Expertise
Lebensmittelabfälle belasten die Umwelt
Thomas Schmidt | 10.06.2024
In welcher Größenordnung belasten deutsche Lebensmittelabfälle die Umwelt? Und wie viel Treibhausgase ließen sich einsparen, wenn wir es laut dem Ziel der Vereinten Nationen bis 2030 schaffen, die Nahrungsmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren?
Um diese Fragen zu beantworten, hat das Thünen-Institut im Rahmen des Verbundprojekts REFOWAS ein Ökobilanzmodell für den gesamten deutschen Ernährungssektor entwickelt. Hiermit lässt sich berechnen, welche Umweltwirkungen die verschiedenen Lebensmittel haben, die in Deutschland verzehrt werden. Die Berechnung umfasst den gesamten Lebenszyklus eines Produkts, beginnend bei der Rohstoffgewinnung. Neben der inländischen Erzeugung werden auch im- und exportierte Lebensmittel sowie Abfälle in der gesamten Wertschöpfungskette berücksichtigt.
Das Modell umfasst zwölf Produktgruppen, die alle wesentlichen Lebensmittelbereiche abdecken:
- Fleisch und Fleischprodukte
- Eier und Eiprodukte
- Milch und Milchprodukte
- Getreide und Getreideprodukte
- Kartoffeln und Kartoffelprodukte
- Sonstige Nahrungsmittel (wie Gewürze, Soßen etc.)
- Öle und Fette
- Zucker und Süßigkeiten
- Gemüse und Gemüseprodukte
- Obst und Obstprodukte
- Fisch und Fischprodukte
- Getränke (Leitungswasser, Limonaden, Kaffee, Tee, alkoholische Getränke etc.)
Mit Hilfe des Ökobilanzmodells konnte berechnet werden:
- wie viel Treibhausgasemissionen je Kilogramm produziertes Lebensmittel anfallen,
- welche Auswirkungen deutsche Lebensmittelabfälle auf die Umwelt haben, und
- wie sich eine Abfallreduzierung auf die Umwelt auswirken würde.
Treibhausgasemissionen pro Kilogramm Lebensmittel
Die Abbildung zeigt alle Treibhausgasemissionen der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung für einzelne Produkte und Sektoren. Die gezeigten Werte beziehen sich einerseits auf ein Kilogramm landwirtschaftliches Rohprodukt (Hoftor) und andererseits auf die fertig zubereiteten Speisen (Verzehr).
So enthält die Produktgruppe Getreide beispielsweise auch verarbeitete Erzeugnisse wie Brot etc. Die Fleischproduktion und -verarbeitung verursacht pro Kilogramm hohe bis sehr hohe Belastungen für die Umwelt. Viele Getränke bestehen größtenteils aus Zucker und/oder Wasser, weshalb das Ausgangsprodukt (z.B. reiner Saft) je Kilogramm eine höhere Belastung verursacht als das Endprodukt. Kartoffeln weisen in der Urproduktion eine relativ geringe Belastung auf, doch wirkt sich hier die Verarbeitung (z.B. Frittieren) stark auf die Umwelt aus.
Auswirkungen des deutschen Lebensmittelkonsums auf die Umwelt
Für die Produktion von Lebensmitteln, die in Deutschland verzehrt werden, werden insgesamt 38 Mio. Hektar landwirtschaftliche Fläche pro Jahr benutzt. Gleichzeitig setzt der deutsche Ernährungssektor etwa 177 Mio. Tonnen an CO2-Äquivalenten frei. Für alle Aktivitäten wird ein Energieaufwand von 3,7 Mrd. Gigajoule benötigt.
Auswirkungen einer Abfallreduzierung auf die Umwelt
Deutschland hat sich verpflichtet, bis 2030 die Lebensmittelverschwendung pro Kopf auf Einzelhandels- und Verbraucherebene zu halbieren. Wenn dieses Ziel erreicht wird, könnten die Treibhausgasemissionen theoretisch um rund 9% gegenüber dem derzeitigen Zustand gesenkt werden (siehe gelbe Säule in der Abbildung oben).
Bei der Modellierung der Reduktionsszenarien wurde von einer gleichbleibenden Verzehrmenge ausgegangen – mit einer reduzierten Abfallmenge auf allen Stufen der Wertschöpfungskette.
Die Ergebnisse entsprechen damit dem größtmöglichen Einsparpotenzial durch vermiedene Lebensmittelabfälle. Umweltwirkungen von Vermeidungsmaßnahmen, Rebound-Effekte o.ä. werden dabei nicht berücksichtigt. Allerdings wird die gesamte Wertschöpfungskette von der Erzeugung über die Produktion bis hin zum Verzehr betrachtet.
Die Erkenntnisse aus der Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewertung fließen in unsere Empfehlungen ein, die in Fachzeitschriften (Sustainability-Artikel nur auf Englisch verfügbar) und im Eigenverlag veröffentlicht werden.
Auf Basis einer Methode des Joint Research Centers (JRC) hat unser Team eine Methode für eine Nachhaltigkeitsbewertung entwickelt, die auf unsere Fallstudien angewandt werden kann. Die Fragestellungen decken solche zu Lebensmittelverlusten und -abfällen, aber auch zu verwandten Themen wie CO2-Abdrücke in der Lebensmittelkette oder Coplant ab.
Gemeinsam mit der Universität Bayreuth und dem Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum konnten wir die Auswirkungen der Lebensmittelabfälle in Deutschland auf die Biodiversität modellieren (nur auf Englisch verfügbar).