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FAQ

Wie die Einleitung von Tritium in den Pazifik einzuschätzen ist

Marc-Oliver Aust | 22.08.2023


FI Institut für Fischereiökologie

Der Betreiber des im März 2011 havarierten Kernkraftwerks in Fukushima leitet seit August 2023 Wasser in den Pazifik ein, das radioaktives Tritium enthält. Eine Einschätzung zu möglichen Auswirkungen auf die Meeresumwelt gibt der folgende Text.

Der japanische Konzern Tepco, Betreiber des im März 2011 havarierten Kernkraftwerks Fukushima Daiichi, hat am 24. August 2023 damit begonnen, Wasser in den Pazifik einzuleiten, das das radioaktive Wasserstoff-Isotop Tritium enthält. Eine Genehmigung für dieses Vorhaben wurde am 10. Mai 2023 erteilt. Die Internationale Atomenergie-Organisation (IAEA) hat am 4. Juli 2023 die Einleitung für unbedenklich befunden.

Um welche Mengen handelt es sich dabei, welche Auswirkungen kann die Einleitung auf die Meeresumwelt haben und gibt es ein gesundheitliches Risiko für Menschen als Konsumenten von Fisch? Der nachfolgende Text gibt dazu Auskunft. 

Bei Tritium handelt es sich um ein in der Natur in Spuren vorkommendes Isotop des Wasserstoffs. Im Gegensatz zum „normalen“ Wasserstoff, dessen Atomkern nur ein Proton besitzt, besteht der Tritium-Kern aus einem Proton und zwei Neutronen – Tritium wird deshalb auch als „überschwerer“ Wasserstoff bezeichnet. In der Natur wird Tritium in der oberen Atmosphäre stetig neu gebildet. Etwa 99 % davon liegen im Wasser gebunden vor.

Tritium entsteht auch als Nebenprodukt der Kernspaltung in Siedewasserreaktoren, wie sie im Kernkraftwerk Fukushima Daiichi verbaut wurden.

Tritium ist ein radioaktiver Stoff, der Beta-Strahlung (Elektronen) niedriger Energie aussendet; es zerfällt mit einer Halbwertszeit von 12,3 Jahren zu stabilem, also nicht radioaktivem Helium-3. Es hat einen sehr niedrigen Dosiskoeffizienten, weshalb es auch in sogenannten Consumer-Produkten (z. B. Leuchtziffern in Uhren, leuchtende Angelköder) eingesetzt wird. Der Dosiskoeffizient ist ein Maß für die Wirkung eines radioaktiven Isotops auf den Körper einer Person, die den Stoff aufnimmt. Er wird in Sv/Bq (Sievert pro Becquerel) angegeben. Der Dosiskoeffizient von Tritium ist mit 1,8*10-11 Sv/Bq etwa tausendfach niedriger als der von radioaktivem Cäsium, das bei der Reaktorkatastrophe in Fukushima freigesetzt wurde und ins Meer gelangte.

Das kontaminierte Wasser fällt einerseits bei der Kühlung der zerstörten Reaktorkerne an, andererseits durch einen unkontrollierten Grundwasserzutritt zu den Reaktorgebäuden. Ursache der Havarie des Kernkraftwerks war ein Seebeben im März 2011 vor der Ostküste Japans, in dessen Folge ein verheerender Tsunami auf die Küste traf, dort unter anderem das Kraftwerk überflutete und zum Ausfall des Kühlsystems führte, woraufhin es in mehreren Reaktorblöcken zu Explosionen und zur Kernschmelze kam.

Das Wasser enthält verschiedene Radionuklide in unterschiedlichen Konzentrationen. Durch technische Maßnahmen konnte der Zustrom des Wassers aus der Umgebung zwar deutlich reduziert, aber nicht vollständig gestoppt werden. Um einen unkontrollierten Austritt des kontaminierten Wassers in den Pazifik zu verhindern, wird es abgepumpt und mit einem fortschrittlichen System zur Entfernung in Flüssigkeiten gelöster Radionuklide (Advanced Liquid Processing System, ALPS) behandelt. Da das Tritium in die Wassermoleküle eingebaut ist, kann es aber, im Gegensatz zu den im Wasser gelösten Radionukliden wie Cäsium-Isotopen, nicht mittels ALPS aus dem Wasser entfernt werden. Deshalb werden aktuell etwa 1,34 Mio. Tonnen Tritium-haltiges Wasser in Tanks auf dem Reaktorgelände gelagert (zur Einordnung: Das entspricht mengenmäßig etwa einem Zehntel des jährlichen Trinkwasserverbrauchs einer mittleren Großstadt wie Braunschweig).

Die Lagerkapazität auf dem Gelände des Kernkraftwerkes ist nicht nur aufgrund der Anzahl der Tanks mittlerweile nahezu erschöpft. Damit die Gefahr einer weiteren Kontamination der Umwelt verringert wird, ist ein Rückbau der havarierten Anlage notwendig, wofür ebenfalls Flächen benötigt werden. Zusätzlich besteht das Problem, dass die vorhandenen Tanks für kontaminiertes Wasser nicht dauerhaft sind und regelmäßig überprüft bzw. ausgetauscht werden müssen. Aus diesem Grund ist es unerlässlich zu planen, wie mit dem kontaminierten Wasser umgegangen werden soll.

