Expertise
Probleme bei gemischten Fischereien
Alexander Kempf und Gerd Kraus | 22.11.2022
Während beim Fang von Fischen, die in Schwärmen auftreten, überwiegend nur eine Art in den Schwimmschleppnetzen landet, ist es bei der Grundschleppnetzfischerei häufig ein Artenmix. Wenn sich der Zustand der gemeinsam gefangenen Bestände unterscheidet, wird das Management der Fischerei zu einer Herausforderung.
Gemischte Fischereien zeichnen sich dadurch aus, dass unterschiedliche Arten zusammen gefangen werden. Typische Beispiele dafür sind Grundschleppnetzfischereien in der Nordsee (Weiterführende Informationen in den „Fisheries Overviews“ des Internationalen Rates für Meeresforschung (ICES)). Zum Beispiel landen in den Fischereien auf Schellfisch oder Seezunge viele weitere Arten wie Kabeljau, Scholle oder Wittling gleichzeitig im Netz. Und das bringt Probleme mit sich.
Ein Problem ist der unterschiedliche Zustand der Bestände (mehr Details unter: ICES-Fangempfehlungen: Was steckt dahinter?). Während es zum Beispiel dem Schellfisch in der Nordsee gerade ausgezeichnet geht, befindet sich der Kabeljaubestand außerhalb sicherer biologischer Grenzen und muss durch niedrige Fangquoten und zusätzliche Maßnahmen geschützt werden. Seit 2015 gilt in der EU und im Vereinigten Königreich eine Anlandepflicht (mehr Details unter: Rückwürfe in der Meeresfischerei). Das bedeutet: Es darf – von Ausnahmen abgesehen – keine quotierte Art über Bord geworfen werden. Sobald die erste Quote ausgefischt ist (im konkreten Beispiel die Quote für den Kabeljau), muss die Fischerei eingestellt werden, auch wenn noch reichlich Quoten für andere Arten wie den Schellfisch vorhanden sind. Die Art, deren Quote als Erstes ausgefischt ist, wird als „Choke“ (englisch für würgen) bezeichnet, da sie die Fischerei „abwürgt“.
Was „Choke species“ für die Fischerei bedeuten
Nun könnte man vermuten, dass mit selektiveren Netzen das Problem leicht zu lösen wäre. Oft ist es jedoch so, dass zwei Arten eine ähnliche Fängigkeit aufweisen. Das heißt, sie sind ähnlich groß, ähnlich geformt und weisen ein ähnliches Verhalten vor dem Netz auf, sodass man sie nicht einfach trennen kann. Dies ist z.B. bei Scholle und Seezunge der Fall, und viele untermaßige Schollen werden als unerwünschter Beifang in der Seezungenfischerei mitgefangen. Auch wenn die Art, die geschont werden soll, größer ist als die anderen Zielarten im Netz, erschwert es die Wahl der optimalen Maschenöffnung. Wären Schellfisch und Wittling z.B. größer als Kabeljau, könnte man durch ein Netz mit großen Maschen die beiden ersten Arten fangen und dem Kabeljau ein Entkommen ermöglichen. Leider ist es umgekehrt, und kleinere Maschenöffnungen, die den Fang von Schellfisch und Wittling ermöglichen, erhöhen das Risiko, dass auch juveniler Kabeljau mit gefangen wird.
Wenn den Fischern aber durch zu viel Beifang die Kabeljauquote ausgeht und deshalb die gesamte Fischerei eingestellt werden muss, führt dies zu herben ökonomischen Verlusten. Die Versuchung ist groß, heimlich Kabeljau über Bord zu werfen, um die Fischerei auf die anderen Arten nicht beenden zu müssen. Dies ist zwar illegal, aber Hochrechnungen aus internationalen Beprobungsdaten deuten auf dieses Verhalten hin (z.B. Cod (Gadus morhua) in Subarea 4, Division 7.d, and Subdivision 20). Wie also dieses Dilemma lösen?
