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Ökologischer Betrieb
© BLE, Bonn/Thomas Stephan
Ökologischer Betrieb
Institut für

BW Betriebswirtschaft

Projekt

Möglichkeiten zur Reduzierung des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes im Ackerbau


Federführendes Institut BW Institut für Betriebswirtschaft

Maispflanzen wenige Wochen nach der Aussaat
© Thünen-Institut/Michael Welling
Maispflanzen wenige Wochen nach der Aussaat

Möglichkeiten zur Reduzierung des Pflanzenschutzmittel-Einsatzes im Ackerbau

Wie gehen Landwirt*innen vor, um den Einsatz von chemischen Pflanzenschutzmitteln zu verringern, und wie hoch sind ihre Anpassungskosten? Diese Fragen wurden am Beispiel eines Modell-Ackerbaubetriebes im Boden-Klima-Raum „Südhannover“ untersucht.

 

Hintergrund und Zielsetzung

Chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel sind ein bedeutender Bestandteil des konventionellen Ackerbaus in Deutschland. Sie haben dazu beigetragen, die Flächenproduktivität zu erhöhen, die Ertragsverluste zu mindern und dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Ernährungssicherung geleistet. Jedoch haben Pflanzenschutzmittel (PSM) negative Auswirkungen auf die Biodiversität. Zudem sind ihre Abbauprodukte in Grund- und Oberflächengewässern zu finden, und sie werden damit in Verbindung gebracht, die menschliche Gesundheit negativ zu beeinflussen. Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel der Politik, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und die damit verbundenen Risiken zu senken.

Die landwirtschaftlichen Betriebe stehen vor den Fragen, ob und wie sie ihre Produktionssysteme anpassen können und welche Kosten daraus resultieren. Für die Zielerreichung ist es außerdem notwendig, konkrete Politikmaßnahmen und die Anpassungsreaktionen darauf unter Berücksichtigung landwirtschaftlicher Expertise zu vergleichen. Bisher fehlen solche Studien weitestgehend. Daher soll in diesem Projekt erarbeitet werden, welche Möglichkeiten Ackerbaubetriebe haben, um eine Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes zu erzielen, welche Kosten daraus resultieren und wie unterschiedliche Politikoptionen zum Erreichen der Ziele zu bewerten sind.

Vorgehensweise

Im Vorhaben wurde anhand eines typischen Modellbetriebs im Boden-Klima-Raum „Südhannover“ und unter der Nutzung eines Fokusgruppenansatzes mit Landwirt*innen sowie Berater*innen untersucht, mit welchen betrieblichen Anpassungsmaßnahmen die mit dem Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt um 25 bzw. um 50 % reduziert werden können und welche Anpassungskosten daraus resultieren. Dabei wurden die Risiken durch Pflanzenschutzmittel mit Hilfe des Pesticide Load Indikators (PLI) ermittelt. Um die Ertragseffekte in Folge eines reduzierten PSM-Einsatzes quantifizieren zu können, wurden regionale und nationale Versuchsauswertungen hinzugezogen. Außerdem wurden die zu erwartenden Ertragseffekte zwischen einem Best- und Worst-Case sowie einem „Normaljahr“ differenziert betrachtet.

