Expertise
Ökologische Rinderhaltung
Kerstin Barth | 01.06.2022
Die ökologische Rinderhaltung dient sowohl der Erzeugung von Milch als auch von Rindfleisch. Milcherzeugung und Rindermast können getrennt voneinander in spezialisierten Betrieben, aber auch in einem Betrieb erfolgen.
Folgende Produktionsrichtungen sind zu unterscheiden:
Die ökologische Milchviehhaltung hat ihren Schwerpunkt in der Milchproduktion. Die weiblichen Kälber werden im Betrieb zu Milchkühen herangezogen oder zur Zucht verkauft. Die männlichen Kälber werden frühzeitig an Mastbetriebe verkauft.
In der ökologischen Rindermast wird ausschließlich Rindfleisch erzeugt. Die Tiere werden in der Regel aus anderen Betrieben zugekauft.
Die ökologische Mutterkuhhaltung dient ebenfalls der Fleischerzeugung. Dabei werden die Jungtiere bei ihren Müttern aufgezogen. Deren Milch kommt ausschließlich den Kälbern zugute, das heißt, die Kühe werden nicht gemolken.
In der ökologischen Rinderhaltung werden meist die gleichen Rassen wie im konventionellen Landbau gehalten. Entsprechend der Nutzungsrichtung finden sich milchleistungsbetonte Rassen wie die Deutsche Holstein oder Doppelnutzungsrassen wie das Deutsche Fleckvieh, das gleichermaßen für die Milch- und Fleischerzeugung geeignet ist, oder für die Fleischerzeugung auch reine Fleischrassen.
Entsprechend der Richtlinien für den ökologischen Landbau sollen die genutzten Rassen anpassungsfähig, vital und widerstandsfähig gegen Krankheiten sein. Verzichtet werden soll auf Rassen oder Linien, für die bestimmte Gesundheitsprobleme typisch sind; bei den Weißblauen Belgiern z.B. erfordern Geburten häufig einen Kaiserschnitt.
Im Ökolandbau ist den Tieren ständig der Zugang zu Freigelände, vorzugsweise Weideland, zu ermöglichen. Lediglich bei schlechter Witterung oder ungünstigem Bodenzustand darf darauf verzichtet werden. Eine grundsätzliche Weidepflicht in den Sommermonaten besteht laut EU-Öko-Verordnung nicht, kann aber durch privatrechtliche Vereinbarungen mit Bio-Verbänden, Molkereien oder dem Lebensmitteleinzelhandel eingefordert werden.
Wenn die Tiere in der Weidesaison Zugang zu Weideland haben und sich im Winter frei bewegen können, also in einem Laufstall gehalten werden, dann muss den Tieren im Winter kein Auslauf angeboten werden. Kleinbestände dürfen noch in Anbindehaltung gehalten werden. Ihnen ist aber im Sommer der Weidegang und im Winter mindestens zweimal wöchentlich der Zugang zu einem Auslauf zu ermöglichen.
Eine Sonderregelung besteht bei der Rindermast: Tiere in der Endmast dürfen ständig im Stall gehalten werden, wobei diese Zeitspanne nicht mehr als 20 % der gesamten Lebensdauer der Tiere und nicht mehr als drei Monate betragen darf.
Im Stall muss den Tieren eine eingestreute, trockene und saubere Liegefläche in ausreichender Größe zu Verfügung stehen. Laufflächen, die als Spaltenboden ausgeführt sind, müssen weniger als die Hälfte der Stallfläche ausmachen. Eine komplette Haltung auf Spaltenböden, wie sie z.B. in der konventionellen Rindermast üblich ist, ist im Ökolandbau nicht erlaubt.
Unterschiede zum konventionellen System bestehen auch in der Kälberhaltung: Während nach der für alle deutschen Rinderhalter gültigen Kälberhaltungsverordnung die Kälber in den ersten sieben Lebenswochen allein gehalten werden dürfen, ist das im Ökolandbau nur in der ersten Lebenswoche erlaubt. Mit dieser Regelung soll dem natürlichen Verhalten der Tiere Rechnung getragen und die soziale Entwicklung gefördert werden. Selbstverständlich dürfen erkrankte Tiere separat gehalten werden, wenn es erforderlich ist.
Im Gegensatz zur konventionellen Rinderhaltung gelten im Ökolandbau auch Vorschriften, wie viel Fläche den Tieren im Stall bzw. Auslauf zur Verfügung gestellt werden muss:
Stall (m2 je Tier) | Auslauf (m2 je Tier) | |
---|---|---|
Rinder bis 100 kg | 1,5 | 1,1 |
Rinder bis 200 kg | 2,5 | 1,9 |
Rinder bis 350 kg | 4 | 3 |
Rinder über 350 kg | 5 | 3,7 |
Milchkühe | 6 | 4,5 |
Zuchtbullen | 10 | 30 |
Wiederkäuer sind in der Lage, Pflanzen zu verwerten, die für die menschliche Ernährung nicht geeignet sind, z.B. Gräser. Das große Vormagensystem der Rinder ist sogar auf eine ausreichende Versorgung mit Rohfaser angewiesen. Kraftfutter enthält kaum Rohfaser, deshalb wird der Einsatz von Kraftfutter im Ökolandbau beschränkt. Maximal 40 % des vorgelegten Futters (umgerechnet auf die Trockenmasse) darf aus Kraftfutter bestehen. Um Tieren im Zeitraum der höchsten Milchleistung nicht zu wenig Energie anzubieten, darf dieser Anteil für drei Monate auf 50 % angehoben werden.
Das Futter für Wiederkäuer muss zu 100 % ökologisch erzeugt sein und sollte zu mindestens 60 % aus dem gleichen Betrieb stammen oder in der Region erzeugt worden sein.
