Expertise
Europas Geflügel- und Milchexporte nach Westafrika
Janine Pelikan, Claus Deblitz | 28.07.2023
Exporte von Geflügel- und Milchprodukten aus Europa nach Afrika stehen seit Jahren in der Kritik. Das Thünen-Institut hat am Beispiel der westafrikanischen Länder Ghana und Senegal untersucht, wie sich die importierten Produkte auf den lokalen Konsum und auf die lokale Produktion auswirken.
Medienberichte und Nichtregierungsorganisationen weisen immer wieder auf die negativen Auswirkungen der EU-Exporte auf die afrikanischen Länder hin. Während in der EU zum Beispiel hauptsächlich die Hähnchenbrust konsumiert wird, gehen Flügel und Schenkel in den Export nach Westafrika. Hier werden diese Produkte zu geringen Preisen angeboten und zerstören dort die Märkte – so der Vorwurf.
Um die Wirkungen europäischer Agrarexporte vertieft untersuchen zu können, hat das Thünen-Institut im Projekt IMMPEX exemplarisch zwei Produktgruppen und zwei Länder ausgewählt: Geflügel- und Milchprodukte sowie Ghana und Senegal. In beiden Ländern ging es um die Frage, wie sich die importierten Produkte auf den lokalen Konsum und auf die lokale Produktion auswirken.
Die Befragungen und Datenerhebungen wurden in Zusammenarbeit mit lokalen Forschungsinstituten durchgeführt. Hierbei wurde die gesamte Wertschöpfungskette einbezogen, ebenso die agrar- und handelspolitischen Rahmenbedingungen. Die Ergebnisse wurden mit den Stakeholdern in Ghana und im Senegal diskutiert, und gemeinsam wurden Politikempfehlungen abgeleitet.
Ergebnisse für Hähnchenfleisch
Ghana und Senegal regulieren die Importe von Hähnchenfleisch, setzen dabei aber unterschiedliche Maßnahmen ein: Während Ghana einen Zoll in Höhe von 35 % erhebt, hat Senegal infolge der Geflügelgrippe im Jahr 2006 ein komplettes Importverbot erlassen, das bis heute besteht. Die Sektoren beider Länder konnten sich folglich unter einem unterschiedlichen Außenschutz entwickeln.
Innerhalb von 10 Jahren hat sich die Produktion in Ghana knapp verdoppelt und im Senegal annähernd verdreifacht. Da Ghana zusätzlich Geflügelfleisch importiert, wird nur ca. 20 % des Konsums durch die eigene Produktion gedeckt. Der Rest wird importiert. Produktionssteigerungen und Importe ermöglichen Ghana einen Pro-Kopf-Konsum, der mehr als doppelt so hoch ist wie im Senegal.
Die Untersuchungen zeigten, dass die Konsumentinnen und Konsumenten in beiden Ländern eine Präferenz für ihre lokalen Produkte haben. Sie nehmen sie als „frisch“ und „schmackhaft“ war und sind bereit, hierfür auch mehr zu bezahlen, sofern sie es sich leisten können. Hiernach könnte man sich fragen: Wo ist denn überhaupt das Problem? Die Produktion steigt, die Konsumentinnen und Konsumenten haben eine Präferenz für lokale Produkte, und in Ghana haben die Menschen zusätzlich die Möglichkeit, in einem Extra-Marktsegment zu niedrigen Preisen oder „convenient“ einzukaufen.
Handelspolitische Empfehlungen
Zweifellos könnte sich die Produktion in Afrika besser entwickeln, wenn sie nicht der sehr preisgünstigen Konkurrenz aus Europa ausgesetzt wäre. Daher steht die Forderung im Raum, unsere „Billig-Exporte“ in diese Länder einzuschränken oder sogar ganz einzustellen. Ein einseitiger Exportverzicht der EU würde allerdings den afrikanischen Betrieben kaum helfen, sondern lediglich zu einer Umlenkung des Handels führen. Hähnchenteile kämen dann nicht mehr aus der EU, sondern aus den USA oder Brasilien. Handelspolitische Maßnahmen sollten daher besser an den Außengrenzen der afrikanischen Länder ansetzen.
