Institut für
LV Lebensverhältnisse in ländlichen Räumen
Projekt
Jung, im Verein und engagiert (JIVE)
Vereine in ländlichen Räumen beklagen schon länger Nachwuchsmangel. Im Forschungsprojekt JIVE untersuchen wir Bedingungen und Motive für das bürgerschaftliche Engagement junger Menschen in ländlichen Räumen und fragen in diesem Zusammenhang nach der Rolle von Vereinen.
Hintergrund und Zielsetzung
In ländlichen Räumen hat bürgerschaftliches Engagement eine gewachsene Tradition und eine hohe Bedeutung für das Gemeinwesen. Der überwiegende Teil des Engagements findet dabei bis heute in Vereinen statt, wodurch Vereinen in ländlichen Räumen eine herausragende Rolle zukommt. Sie erbringen mit ihren kulturellen, sportlichen und sozialen Angeboten nicht nur vielfältige Dienstleistungen, sondern vermitteln ihren Mitgliedern auch Normen und Kompetenzen und gelten als zentral für den dörflichen Zusammenhalt. Gleichzeitig beklagen Vereine gerade in strukturschwachen ländlichen Räumen schon länger Nachwuchsprobleme, obwohl deutschlandweite repräsentative Studien zeigen, dass sich viele junge Menschen engagieren und dies auch häufig in Vereinen tun.
Dabei existierte bisher nur wenig gesichertes Wissen über das Engagement junger Menschen in ländlichen Räumen, ebenso in Bezug auf ihre Einstellungen gegenüber Vereinen und Engagement.
Aus diesen Gründen hat das Forschungsvorhaben JIVE (Jung, im Verein und engagiert. Engagementkulturen junger Menschen in ländlichen Räumen und die Rolle von Vereinen) als Ziel, das Engagementverhalten sowie engagementbezogene Einstellungen junger Menschen in ländlichen Räumen zu beschreiben, um das Wissen diesbezüglich zu erweitern und Handlungsempfehlungen zu formulieren, die die gewonnenen Erkenntnisse wieder in Handlungsimpulse für Akteure aus Praxis und Politik umsetzen, die ein Engagement für junge Menschen in Vereinen ländlicher Räume erleichtern beziehungsweise attraktiver gestalten können.
Zur Zielerreichung standen folgende Fragen im Fokus:
- Was wissen wir über das zivilgesellschaftliche Engagement junger Menschen in ländlichen Räumen?
- In welcher Weise und in welchem Umfang engagieren sich junge Menschen in ländlichen Räumen?
- Welche Hindernisse stehen dem Engagement junger Menschen entgegen und wie kann man diesen begegnen?
- Welche Vorstellungsbilder vom Engagement und von Vereinen haben junge Menschen in ländlichen Räumen?
- Welche Erwartungen hegen junge Menschen an die Vereine?
- Können unterschiedliche Engagementkulturen (Engagementverhalten und engagementbezogene Orientierungen) zwischen unterschiedlichen sozialen Gruppen junger Menschen (z. B. soziale Schichten/Milieus; Geschlechtergruppen) identifiziert werden?
Vorgehensweise
Das Projekt gliedert sich in mehrere Teilstudien auf, die aufeinander aufbauen und unterschiedliche Methoden miteinander kombinieren. Als Untersuchungsregionen wurden drei nach Thünen-Typologie sehr ländliche sozioökonomisch weniger gute Landkreise (Harz, Gifhorn, Börde) ausgewählt.
In Teilstudie 1 wurde zunächst eine Literaturrecherche durchgeführt, um bestehendes Wissen zu vereinsbezogenem Engagement junger Menschen in ländlichen Räumen zusammenzutragen. So konnten bereits wichtige Faktoren, die förderlich oder hinderlich auf das Engagement wirken, identifiziert werden. Im Anschluss daran wurden in den drei Untersuchungsregionen Interviews mit regionalen und lokalen Akteuren für die Bereiche Engagement, junge Menschen und/ oder Vereine durchgeführt. Ebenso wurden junge engagierte Menschen zu ihrem Engagement befragt.