Für den langfristigen Umgang mit dem kontaminierten Wasser wurden fünf Vorgehensweisen entwickelt und diskutiert: Verpressung im Untergrund, kontrollierte Freisetzung ins Meer, kontrolliertes Verdampfen, Wasserstofffreisetzung und Verfestigung mit untertägiger Endlagerung. Nach intensiver Abwägung hat sich die Einleitung ins Meer bezüglich der Minimierung eventueller Risiken, der technischen Umsetzbarkeit und der zeitlichen Integration in die Rückbaumaßnahmen der Reaktoren als praktikabel erwiesen. Risiken für die Meeresumwelt werden als gering erachtet, da

  1. die Abwässer, in denen die Radionuklidkonzentration die amtlichen Grenzwerte überschreiten, mittels ALPS-System gereinigt werden, so dass die Grenzwerte mit Ausnahme von Tritium anschließend unterschritten werden,
  2. die Tritium-Konzentration im abgeleiteten Wasser durch Verdünnung auf 1500 Bq L-1 reduziert wird,
  3. das jährlich abgegebene Tritium-Inventar auf 22 TBq begrenzt wird. Das entspricht dem Wert, der bereits vor dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima zugelassen war.

Die Internationale Atomenergiebehörde hat den Bericht des ALPS-Komitees (SHALPS, 2020) begutachtet und schließt sich dessen Meinung an, liefert aber auch zusätzliche Begründungen und Klarstellungen für die Einleitung des kontaminierten Wassers ins Meer (IAEA, 2020, 2022, 2023). Insbesondere soll eine Kommunikationsstrategie erarbeitet und der Austausch mit Betroffenen und Verbänden intensiviert werden. Das Einleiten des Tritium-haltigen Wassers (rund 1,34 Mio. Tonnen) soll sukzessive innerhalb der nächsten 30 Jahre erfolgen.

Tritium wird in organisches Material eingebaut, weil es sich wie normaler Wasserstoff verhält. Im menschlichen Körper – und wahrscheinlich auch im Tier – wird Tritium schnell wieder ausgeschieden (Halbwertszeit von ca. 10 Tagen). Daher wird in der Fachliteratur eine Gesundheitsgefährdung durch Tritium für Mensch und Tier als gering eingeschätzt (Galeriu & Melintescu, 2010; Povinec et al., 2017). Allerdings ist es noch nicht wissenschaftlich gesichert, ob die Gefahr durch Fehler in der Erbsubstanz, die nach Einbau von Tritium in die DNA entstehen können, bislang unterschätzt wurde (European Commission, 2008; HPA, 2007).

Tritium wird nach Angaben der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA 2004) nicht im Fisch angereichert, d.h. die Konzentrationen in Fisch und Wasser sind identisch. Im Gegensatz dazu wird Cäsium im Fisch hundertfach gegenüber der Konzentration im Wasser angereichert. Während Tritium im Fisch relativ schwer nachweisbar und auch schlecht vom natürlichen Hintergrund zu unterscheiden ist, lässt sich die Konzentration von Tritium im Wasser vergleichsweise leicht ermitteln. Anders als beim Fisch kann beim Nachweisverfahren im Wasser eine nahezu beliebig große Wassermenge nach einer Anreicherung auf dessen Tritium-Aktivitätskonzentration analysiert werden. Durch die Anreicherung erhöht sich die Tritium-Aktivitätskonzentration im späteren Messpräparat so, dass das Messgerät auch einen gültigen Messwert erzeugt bzw. der in der Probe enthaltene natürliche Hintergrund „ausgeblendet“ werden kann.

Die früheren Einleitungen von Tritium aus dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima in den Pazifik waren im Juni 2011 im Wasser in 40 km Entfernung zum Kernkraftwerk gut nachweisbar, obwohl die eingeleiteten Mengen deutlich geringer waren als die früherer oder aktueller Ereignisse/Aktivitäten, wie etwa des Kernwaffenfallouts oder den Einleitungen der Wiederaufbereitungsanlagen für Kernbrennstoffe (Povinec et al., 2017). Wie bei dem im Verlauf der Havarie ins Meer gelangten Cäsium wird sich auch die Tritium-Menge im Wasserkörper des Pazifiks sehr stark verdünnen.

In den betroffenen Gebieten soll die Überwachung der Meeresumwelt, speziell von Tritium, weiter ausgebaut werden. Die Betreiberfirma TEPCO ist für Untersuchungen auf dem Gelände der Anlage zuständig, die staatliche Regulierungsbehörde NRA (National Regulation Authority) übernimmt die Bereiche Wasser und Sediment und die japanische Fisheries Agency die marinen Organismen.

