf ihn gibt.
Klimabedingte Änderungen in den Verbreitungsgebieten werden also auch in der Tiefsee zukünftig das Fischereimanagement beeinflussen.
Originalpublikation:
Emblemsvåg, M., Werner, K. M., Núñez-Riboni, I., Frelat, R., Torp Christensen, H., Fock, H. O., & Primicerio, R. (2022). Deep demersal fish communities respond rapidly to warming in a frontal region between Arctic and Atlantic waters. Global Change Biology, 28, 2979– 2990.
https://doi.org/10.1111/gcb.16113