Lösungsansätze
Das Thünen-Institut arbeitet daran, Managementstrategien und technische Maßnahmen zu entwickeln, mit denen der gordische Knoten durchschlagen werden kann. So lassen sich in bestimmten Fällen durch jahresübergreifende Fangquoten Choke-Situationen abmildern. Auch ist es möglich, die Höchstfangmengen für die Choke-Art ausnahmsweise oberhalb des maximalen Dauerertrages, aber innerhalb eines nachhaltigen Korridors, festzulegen. Dies haben wir zusammen mit unseren europäischen Kolleg*innen im EU-Projekt MYFISH und im ICES getestet (Mehr Details: Report of the Joint ICES-MYFISH Workshop). Über dem maximalen Dauerertrag zu fischen, muss aber die Ausnahme bleiben und ist nur möglich, wenn sich die beteiligten Bestände in einem guten Zustand befinden. Im genannten Beispiel ist das keine Option, da sich der Kabeljaubestand in einem kritischen Zustand befindet. Hier helfen nur technische Maßnahmen, die den Beifang der jeweiligen Choke-Art reduzieren.
Zu den technischen Maßnahmen zählt die Einführung selektiverer Fanggeräte. Forschung, die Unterschiede im Schwimm- und Fluchtverhalten von Fischen dazu benutzt, um Arten bereits während des Fangs zu trennen, ist Gegenstand aktueller Thünen-Forschung (mehr Details: Unerwünschte Fisch-Beifänge verringern). Bei der Erhöhung der Selektivität muss aber immer auch die Fängigkeit der erwünschten Zielarten im Auge behalten werden: Sinkt deren Fangrate zu sehr, werden Fischereien ineffektiv und benötigen am Ende höheren Fischereiaufwand, wie Simulationen innerhalb des EU-Projekts Probyfish gezeigt haben. Dies wiederum kann zu unerwünschten Nebeneffekten wie stärkeren Auswirkungen der Netze auf den Meeresboden oder vermehrtem Beifang anderer, sensibler Arten führen.
Ein weiterer Lösungsansatz ist das Schließen von Fanggebieten (permanent, saisonal oder kurzfristig bei hohem Beifangaufkommen). Räumliche Managementmaßnahmen werden beliebter, auch um weitreichendere Schutzziele, wie den Erhalt der Biodiversität, zu erreichen. Um gewünschte Effekte zu erzielen, müssen geschlossene Gebiete aber angemessen dimensioniert und richtig platziert sein. Auch einhergehende Verlagerungen und Konzentrationen von Fischereiaufwand sowie Änderungen im Nahrungsnetz müssen mitgedacht werden. Dies wurde in einer am Thünen-Institut zusammen mit der Uni Hamburg betreuten Dissertation anhand von Simulationen mit dem Ökosystemmodell Ecospace aufgezeigt (Evaluating spatial processes and management strategies under changing anthropogenic influences on the ecosystem of the southern part of the North Sea).
Ausblick
Die Lage in den gemischten Fischereien wird sich durch den Klimawandel weiter verändern. Zum einen verändert sich die Produktivität der Bestände. So wird beim Nordsee-Kabeljau von einer weiter abnehmenden Produktivität ausgegangen. Dies verschärft die Choke-Probleme in der Nordsee, wie unsere Arbeiten innerhalb des EU-Projekts Pandora gezeigt haben.
Ein weiterer Effekt des Klimawandels ist, dass sich die Verteilungsgebiete der einzelnen Arten verlagern. Kälteliebende Arten weichen nach Norden aus, südliche Arten drängen nach (Mehr Details: Klimawandel – die einen kommen, die anderen gehen). Das führt zu Problemen bei der Aufteilung der jeweiligen Fangmengen auf die einzelnen Länder. Das derzeit praktizierte starre System der sog. „relativen Stabilität“, das jedem Land einen festen Anteil an den jeweiligen erlaubten Höchstfangmengen zusichert, ist an die sich dynamisch ändernden Verteilungsmuster der Fischbestände und den daraus resultierenden Änderungen in den Fangzusammensetzungen nicht angepasst. Zwar können Länder untereinander Quoten austauschen, aber es ist wahrscheinlich, dass die derzeitige Quotenaufteilung durch den Klimawandel unter Druck gerät.
Die gemischten Fischereien werden das Thünen-Institut deshalb noch länger beschäftigen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft, Politik und der Fischereiindustrie wird nötig sein, um zu nachhaltigen Lösungen zu kommen.