In Teilstudie 2 wurden durch das Deutsche Zentrum für Altersfragen die quantitativen Daten des Freiwilligensurvey (FWS) 2019 mit der Thünen-Raumtypologie kombiniert, sodass dadurch raumtypenbezogene Sekundäranalysen durchgeführt werden konnten. Diese zeigen deutschlandweite Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Engagement zwischen ländlichen und nichtländlichen Räumen auf.
In Teilstudie 3 wurde in den drei Untersuchungsregionen eine repräsentative Online-Befragung für junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren durchgeführt, um gesichertes Wissen in Bezug auf das Engagementverhalten sowie diesbezüglichen Einstellungen für sehr ländliche Räume mit weniger guter sozioökonomischer Lage zu gewinnen. Dazu wurde auf Basis der Erkenntnisse aus den Teilstudien 1 und 2 sowie einer weiteren vorherigen Studie von PD Dr. Tuuli-Marja Kleiner in Kooperation mit der Ruhr-Universität Bochum ein Fragebogen entwickelt und eine Zufallsstichprobe aus dem jeweiligen Landkreis gezogen. Die methodische Vorgehensweise wird in einem kostenlos downloadbaren Thünen Working Paper in diesem Jahr veröffentlicht.
Aus den gewonnenen Erkenntnissen wurden Handlungsempfehlungen formuliert, die in verschiedenen Workshops mit Akteuren aus Praxis und Politik diskutiert wurden. Dadurch konnte nicht nur die „Tauglichkeit“ der Empfehlungen überprüft werden, sondern auch Ergänzungen und Priorisierungen vorgenommen werden.
Der folgende Link verweist auf die Zeitschrift "Ländlicher Raum", in der das Forschungsprojekt vorgestellt wurde (S.38-41) und die Projektleiterin Dr. Tuuli-Marja Kleiner eine Einführung in das Thema "Freiwilliges Engagement in ländlichen Räumen" gibt (S.29-32).
Daten und Methoden
- Qualitative, leitfadengestützte Experteninterviews, Fokusgruppen mit engagierten und nichtengagierten jungen Menschen (Teilprojekt 1, geleitet von Andreas Klärner)
- Quantitative Sekundäranalysen des Freiwilligensurveys 2019 (geleitet von Tuuli-Marja Kleiner)
- Quantitative Online-Befragung junger Menschen (repräsentativ für die drei untersuchten Landkreise;
Teilprojekt 3, geleitet von Tuuli-Marja Kleiner)
Ergebnisse
Ausgewählte Ergebnisse
Die Literaturrecherche sowie auch die qualitativen Ergebnisse aus Teilstudie 1 zeigen zum einen die herausragende Bedeutsamkeit, die einer umfassenden Anerkennung des Engagements der jungen Menschen zukommt. Diese muss dabei in ihren verschiedenen Formen erfolgen, beispielsweise direkt durch persönliches Lob aber auch indem Ressourcen wie Ausstattung oder Informationen bereitgestellt werden. Bleibt dies aus, kann dies nicht nur demotivierend wirken, sondern auch das Engagement in seiner praktischen Umsetzung erschweren.
Hinzu kommt eine Reihe weiterer Herausforderungen wie die großen räumlichen Distanzen in den Landkreisen, aber auch eine zum Teil unzureichende Unterstützung durch administrative Strukturen beziehungsweise fehlendes Wissen darüber. Die Ergebnisse diesbezüglich werden voraussichtlich Ende 2024 in einem Artikel der Zeitschrift Diskurs publiziert.
Die Sekundäranalysen der Daten des Freiwilligensurvey 2019 in Teilstudie 2 zeigen das hohe Engagement junger Menschen in ländlichen Räumen. Dabei ist die allgemeine Engagementquote der jungen Menschen sogar noch höher als in nichtländlichen Räumen. Am beliebtesten sind die Engagementbereiche Sport und Bewegung, Kultur und Musik, Schule und Kindergarten sowie Religion/Kirche. Ebenfalls in ländlichen Räumen sehr beliebt sind die Unfall-/ Rettungsdienste und freiwillige Feuerwehr. Darüber hinaus zeigen sich geschlechtsspezifische Besonderheiten im Engagement wie der eher stereotypen Verteilung der Engagementbereiche oder dem Phänomen, dass junge Frauen und Mädchen zunächst stärker engagiert sind als ihre männlichen Altersgenossen und sich dies mit zunehmendem Alter umdreht. In den nichtländlichen Regionen hingegen ist die Engagementquote mit zunehmendem Alter eher ausgeglichen. Die genauen Ergebnisse können hier in der Zeitschrift Voluntaris nachgelesen werden.
