Expertise
Müll in deutschen Meeresgebieten
Ulrike Kammann | 03.01.2024
Müll im Meer ist ein weltweites Problem. Ein großer Teil des Meeresmülls liegt auf dem Grund und entzieht sich unseren Blicken. Wie viel und welche Art von Müll auf dem Boden in deutschen Meeresgebieten liegt, untersucht das Thünen-Institut mit Fischereifängen und Videoaufnahmen. Auch die Müllvermeidung ist ein wichtiger Punkt.
Große Mengen von Meeresmüll sind als Abfall von Land aus, teils über die Flüsse, in die Meere gelangt. Ein beträchtlicher Anteil stammt aber auch aus der Schifffahrt oder der Fischerei und fällt direkt auf See an. Vor allem Plastikmüll ist langlebig und verbleibt im Meer über Jahrzehnte, bevor er zu Mikroplastik zerfällt, das von Fischen und anderen Meeresorganismen aufgenommen wird und so ein potenzielles Risiko darstellt. Aber auch größere Plastikmüllteile wie Leinen und Netze bergen Gefahren: Organismen können sich darin verstricken und sterben. Die Müllbelastung der Meere wird deshalb regelmäßig international überwacht.
Das Thünen-Institut ist an diesem Monitoring beteiligt, z. B. im Rahmen der Europäischen Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie (MSRL) und der regionalen Meeressschutzkonventionen. Im Thünen-Institut erfüllen wir aber nicht nur diese Überwachungsaufgaben, sondern gehen das Problem umfassend an – beginnend mit der Datenerhebung zu Vorkommen und Zusammensetzung von Müll im Meer, über die Analyse seiner fischereilichen Quellen, bis hin zur Entwicklung von Lösungsansätzen zur zukünftigen Vermeidung von Meeresmüll aus der Fischerei.
Standardisierte Methoden
Zur Erfassung und Untersuchung der Müllmenge und -zusammensetzung am Meeresboden gibt es international standardisierte Methoden. Im Thünen-Institut für Fischereiökologie wird Makromüll mit einer Größe ab 2,5 cm in Fischereifängen innerhalb der deutschen Ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ) untersucht. Die Thünen-Institute für Seefischerei und für Ostseefischerei erfüllen hoheitliche Verpflichtungen zum Monitoring von Müll am Meeresboden über die Teilnahme an internationalen Surveys, wie dem International Bottom Trawl Survey (IBTS), dem International Beam Trawl Survey (BTS) und dem Baltic International Trawl Survey (BITS).
Entsprechend des aktuellen Protokolls des Internationalen Rats für Meeresforschung (ICES) werden auf den Ausfahrten mit dem Fischereiforschungsschiff Walther Herwig III mehrmals jährlich in festgelegten Gebieten innerhalb der deutschen Gewässer Daten zu Müll am Meeresgrund erhoben: In jedem Fischereihol wird der mitgefangene Müll gezählt, kategorisiert, gewogen und fotografiert. Von Plastikmüllteilen wird darüber hinaus eine Probe genommen und die Art des Plastiks im Labor über FTIR (Fourier-Transformations-Infrarot-Spektroskopie) ermittelt.
Die Menge an Müll wird auf die vom Netz während der Schleppzeit überstrichene Fläche bezogen und in der Einheit Müllteile/km² angegeben. Daten zu Müll am Meeresgrund aus den verschiedenen international koordinierten Grundschleppnetzsurveys des Thünen-Instituts werden regelmäßig an den ICES gemeldet, von wo aus sie zu europäischen Umweltbewertungen von Nord- und Ostsee herangezogen werden. Die Daten sind dort frei verfügbar.
Wie viel Müll wird gefunden?
Auf 16 Forschungsfahrten im Zeitraum von 2013 bis 2022 wurden insgesamt 876 Müllteile in Fischereifängen gefunden. Im Mittel zeigt die Nordsee-AWZ mit 36,8 Müllteilen/km² eine höhere Belastung als die AWZ in der Ostsee mit 8,8 Müllteilen/km².
In beiden Meeresgebieten dominiert Plastik die Zusammensetzung des Mülls. In der AWZ in der Nordsee beträgt der Plastikanteil im Müll am Meeresgrund 87 %, in der AWZ in der Ostsee sind es 50 %. Der Anteil Müll aus der Fischerei ist in der Nordsee mit ca. 60 % deutlich höher als in der Ostsee mit nur ca. 20 %. Beim Vergleich zwischen Nord- und Ostsee muss allerdings beachtet werden, dass in den beiden Meeren mit unterschiedlichen Netzen gefischt wurde.
Regionale Unterschiede
Die regionalen Unterschiede in der Kontamination mit Müll am Meeresboden an den einzelnen Stationen der Forschungsausfahrten werden in der Karte deutlich. Die höchsten Mittelwerte treten in der Nordsee-AWZ auf der östlichen, küstennahen Station GB1 auf. Der Meeresboden in der Ostsee ist an der westlichsten Station B01 am höchsten mit Müll belastet. Neben der Menge unterscheidet sich auch die Zusammensetzung des Mülls regional. Neben dem dominierenden Material Plastik werden geringere Anteile von Müll aus Metall, Gummi, Glas oder Naturstoffen gefunden. Auch die Zusammensetzung des Plastikmülls in den Bereichen der AWZ von Nord- und Ostsee unterscheidet sich deutlich: Während in der Nordsee Fischereileinen, Monofilamente und Plastikfolien besonders häufig vorkommen, sind es am Boden der Ostsee synthetische Seile, Plastikfolien und Plastiktüten.