TEPCO stellt alle Experimente und Messwerte, die im Vorfeld bzw. während der Tritium-Freisetzung erhalten werden, abgehend von folgender Internetseite vor: https://www.tepco.co.jp/en/decommission/progress/watertreatment/index-e.html.

Die Ergebnisse des Monitorings der NRA und der Fisheries Agency werden, nach Themenbereichen sortiert, abgehend von folgenden Internetseiten veröffentlicht: https://radioactivity.nra.go.jp/en/ und https://www.jfa.maff.go.jp/e/inspection/index.html.

Um die Wirkung der Ableitungen auf die Meeresumwelt zu erfassen und mit den Prognosen abgleichen zu können, ist vorgesehen, in einer ersten Phase nur kleine Abwassermengen in den Pazifik abzugeben. Erst wenn sich bestätigt, dass keine oder nur geringe Auswirkungen auf die Meeresumwelt eintreten, wird die Ableitung der Tritium-haltigen Wässer fortgesetzt. Dafür ist insgesamt ein Einleitungszeitraum von 30 Jahren vorgesehen.

Zusammenfassung und Einschätzung

Tritium ist ein Radionuklid, das in großen Mengen natürlich gebildet wird und dessen wesentlicher Anteil im Wasser gebunden vorliegt. Die Einleitungen aus den Tanks des havarierten Kernkraftwerks Fukushima werden die Mengen, deren Einleitung für den Betrieb des intakten Kernkraft Fukushima genehmigt wurden, unterschreiten. Damit sind sie im Vergleich zu der Menge natürlich vorkommenden Tritiums sehr gering. Tritium wird, sofern es von Meeresorganismen aufgenommen wird, auch schnell wieder ausgeschieden.

Unter den oben genannten Randbedingungen ist es sehr unwahrscheinlich, dass direkte oder indirekte Strahlenwirkungen bei Meeresorganismen nachweisbar sein werden. Ein Risiko für den Verbraucher wird aus Sicht des Strahlenschutzes ebenfalls als sehr gering eingeschätzt.

European Commission (2008): Emerging Issues on Tritium and Low Energy Beta Emitters. Radiation Protection No. 152, Proceedings of the EU Scientific Seminar 2007. 108 Seiten

Health Protection Agency (2007): Review on risks from Tritium, „Report of the independent Advisory Group on Ionising Radiation“, Documents of the Health Protection Agency, Radiation, Chemical and Environmental Hazards (November 2007), 104 Seiten

International Atomic Energy Agency (2004): Sediment distribution coefficients and concentration factors for biota in the marine environment. Technical Report Series No. 422, Wien, 103 Seiten. Online: http://www-pub.iaea.org/books/IAEABooks/6855/Sediment-Distribution-Coefficients-and-Concentration-Factors-for-Biota-in-the-Marine-Environment; zuletzt abgerufen: 28.11.2022

IAEA (2020): IAEA Follow-up Review of Progress Made on Management of ALPS Treated Water and the Report of the Subcommittee on Handling of ALPS treated water at TEPCO’s Fukushima Daiichi Nuclear Power Station. Online: https://www.iaea.org/sites/default/files/20/04/review-report-020420.pdf; zuletzt abgerufen: 28.11.2022

IAEA (2022): IAEA Review of Safety Related Aspects of Handling ALPS-Treated Water at TEPCO’s Fukushima Daiichi Nuclear Power Station - Report 1: Review Mission to TEPCO and METI (February 2022). Online: https://www.iaea.org/sites/default/files/report_1_review_mission_to_tepco_and_meti.pdf; zuletzt abgerufen: 03.01.2023

IAEA (2023): IAEA comprehensive report on the safety review of the ALPS-treated water at the Fukushima Daiichi nuclear power station. Online: https://www.iaea.org/sites/default/files/iaea_comprehensive_alps_report.pdf; zuletzt abgerufen: 05.07.2023

Galeriu D. und Melintescu A. (2010): Tritium. In: Atwood D.A., Radionuclides in the Environment, S. 47-63

Povinec P.P., Kwong L. W., Kaizer J., Molnár M., Nies H., Palcsu L., Papp L., Pham M.K. and Jean-Baptist P. (2017): Impact of the Fukushima accident on tritium, radiocarbon and radiocesium levels in seawater of the western North Pacific Ocean: A comparison with pre-Fukushima situation.

The Inter-Ministerial Council for Contaminated Water, Treated Water and Decommissioning issues (ICCW, 2021): Basic Policy on handling of ALPS treated water at the Tokyo Electric Power Company Holdings’ Fukushima Daiichi Nuclear Power Station. Online: https://www.meti.go.jp/english/earthquake/nuclear/decommissioning/pdf/bp_alps.pdf; zuletzt abgerufen: 28.11.2022

The Subcommittee on Handling of the ALPS Treated Water (SHALPS, 2020): The Subcommittee on Handling of the ALPS Treated Water – Report. Online: https://www.meti.go.jp/english/earthquake/nuclear/decommissioning/pdf/20200210_alps.pdf; zuletzt abgerufen: 28.11.2022

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