Diese Ergebnisse werden auch in den Analysen der Teilstudie 3 weitgehend bestätigt. Aufgezeigt werden konnte die hohe Engagementquote der jungen Menschen. Jede*r zweite ist in irgendeiner Form engagiert und auch die Un-/ Beliebtheit der Bereiche haben sich bestätigt. Beispielsweise ist politisches Engagement eher unbeliebt. Ebenfalls bestätigt wurden Unterschiede im Engagement, beispielsweise in Bezug auf Bildung beziehungsweise des Schultyps, des Engagements der Eltern sowie wie bereits erwähnt in Bezug auf das Geschlecht.
Dabei glauben viele junge Menschen, dass das Engagement allgemein sowie auch Vereine im Allgemeinen in der Gesellschaft ein sehr positives Image haben. Die verschiedenen Engagementbereiche werden jedoch unterschiedlich in ihrem Ansehen bewertet und korrespondieren dabei größtenteils mit dem Beliebtheitsmuster der Engagementbereiche. D.h. dass es Bereiche gibt, in denen sich wenig junge Menschen engagieren und viele junge Menschen glauben, dass ein Engagement darin dem eigenen Ansehen schaden könnte.
Diese Ergebnisse wurden mit Wissenschaftler*innen in einem Workshop am Thünen-Institut diskutiert. Veröffentlicht werden sie voraussichtlich 2024 in einem kostenlos downloadbaren Thünen-Report.
Ausgewählte Handlungsempfehlungen
Die Handlungsempfehlungen haben das Ziel, die gewonnenen allgemeinen Erkenntnisse wieder in konkrete Handlungsanregungen für Vereine und politische Akteure umzusetzen, um das Engagement für junge Menschen in Vereinen attraktiver zu machen beziehungsweise möglichen Hemmnissen zu begegnen. Dabei werden hier nur einige ausgewählte Empfehlungen in aller Kürze dargestellt.
- Anerkennung und Wertschätzung leben, auf allen Vereinsebenen, in verschiedenen Formen.
- Modernisierung von Vereinsstrukturen und -strategien, z.B. in Bezug auf neue digitale Möglichkeiten, Mitbestimmungsprozesse oder auch Aufstellung von Vereinspositionen.
- Sensibilisierung für unterrepräsentierte Gruppen und gezielte Ansprache, um möglichst ausgewogen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen zu beteiligen.
- Erleichterung des Zugangs zu Verwaltungsinformationen, beispielsweise durch die konkrete öffentliche Benennung von Ansprechpartner*innen und einer guten öffentlichen Bereitstellung und Auffindbarkeit von Wissen, Formularen und dergleichen.
Thünen-Ansprechperson
Thünen-Beteiligte
Zeitraum
5.2021 - 7.2024
Weitere Projektdaten
Projektfördernummer: 2821FE003
Förderprogramm: Bundesprogramm Ländliche Entwicklung
Projektstatus:
abgeschlossen
Publikationen zum Projekt
- 0
Brensing J, Norèn F, Kleiner T-M, Klärner A (2024) Gelegenheiten und Herausforderungen für das Engagement junger Menschen in Vereinen sehr ländlicher Räume - Alles eine Frage der Passung? Diskurs Kindheits Jugendforsch 19(2):261-280, DOI:10.3224/diskurs.v19i2.08
- 1
Kleiner T-M, Klärner A, Brensing J (2023) Wer sich engagiert und wer nicht, zeigt sich früh im Leben : Eine quantitative Analyse zum zivilgesellschaftlichen Engagement junger Menschen in ländlichen und nicht-ländlichen Räumen. Voluntaris 11(2):240-266, DOI:10.5771/2196-3886-2023-2-240
- 2
Brensing J, Neu M, Klärner A, Petermann S (2022) Formen des Engagements junger Menschen in ländlichen Räumen. Ländl Raum (ASG) 73(3):38-41
- 3
Kleiner T-M (2022) Freiwilliges Engagement in ländlichen Räumen - Konzept, Entwicklung, Themen. Ländl Raum (ASG) 73(3):29-32