Auch schwimmfähiges Plastik sinkt ab
Die FTIR-Untersuchung der Polymere – also der Art des Plastiks – im Müll am Meeresboden von Nord- und Ostsee hat gezeigt, dass die meisten Plastikmüllteile aus Polyethylen, Polypropylen und Polyamid bestehen. Die meisten der identifizierten Polymere haben eine niedrigere Dichte als Salzwasser und sollten daher auf der Meeresoberfläche schwimmen. Offenbar ist ein Teil des Plastikmülls trotz seiner ursprünglichen Schwimmfähigkeit irgendwann abgesunken – vermutlich durch Aufwuchs (Biofouling). Auf dem Meeresboden sammeln sich also nach und nach auch die leichteren Plastikarten an.
Die Rolle der Fischerei
Ein Teil des Mülls im Meer stammt aus der Fischerei. In der AWZ in der Nordsee sind es 21,8 Müllteile/km² oder ca. 60 % des Mülls am Meeresboden. In der AWZ in der Ostsee sind es nur 1,7 Müllteile/km² bzw. ca. 20 % des Mülls.
Dünne, bunte Plastikfäden sind in der Nordsee besonders häufig. Es handelt sich dabei meist um so genannte Dolly Ropes, ein Scheuerschutz aus Polyethylen für Grundschleppnetze. Sie sollen das Netz schützen und reißen dabei ab. In einem Forschungsprojekt hat das Thünen-Institut Alternativen entwickelt, Dolly Ropes überflüssig zu machen und dadurch die Abfallmenge insgesamt zu verringern. Gemeinsam mit Fischern durchgeführte Tests zeigten gute Ergebnisse. Die Politik setzt sich auf Basis dieser Erkenntnisse für ein europaweites Verbot von Dolly Ropes ein. Auch ein Großteil der Fischerei befürwortet eine solche gesetzliche Regelung.
Immer wieder in der Diskussion sind verloren gegangene Netze oder Netzteile. In der deutschen AWZ werden sie allerdings relativ selten gefunden.
Angelfischerei
Auch Müll aus der Freizeitfischerei erreicht die Ostsee. 2018 hat das Thünen-Institut dazu erstmals Angelnde befragt. 6 % gaben an, Teile des Angelzubehörs verloren zu haben, z.B. Kunstköder, Bleigewichte, dünne Angelleinen, Knicklichter oder Haken. Die große Mehrheit der befragten Ostsee-Angler und -Anglerinnen war sich der Müllproblematik bewusst und ist bereit, durch die Nutzung umweltfreundlicher Alternativen wie bleifreier Gewichte zur Verringerung der Umweltbelastung beizutragen. Im Strandmüll-Monitoring an deutschen Küsten taucht verlorenes Angelzubehör kaum auf. Ein Großteil verlorener oder abgerissener Fanggeräte dürfte sich, u.a. aufgrund des hohen Gewichts, am Meeresgrund verfangen haben und nicht angeschwemmt werden.
Ergänzende visuelle Methoden
Mit den Fischereifängen lassen sich insgesamt nur wenige Müllteile pro Fläche in der deutschen AWZ finden. Es ist bekannt, dass mit Netzfängen der Müll am Meeresboden unterschätzt wird. Dennoch können aufgrund der gleichbleibenden, standardisierten Methode sowohl zeitliche Trends als auch die Müllzusammensetzung gut verfolgt werden.
Um sich den absoluten Zahlen der Müllbelastung am Meeresboden anzunähern, eignen sich visuelle Methoden besser. Das Thünen-Institut setzt dazu seit kurzem einen Video-Schlitten ein, der – mit Scheinwerfern und einer Kamera ausgestattet – direkt über den Meeresboden geschleppt wird. Dabei werden Filmaufnahmen gemacht, in denen der Müll zu sehen ist. In den Videos wird 17- bis 81-mal mehr Müll pro km² Meeresboden gezählt als in den Fischereifängen – und das, obwohl besonders kleine Müllteile im Video nur schlecht erkannt werden.
Die Frage, ob Müll am Meeresgrund in Konzentrationen, wie wir sie in der deutschen AWZ finden, ein relevantes Problem für Organismen darstellt, bleibt weiterhin ungeklärt. Dennoch birgt gerade Müll aus fischereilichen Quellen ein Risiko.
Aus den genannten Gründen ist daher die Vermeidung von Müll – speziell von Müll aus der Fischerei – essentiell. Auch die Datenerhebung von Müll im Meer, insbesondere mit visuellen Methoden, bleibt weiter wichtig, etwa um die Effektivität gezielter Maßnahmen zur Müllvermeidung nachzuverfolgen.
Nähere Informationen:
- Thünen à la Carte 11Umweltkontamination: Müll in deutschen Meeresgebieten (6 S.)