Da Landwirt*innen auf Boden- und Pachtmärkten in Konkurrenz mit ihren Berufskolleg*innen stehen, können sie es sich im Regelfall nicht leisten, freiwillig auf Produktionssysteme umzuschwenken, die Mindererträge oder Kostensteigerungen verursachen. Die Politik muss deshalb die Rahmenbedingungen für alle Betriebe so verändern, dass die Anpassung der Produktionssysteme entweder zwingend vorgeschrieben oder betriebswirtschaftlich rentabel wird. Hierfür stehen der Politik vielfältige Politikmaßnahmen zur Verfügung. Anknüpfend an die Ergebnisse der Anpassungskosten wurde deshalb untersucht, wie die Politik die Ansatzstelle „PLI“ nutzen kann, um ihr Minderungsziel zu erreichen. Um die ausgewählten Politikmaßnahmen und Folgenabschätzungen dem kritischen Urteil der Fokusgruppe aussetzen zu können, wurden vier konkrete Politikmaßnahmen entwickelt, mit denen eine PLI-Reduktion erreicht werden kann und gleichzeitig unterschiedliche Nebenziele adressiert werden. Zu den untersuchten Maßnahmen zählt eine einzelbetriebliche PLI-Obergrenze, ein Lizenzsystem mit handelbaren Nutzungsrechten, eine staatliche Förderung niedriger PLI-Hektarwerte sowie eine Erhöhung der Pflanzenschutzmittelpreise in Abhängigkeit des PLI. Dabei wurde unterstellt, dass die Politikmaßnahmen im Gesamtraum der Europäischen Union eingeführt werden. Welche Effekte dadurch auf die Produktion, die Einkommen landwirtschaftlicher Betriebe sowie den Administrations- und Kontrollaufwand für Landwirt*innen und Staat zu erwarten sind, wurde im Rahmen einer Folgenabschätzung herausgearbeitet.

Unsere Forschungsfragen

Mit welchen betrieblichen Anpassungsoptionen können die Human- und Umweltrisiken durch Pflanzenschutzmittel um 25 bzw. um 50 % gesenkt werden und welche Kosten resultieren daraus für die landwirtschaftlichen Betriebe?

Welche Maßnahmen zur umweltpolitischen Steuerung können ergriffen werden, um die angestrebten Reduktionsziele zu erreichen und welche Folgen sind für Produktion, Einkommen sowie Administrations- und Kontrollaufwand zu erwarten?

Ergebnisse

Um den PLI um 25 % zu senken, werden Landwirt*innen zunächst höher toxische Wirkstoffe durch solche mit einem geringeren PLI substituieren. Ebenso werden Unkräuter verstärkt mechanisch reguliert sowie Totalherbizide vor Sommerungen durch mechanische Bodenbearbeitung ersetzt. Wenn keine kulturindividuelle PLI-Reduktion gefordert wird und Alternativkulturen zur Verfügung stehen, werden die Landwirt*innen Kulturen mit einer geringen Direkt- und arbeitserledigungskostenfreien Leistung (DAKfL) je eingesetzter PLI-Einheit (wie z.B. Raps durch Körnermais) ersetzen. Bei einer Halbierung des PLI sind zusätzlich ein kulturübergreifend reduzierter Fungizid- und Insektizideinsatz oder spätere Saattermine im Getreide geeignet, um die Risiken durch Pflanzenschutzmittel zu mindern.

Bei einer kulturindividuellen PLI-Reduktion um 25 % sind Veränderungen der DAKfL von + 25 €/ha bei Zuckerrüben bis hin zu - 60 €/ha bei Stoppelweizen zu erwarten. Muss der PLI kulturindividuell um 50 % gesenkt werden, steigt die Spannweite der Anpassungskosten zwischen den Kulturen weiter an. Während der PLI bei Raps mit Kosten von rund 50 €/ha halbiert werden kann, sinkt die DAKfL bei Stoppelweizen oder Winterweizen nach Silomais um rund 150 €/ha.

Auf betrieblicher Ebene zeigen die Ergebnisse, dass die Anpassungskosten umso geringer sind, je mehr Anpassungsflexibilität den Landwirt*innen gewährt wird. Bei einer Reduktion des PLI um 25 % sind unter Berücksichtigung der Wirkstoffsubstitution je nach gewährter Anpassungsflexibilität überschaubare Anpassungskosten zwischen etwa 10 und 20 €/ha zu erwarten. Die Veränderung erzeugter Getreideeinheiten (GE) schwankt dabei zwischen +4 bis maximal -5 %. Hingegen steigen die Anpassungskosten bei einer PLI-Reduktion um 50 % überproportional stark an, sodass mit einem betrieblichen DAKfL-Rückgang zwischen etwa 80 bis maximal 125 €/ha zu rechnen ist. Bei einer PLI-Reduktion um 50 % beträgt die Veränderung erzeugter GE zwischen 0 bis maximal -7 %.