Kälber werden mindestens für drei Monate mit natürlicher Milch ernährt. Vorschriften, wie den Kälbern die Milch angeboten werden soll, gibt es nicht. Einige Bio-Betriebe lassen auch in der Milchviehhaltung die Kälber direkt bei den Kühen saugen.
Erkrankte oder verletzte Tiere sind immer unverzüglich zu behandeln. Alternative Heilverfahren sind dabei zu bevorzugen, solang sie tatsächlich eine therapeutische Wirkung haben. Allerdings ist dieser Nachweis bisher nicht bei allen alternativen Verfahren gegeben.
Die vorbeugende Gabe von Antibiotika oder anderen synthetischen allopathischen Tierarzneimitteln ist immer verboten. Erkrankungen soll mit einer tiergerechten Haltung und Versorgung, der Wahl passender Rassen und Hygienemaßnahmen vorgebeugt werden.
Müssen trotzdem Medikamente zum Einsatz kommen, ist die vorgeschriebene Wartezeit zwischen letzter Medikamentengabe und Produktlieferung doppelt so lang wie auf der Medikamentenverpackung angegeben, damit Milch oder Fleisch als „ökologisch erzeugt“ vermarktet werden können. Fehlt diese Angabe, beträgt die Wartezeit mindestens 48 Stunden.
Milchkühe oder Mastbullen, die über ein Jahr alt werden, dürfen maximal dreimal pro Jahr mit synthetisch allopathischen Medikamenten behandelt werden. In der Kalbfleischerzeugung, in der die Kälber in der Regel im Alter von sechs bis acht Monaten geschlachtet werden, dürfen die Tiere sogar nur einmal so behandelt werden, damit ihr Fleisch als „ökologisch erzeugt“ vermarktet werden kann.
Der ökologische Landbau zielt darauf, die Eingriffe am Tier zu minimieren. Stattdessen soll stärker auf eine tiergerechte Ausgestaltung der Haltungsumwelt geachtet werden. Deshalb sind in der ökologischen Rinderhaltung das Enthornen bzw. Entfernen der Hornanlagen und das Amputieren der Schwänze verboten. Im Interesse der Tiergesundheit und aus Sicherheitsgründen dürfen diese Eingriffe jedoch auf Antrag fallweise genehmigt werden – allerdings nur mit der Gabe von Betäubungs- und/oder Schmerzmitteln.
Eine Alternative zum Enthornen stellt die Zucht genetisch hornloser Rinder dar. In der Fleischrinderhaltung ist das schon länger üblich, für die milchbetonten Rinderrassen stehen erst seit einigen Jahren entsprechende Bullen zur Verfügung. Neben der noch bestehenden Ungewissheit, welche Konsequenzen die Zucht auf genetische Hornlosigkeit mit sich bringen, wird auch befürchtet, dass in absehbarer Zeit keine genetisch behornten Zuchttiere mehr zur Verfügung stehen und damit auch die Diversität der Rassen eingeschränkt wird.
Der „Demeter“-Verband fordert die Haltung behornter Rinder und erlaubt deshalb das Entfernen der Hornanlagen sowie die Haltung genetisch hornloser Tiere nicht. Ausgenommen sind einige Fleischrindrassen.
Rinder können Grünland in Fleisch und Milch umwandeln. In der Klimadiskussion haben sie allerdings keinen guten Ruf, denn bei der Fütterung von Gras entsteht Methan – ein sehr klimawirksames Gas. Die ökologische Rinderhaltung befindet sich deshalb immer im Spannungsfeld zwischen einer klimaschonenden Lebensmittelproduktion und einer geringen Flächenkonkurrenz, da Kraftfutter aus Getreide in Konkurrenz zur Lebensmittelproduktion steht.
Milch- und Fleischproduktion zu verbinden, ist ein geeigneter Ansatz. Dieser kann über verschiedene Wege beschritten werden:
- mit dem Einsatz von Doppelnutzungsrassen, die gleichzeitig ein angemessenes Milchleistungsniveau bei gutem Fleischansatzvermögen aufweisen,
- durch die gezielte Anpaarung von Milchkühen mit Fleischrindern zur Erzeugung von Kälbern für die Rindermast.
- Auch die stärkere Berücksichtigung von Milchrindbullen, die eine gute Bemuskelung vererben, wäre ein Weg, die derzeit in der Milchproduktion erzeugten männlichen Kälber mehr zu berücksichtigen. Meist verlassen sie den Bio-Betrieb im Alter von zwei bis drei Wochen und werden in konventionelle Mastbetriebe verkauft. Hier besteht Forschungsbedarf im Bereich einer tiergerechten, nachhaltigen Rinder(weide)mast, um in Zukunft die männlichen Kälber, die aufwändig unter Bio-Produktionsbedingungen erzeugt wurden, auch als Bio-Fleisch vermarkten zu können.
Obwohl die ökologische Tierhaltung stark auf das Tierwohl ausgerichtet ist, sind auch in vielen Bio-Milchviehbetrieben weit verbreitete Produktionskrankheiten wie Euterentzündungen, Lahmheiten, und Stoffwechselstörungen zu beobachten. Zwar wurde in den letzten Jahren viel für die Entwicklung passender Beratungstools getan (z.B. die Erprobung von stable schools), aber die nachhaltige Verbesserung der Tiergesundheit im Ökolandbau ist immer noch ein aktuelles Problemfeld.
Inwieweit Züchtung und tiergerechte Haltungsverfahren (Weidegang, Mutterkontakt, verlängertes Milchangebot in der Aufzucht) zu einer Verbesserung beitragen können, gilt es weiter zu untersuchen.