Wäre ein Importstopp, wie er im Senegal besteht, auch für Ghana empfehlenswert? Mit Hilfe von Modellrechnungen wurde im Forschungsprojekt gezeigt, dass sich die Inlandsproduktion Ghanas um bis zu 250 % erhöhen würde. Die Kehrseite der Medaille: Die Preise würden steigen und in der Summe würde deutlich weniger konsumiert werden. Zudem fallen bei einem Importverbot die Zolleinnahmen weg, die einen großen Anteil an den gesamten Zolleinnahmen in Ghana haben. Insgesamt würde sich die Wohlfahrt verringern.
Wird eine Steigerung der inländischen Produktion politisch angestrebt, sollten die Importländer ihren Zollsatz soweit erhöhen, bis sie die gewünschte Balance zwischen der Ankurbelung der Eigenerzeugung einerseits und der Vermeidung übermäßiger Belastungen der Privathaushalte andererseits erreicht haben. Ghana könnte dies nutzen. Die Bestimmungen der Welthandelsorganisation lassen hier erhebliche Zollerhöhungen zu, so dass die Inlandsproduktion – den Projektergebnissen zufolge – um bis zu 100 % gesteigert werden könnte. Anders ist jedoch die Situation im Senegal. Hier lässt das internationale Regelwerk nur einen Zollsatz von maximal 30 % zu. Eine Aufhebung des Importverbots würde daher in diesem Land die Inlandserzeugung erheblich belasten.
Eine zentrale Schlussfolgerung für unsere Politik lautet deshalb, dass sie sich für eine Veränderung des internationalen handelspolitischen Regelwerks einsetzen sollte. Die Länder sollten die Möglichkeit haben, ihre Zölle flexibler zu gestalten, damit eine schrittweise Öffnung der Märkte möglich ist, ohne dass die lokale Produktion einbricht. Alternativ oder ergänzend sollten die Länder auch Zollquoten einsetzen können, also eine Begrenzung der Importmengen, die zu relativ niedrigen Zollsätzen ins Land gelassen werden.
Ein weiterer wichtiger Befund der Untersuchung: In den westafrikanischen Ländern profitieren die inländischen Großbetriebe deutlich stärker von einer restriktiven Importpolitik als kleinere oder mittelgroße Betriebe. Sofern die Regierungen also neben der Steigerung der Inlandserzeugung auch die Unterschiede zwischen kleineren und größeren Betrieben adressieren wollten, müssten sie zusätzlich zu den handelspolitischen Maßnahmen auch strukturpolitische Maßnahmen ergreifen.
Andere Schlussfolgerungen für Milchprodukte?
Für Milchprodukte gelten diese grundsätzlichen Einschätzungen ebenfalls. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass insbesondere der Senegal von der Möglichkeit einer restriktiveren Importpolitik Gebrauch macht. Hier sind Futterqualität, Tiergesundheit, Tiergenetik und insbesondere der Zugang zu Wasser limitierende Faktoren für die Steigerung der Produktion. Das für die Milcherzeugung benötigte Wasser umfasst sowohl das Trinkwasser für die Kühe als auch das Wasser für die Erzeugung der Futtermittel. Der Senegal leidet bereits heute unter Wassermangel, und eine Steigerung der inländischen Produktion würde mehr Wasserressourcen erfordern.
Bei einem „True Cost“-Ansatz könnte es im Endeffekt sinnvoller sein, eher auf Importe aus der EU als auf eigene Expansion zu setzen. Diese Entscheidungen sollten wir aber ebenfalls den Akteuren in den Ländern überlassen und weder die Importländer noch unsere Exportindustrie tadeln, wenn es letztlich doch zu Handelsströmen kommt.
Service zum Download
- Wissenschaft erleben 2023/1Der Beitrag auf Seite 10/11
- Auswirkungen des Exports von Fleisch und Milchprodukten auf EntwicklungsländerBroschüre zum Abschluss-Workshop des IMMPEX-Projekts 2023, 64 S.