Bei einer einzelbetrieblichen und gleichzeitig kulturindividuellen PLI-Obergrenze muss grundsätzlich jeder landwirtschaftliche Betrieb seinen PLI-Einsatz reduzieren, sofern er die Zielvorgaben noch nicht in der Ausgangssituation erfüllt. Dadurch kommt es zu einer flächendeckenden Risikominderung ohne Verlagerung der Produktion einzelner Kulturen in Drittstaaten. Jedoch ist die Anpassungsflexibilität für Landwirt*innen im Vergleich mit anderen Politikoptionen vergleichsweise gering. Die Kontrolle erfolgt mit Hilfe einer Online-Datenbank. Im Gegensatz dazu hat eine Erhöhung der PSM-Preise in Abhängigkeit des PLI den Vorteil, nicht alle Betriebe, sondern lediglich „Flaschenhälse“ wie Händler und Hersteller von Pflanzenschutzmitteln kontrollieren zu müssen. Nachteilig ist der hohe negative Einkommenseffekt für die Betriebe (> 220 €/ha) bei einer Halbierung des PLI. Hinzu kommt, dass Nachjustierungen der Abgabehöhe zu erwarten sind, um sich an das Reduktionsziel heranzutasten. Werden die PLI-Nutzungsrechte in einem Lizenzsystem in Abhängigkeit der Ackerfläche verteilt, ist zu erwarten, dass Kulturen mit einer hohen DAKfL je eingesetzter PLI-Einheit bevorzugt angebaut werden. Betriebsleiter*innen können anhand des Marktpreises für die handelbaren PLI-Nutzungsrechte entscheiden, ob sie diese selbst im Betrieb einsetzen oder am Markt veräußern. Dadurch ist zu erwarten, dass PLI-Einheiten insbesondere auf ackerbaulichen Grenzstandorten eingespart werden, an denen diese Einsparung nur geringe Kosten verursacht. Die dort freiwerdenden PLI-Einheiten wandern vornehmlich in Regionen, in denen eine überdurchschnittliche DAKfL je PLI-Einheit erzeugt werden kann. Dies sind klassischerweise ackerbauliche Gunststandorte. Kritisch ist der vergleichsweise hohe Administrationsaufwand zu sehen, der für eine Handelbarkeit erforderlich ist. Dieser zusätzliche Aufwand geht für den Staat mit dem Vorteil einher, dass das Reduktionsziel zielgenau angesteuert werden kann. Entscheidet sich der Staat dafür, niedrige PLI-Hektarwerte mit einer Prämie zu fördern, kann ein negativer Einkommenseffekt auf Betriebsebene verhindert werden, da diese nur teilnehmen, wenn ihre Kosten geringer als die Prämienzahlung sind. Die Akzeptanz der Politikmaßnahme durch die Landwirt*innen ist hoch. Eine wesentliche Herausforderung ist allerdings die Kontrollierbarkeit, da hohe Anreize bestehen, das System zu unterlaufen.

Zeitraum

8.2018 - 10.2022

Weitere Projektdaten

Projektstatus: abgeschlossen

Publikationen zum Projekt

  1. 0

    Dehler M (2024) Chemischen Pflanzenschutz sinnvoll reduzieren - aber wie? Rhein Bauernzeitg 78(9):16-17

  2. 1

    Dehler M (2023) 50% weniger - aber wie im Betrieb umsetzen? DLG Mitt(6:Sonderausg.):10-13

  3. 2

    Dehler M (2023) Maßnahmen zur Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes - Anpassungsoptionen, Kosten und Möglichkeiten zur umweltpolitischen Steuerung. Braunschweig: Johann Heinrich von Thünen-Institut, 246 p, Thünen Rep 104, DOI:10.3220/REP1678173967000

    https://literatur.thuenen.de/digbib_extern/dn066100.pdf

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